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Krassomat!
Der Kanak Attak-Kongress an der Berliner Volksbühne
Von Christian Schlüter

Mit der Eröffnungsfanfare aus Jump, einem Titel der Heavy Metal-Formation Van Halen, begann in der Berliner Volksbühne das Kanak Küchen Orakel. Ein ganzer Hammel im Elektro-Grill sorgte für einen Hauch von anatolischer Volxküche: Geladen war zu einer kulinarische Veranstaltung auf der Hauptbühne des Theaters und einem politisch-kulturellen Auskunftsdienst. Ein gut gefüllter Teller mit Fladenbrot und Krautsalat gab es für zwei Euro und Auskunft zu allen möglichen Themen gratis. Welche Auswirkungen hatte der 11. September auf die Sexualität? Antwort des Orakels: Der 11. Dingsda, wie wir ihn nennen, hatte keine guten Auswirkungen auf die Sexualität, denn sie mag es, wenn alles fließt. Alles klar, nächste Frage: Was sind Ausländer oder Migranten und was spricht gegen ihre Integration? Die nicht weniger komplizierte, diskurstheoretisch geschulte Antwort: Gegen die Bezeichnung als Ausländer und ihre Integration spricht, dass dadurch ein Etwas definiert wird, was es dann, als Definiertes, zu kontrollieren gilt. Also sprach das Orakel am Pfingstwochenende, im Rahmen des "kanak attak - konkret konkrass 2002". An zwei Tagen bot das lose antirassistische Bündnis Kanak Atak Büchertische, Diskussionen über Migration, Globalisierung, Kapitalismus und, selbstverständlich, über mögliche Ansätze für eine Kritik an dem ganzen Schlammassel mitsamt der daraus folgenden Widerstandformen. Und zwischen drin viel Musik, vorzugsweise HipHop. Beim "thematischen Plattenauflegen" im Sternfoyer spielte der "Kids Chillout Club feat. DJs under 18" und zu vorgerückter Stunde legten Sue Sexy und Li Rebel ihre Protestsongs auf. Übertönt wurden sie nur noch von den "Beatz" aus dem großen Zuschauerraum. Dort lief das "Kanak Attak Swing Serial feat. René-Pollesch-text" mit dem dj-team cKbe (chaos Kanakster berlin) und allerlei experimentellen Videoschnipseln: "Spoken words and visuels" bis in die späte Nacht hinein.

Einsamer Höhepunkt des ersten Abends waren indes die Puppet Mastaz: "Schwere Beatz" mit Handpuppen aus der Muppet-Show - und echtem Macho-Posing, war der Frosch Kermit doch endlich einmal dabei zu beobachten, wie er sich in den Schritt fasst.

Nicht weniger popkulturell, aber ohne Musik ging es auf den verschiedenen Panels zu. Kanak Attak "sinniert nicht über Kulturkonflikte, lamentiert nicht über fehlende Toleranz. Wir äußern uns: mit Brain, fetten Beats, Kanak-Lit, audio.visuellen Arbeiten und vielem mehr. Dieser Song gehört uns - enter the politics!" Politisch begreifen sich die "Kanaksters" als Wanderungsbewegung, als dezentriertes, nicht mehr in ethnischen oder nationalen Grenzen fassbares Netzwerk, das sich allen kapitalistischen Regularien entziehen will, indem es sie für sich nutzt: Gesendet wird auf allen verfügbaren Kanälen der Massenkultur. Die Aneignung von kulturindustriellen Produkten und die Enteignung durch warenförmige Vergesellschaftungsformen sind die zwei Seiten des politischen Handelns.

Der Kampf gilt rassistischen Zuschreibungen, so lautet das Programm, mit allen ihren sozialen und politischen Folgen. Konkret ging es in der Volksbühne um die Solidarität von deutschen Prostituierten mit ihren ausländischen und häufig illegalen Kolleginnen. Oder um "Blackness im deutschen Wohnzimmer" sowie die Diskriminierungsgeschichte schwarzer Deutscher vor und nach der Wiedervereinigung. Der Nationalstaat und seine Vertreter sind selbstredend "scheiße" ebenso wie man rechtsradikale Fußballfans nebst den nicht minder rechtsradikalen Fußballfunktionären bekämpfen muss. Ausländerzentralregister, Rasterfahndung und Schengener Abkommen dienen vor allem der Diskriminierung von Migranten; es gibt keine illegalen Menschen, sondern nur Illegalisierte, weshalb ihre Legalisierung oberstes Gebot ist; Integration ist nur eine besonders raffinierte Form der sozialen und politischen Unterwerfung, es gibt keine verschiedenen Kulturen, sondern nur Machtverhältnisse, Ein- und Ausschlussreglements.

Genauso vielfältig wie die Themenrepertoire waren auch die versammelten Aktivisten. Aus zahlreichen Ländern angereist, stellten sie ihre Projekte vor: konkret-nützliche Netzwerksarbeit. Deutlich wurden indes zwei Problembereiche. Zum einen begab man sich auf die Suche nach mächtigen Verbündeten, etwa den Gewerkschaften mit ihrer über hundertjährigen Erfahrung im Kampf um soziale Gerechtigkeit, musste zugleich aber feststellen, dass solche Großinstitutionen selbst Komplizen der Ausgrenzung sind. Zum anderen wurde die "relative Autonomie" politisch handelnder Individuen und ihre Möglichkeit zum Widerstand betont, zugleich aber zugestanden, dass ein solches Handeln immer den partikularen Interessen und nicht zuletzt den Grenzregimen der Bio-Macht unterworfen ist. Diese und eine Reihe anderer Widersprüche blieben ungeklärt. Für Kanak Attak allerdings kein Grund zur Sorge, immer schön locker bleiben, riet einer von ihnen, "die Zukunft gehört der Debatte." Bis zum nächsten Orakel in Frankfurt also, (1. Juni im Frankfurter Schauspiel), thematisches Plattenauflegen inklusive.

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Dokument erstellt am 21.05.2002 um 21:06:36 Uhr
Erscheinungsdatum 22.05.2002