PRESSE
Dies ist kein Liebeslied
Viel saubere politische Lobbyarbeit und viel beweisträchtiger Text, aber
nur wenige euphorische Momente: Unter dem Titel "Konkret Konkrass 2002"
ging am Wochenende die diesjährige Kanak-Attak-Veranstaltung über die Bühnen
der Volksbühne
von KIRSTEN KÜPPERS
Die Kanak-Attak-Veranstaltung in der Volksbühne sollte eine grundgute
Angelegenheit werden, das wusste man schon vorher. Viele Menschen aus
Städten berall im Land hatten seit Monaten an der grossen Sache mit dem
schönen Titel "Konkret Konkrass 2002" gearbeitet. Bisweilen waren
Nachrichten vom Vorbereitungskomitee nach draussen gedrungen. Das selbst
ernannte "bundesweite antirassistische Netzwerk Kanak Attak" glich demnach
einem Ameisenhaufen, den immer mehr politisch engagierte Menschen zu
bewohnen schienen. Man hörte von einem gigantischen E-Mail-Verteiler, der
die Verständigung zwischen Kulturproduzentinnen, Aktivisten und
Theoretikern regelte, von hochstrebenden Ideen wie der, einen Hammel auf
der Bühne zu braten; die Organisatoren planten Massentanzszenen, hiess es.
Man hörte auch von Streits und Nervosität, davon dass die bewilligten
EU-Gelder die Organisatoren in dem kleinen gemieteten Büro in der Torstrasse
dazu zwangen, über jeden Radiergummi peinlich genau Buch zu führen;
Eingeweihte sprachen nicht mehr von "Kanak Attak", sondern nur noch von
"K.A.". Die Volksbühne bewarb das Ereignis mit dem Satz: "Deutsch mich
nicht voll."
In einem grünen Polstersessel im Grünen Salon fand man sich dann am
Sonntagnachmittag wieder, um "eine andere Praxis des Geschichtenerzählens"
zu erleben, "die die Deutungshoheit den ansonsten nur Beschriebenen
zuweist" (Programmheft). Vorne zeigt ein junger Mann in gelbem T-Shirt
Dias von Textilfabriken in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana. Er
berichtet von mexikanischen Grenzdörfern, in denen die männliche Bevölkerung
nur einmal im Jahr zu Weihnachten auf Urlaub nach Hause kommt, von
Regionen Kaliforniens, in denen Abschiebungen während der Erntezeit
ausgesetzt werden, damit einzelne Wirtschaftszweige nicht ohne die
illegalen Saisonarbeiter zusammenbrechen, von umweltschädlichen
Produktionsmethoden, die nach Mexiko exportiert werden, weil sie in den
USA längst verboten sind.
Draussen vor dem Fenster rauscht der Nieselregen herunter, im Dämmerlicht des
Diaprojektors verschwimmen die Blätter der Bäume angenehm mit der grünen
Wandfarbe. Es folgen ein Videointerview mit einem bärtigen
Community-Aktivisten aus Los Angeles, ein Vortrag über die rassistische
Repräsentation von Migration in den europäischen Medien.
Nachdem die erste Kanak-Attak-Veranstaltung in der Volksbühne vor einem
Jahr ihren Fokus auf die Geschichte des migrantischen Widerstands und der
alltagspolitischen Dissidenz gerichtet hatte, waren es diesmal die Themen
Recht auf Legalisierung, No Integration und Globalisierung von unten, die
in den verschiedenen Räumen und auf den Gängen des Theaterhauses wie in
einer Art Erwachsenenuniversität verhandelt werden sollten. Und wie so oft
bei solchen Veranstaltungen fühlt man sich schnell wie ein Fernsehapparat,
an dem zu viel herumgeknipst wird. Aufregung und lautes Sprechen auf allen
Kanälen: Im Roten Salon schimpft ein junger Mann über die Gemeinheiten des
Ausländerzentralregisters, auf Videoleinwänden erzählen grosse Münder von
sexueller Ausbeutung, auf der grossen Bühne schreit eine blonde
Andy-Warhol-Perücke Texte vom Regisseur Rene Pollesch heraus: "Diese Scheisse
hier", "D2 heisst jetzt schon Vodaphone" und immer wieder das Wort "Kritik";
Tobias Nagl analysiert im Grünen Salon die Alibifunktion afrodeutscher
Schauspieler im Fernsehen, im Foyer legen junge Frauen Protestplatten auf,
ein Büchertisch verkauft Literatur von Naomi Klein, Giorgio Agamben, Hardt
und Negri.
Die Veranstaltung war als Kongress gedacht, nicht als Festival. Bei allen
sorgfältig zusammengetragenen intellektuellen Diskursen vermisste man
zuweilen trotzdem jenes euphorische Moment, das einer stolzen kulturellen
Selbstbehauptung innewohnt, für die der Begriff Kanak Attak bislang stets
gestanden hat. Stattdessen hatte man bei vielen Programmpunkten den
Eindruck, hier werde saubere politische Lobbyabeit geleistet,
beweisträchtiger Text konjugiert, die Rede nach aussen gerichtet, statt dass
sich Protagonisten wirklich gegenseitig selbst ermächtigen, wie es das
Flugblatt im Foyer suggeriert: "Dieser Song gehört uns." Vielmehr klingt
manches sehr abstrakt. Etwa wenn Sandro Mezzadra, ein Aktivist von Citta
Aperta, im Roten Salon erklärt, warum bei der Migrantendemonstration in
Genua im Juli letzten Jahres nur die wenigsten Teilnehmer Migranten waren,
und dabei gleichzeitig die Abschaffung des Antirassismus in der
Globalisierungskritik fordert. Viel Klage über bestehende Verhältnisse gibt
es also zu hören, viel Beschwernis für den Kopf.
Irgendwann im Laufe des Abends fühlt man sich tatschlich in einem Zustand
überreizter Mangelhaftigkeit gefangen. Auf der Bühne riecht es nach
Hammelfleisch, draussen vor dem Haupteingang stehen drei Jugendliche im
Nieselregen, die sich die 12 Euro fr eine ermässigte Karte nicht leisten
können; die Kantine ist für Besucher verboten; eine Volksbühnenangestellte,
will kein Aspirin herausgeben. M. meint: "Die Volksbühne ist auch nur
voller unberwindbarer Grenzen"; W. sagt: "Ich bin schon wieder geschwächt
von all den Tretminen hier"; und es fällt einem der Satz eines
Kanak-Attak-Mitglieds ein, das vor kurzem mit einem Bier in der Hand
beklagt hatte, dass an der Volksbühne keine Subversion mehr möglich sei,
weil eine satte Kulturschickeria längst alles Revolutionäre dankbar als
Accessoire für den eigenen Lebensstil vereinnahmt habe.
Beim Ausflug zum Pizza-Imbiss holt einen das soziale Elend dann noch mit
einer Unmittelbarkeit ein, von der man sich den restlichen Abend nicht
mehr erholen wird. Eine Frau, die ihren alkoholisierten Mann eben noch mit
Schlägen aus der Gastsättte geschafft hat, kehrt an den Tresen der Gaststätte
zurück. Sie bestellt heulend neuen Schnaps. Die Tränen fallen in das kleine
Glas, das die Kellnerin ihr hinstellt. Die Gewalt des Augenblicks bleibt
gewichtig in der Stille stehen.
taz Berlin lokal Nr. 6753 vom 21.5.2002, Seite 25, 212 Zeilen
(TAZ-Bericht), KIRSTEN KÜPPERS