P U B L I C I T Y
Die Geister, die ihr rieft, werdet ihr nie mehr los.
Versprochen.

Für alle, die sich auf den Weg machen

"Tausche Asylrecht gegen Einwanderungsgesetz". Damit versuchten Anfang der 90er Jahre die Multikulturalisten in der Debatte um die Asylrechtsänderung zu punkten. Daß heute die CDU diese Position einnimmt, beinhaltet schon eine gewisse Ironie, auch wenn es sich zunächst nur um eine Verlegenheitslösung handelte. Respekt. Einen solchen Coup zu landen, das hatten wir der SPD schon gar nicht mehr zugetraut. Immerhin hat der wohlinszenierte Schrödersche Spontanpragmatismus nicht nur endlich die Wirtschaftsfreundlichkeit der Regierung unter Beweis gestellt, sondern auch die ohnehin reichlich angeschlagene CDU ziemlich ins Schleudern gebracht. Welche Argumente sollten der CDU schon groß einfallen, wo Schröder sich doch auf deren ureigenste Heilige Kuh, den Standort Deutschland, berief? Und so dauerte es auch eine Weile, bis die Reihen der CDU geordnet und die Partei in dieser Sache wieder satisfaktionsfähig war. Unterdessen konnte man sich im ZDF den zaghaften Einwand Merkels, es sei doch merkwürdig, wenn die Bundesregierung einerseits politisch Verfolgten die Tür weise und andererseits Privilegierte noch mehr privilegiere, auf der Zunge zergehen lassen. Auch Rüttgers "Kinder statt Inder" wirkte angesichts des Standortarguments eher hilflos. Völlig klar, daß die Ausbildungsmisere nicht der seit Herbst `98 amtierenden Rot-grünen Regierung angelastet werden kann. Na, zum Glück verhungerte Rüttgers Kampagne erstmal im Ansatz, wenngleich sie implizit mit einer Mobilisierung wie bei der CDU-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft drohte. Zur seiner Ehrenrettung bemühte er das "Menschenrecht" der potentiellen Supereinwanderer, ihre Familie mitzubringen (FR, 10.3.00). Aber es kam noch besser: Das Abziehen von Eliten aus der Dritten Welt sei unmoralisch (ebd.). Damit zieht er im Universum der unglaubwürdigsten Bekenntnisse mit der stellvertretenden Vorsitzenden des DGB, Engelen-Kefer, gleich. Die prangerte nämlich auch den auf den Kopf gestellten Brain Drain an, den eine Green Card für Qualifizierte aus der sogenannten Dritten Welt befördere. Überhaupt sind die Gewerkschaften der begossenste Pudel im Green Card-Poker.

Haben sie sich doch im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in einer globalisierten Ökonomie auf allerlei schlechte Kompromisse (Verringerung des Lohnniveaus, Abbau sozialstaatlicher Garantien etc.) eingelassen, die sie ihren Mitgliedern mit dem Argument weiterverkauften, langfristig sprängen dabei Arbeitsplätze für die Inländer raus. Man darf mit Spannung erwarten, wie dieser überraschende ideologische Paradigmenwechsel aufgelöst werden wird: Das Standortargument hat auf den ersten Blick seine materiell-populare Evidenz eingebüßt.

Dabei ist es nicht erstaunlich, daß zumindest die Gewerkschaftsspitzen contra Migration sind, vor allem in einer Situation, in der mehrere Millionen Arbeitslose die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerinteressen erheblich schwächen. Weil sie im national verfaßten Wohlfahrtsstaat nur die korporatistisch-ökonomischen Interessen ihrer Klientel vertreten, ergibt sich daraus kaum automatisch die Solidarität mit irgendwelchen anderen Menschen. In der Hochphase der bundesdeutschen Vollbeschäftigung stieß die Anwerbung von sogenannten Gastarbeitern auf keinen großen Widerspruch der Gewerkschaften. Den deutsche Arbeitnehmern eröffneten sich in dieser Phase berufliche Aufstiegsmöglichkeiten. Die bad jobs wurden von den MigrantInnen übernommen.

In dem angekündigten Kompromiß funktioniert das so nicht mehr. Der sieht so aus, kurzfristig die Wirtschaftsinteressen zu bedienen und die organisierte inländische Arbeitnehmerschaft nicht vollends zu verprellen mit dem Versprechen, die vakanten Arbeitsplätze nur übergangsweise mit Indern, Russen oder Polen zu besetzen, bis deutsche bzw. ihnen rechtlich gleichgestellte Arbeitskräfte nachgesessen haben. Was für eine Schmach! Zumindest dem Prestige nach, das der Computerbranche anhaftet. Die Unternehmer plädieren seit Jahren für eine möglichst freizügige Regelung. Einerseits haben sie wohl recht, daß beispielsweise eine schäbige Fünfjahres-Frist mit allerlei Beschränkungen der persönlichen Lebensplanung den einen oder anderen heiß begehrten Kandidaten lieber andernorts anheuern läßt. Angesichts der Mißlichkeiten beim globalen Headhunting wurden in den vergangenen Jahren tüchtig improvisiert: Firmen gründeten eigene Visabteilungen, Leute machten sich in Sachen Visa- und Arbeitserlaubnisbeschaffung selbständig und so weiter und so sofort. Auch die Einrichtung eines "Servicenters" für EU-Bürger innerhalb der Frankfurter Ausländerbehörde ist ein Zeichen der Zeit. Im März diesen Jahres hat Joseph Fischer alle deutschen Vertretungen angewiesen, die Visaerteilung großzügiger zu handhaben und ihr Image nach dem Motto Dienstleistung statt Bürokratie aufzupolieren. Aber das stößt an Grenzen, die nur auf dem gesetzgeberischen Weg ausgeräumt werden können. Und schließlich schafft der globale Wettbewerb immer wieder unvorhergesehenen Bedarf, der sich nicht hundertprozentig im Voraus planen läßt.

Heißt das jetzt etwa, daß man sich auf deren Seite schlagen soll? Um was geht es überhaupt? Um eine neue Qualität in der Einwanderungsdiskussion wohl kaum. Der sogenannte Vorstoß ist weder ein Fortschritt noch ein Rückschritt.

Wie schon bei der Auseinandersetzung um die doppelte Staatsbürgerschaft geht es nicht um die Rechte der Kanaken, sondern um die jeweils neu und anders definierten nationalen Interessen, in der wir nur eine abhängige Variable sind. Irgendwie geht's immer nur eins: Die Deutschen kommen allein nicht klar. Sie brauchen die Migranten für oder gegen den sozialen Frieden, für oder gegen ihren Rassismus, für oder gegen ihre Standortsicherung. Deshalb ist da nichts zu holen, weil das Kontinuum der Verfügungsgewalt über die Migranten weder in den altbackenen noch in den modernistischen Entwürfen zur Regelung des "Drinnen und Draussen" gebrochen wird.

Dieses instrumentelle Ins-Verhältnissetzen hat in den sozialen und politischen Strukturen der westeuropäischen Metropolen eine materielle Realität, etwa im Sozialstaat. Es ist darum nicht einzusehen, warum man auf die Errungenschaften der Arbeiterbewegung setzen soll, die aus einer internationalen Perspektive nur Privilegien darstellen. Solange politische Rechte und soziale Sicherheit an die nationalen wohlfahrtstaatlichen Strukturen gebunden sind, wird Migrationspolitik immer in der Produktion von Lumpen- und Spitzeneinwanderern bestehen.

"Der Zirkulation des Kapitals und der Waren kann eine einzige regulierende Grenze gesetzt werden, die nicht rein defensiv wäre, die selbstbestimmte Mobilität der Menschen." (Yann Moulier Boutang)(1) Deshalb brauchen wir auch kein Einwanderungkontrollgesetz und auch keine flankierenden Integrationsmaßnahmen, sondern ein Recht auf Einwanderung. Als nackte Selbstverständlichkeit, dass jeder Mensch irgendwo leben können muss, existiert dieses Recht bereits und wird auch in Anspruch genommen. Fehlt nur noch, dass wir es zu einer materiellen Gewalt machen. Wir sind Kanaken und wir sind überall zu Haus. (2)

Jungle World April 2000
Vanessa Barth, Serhat Karakayali,
Laura Mestre Vives für KANAK ATTAK.


(1) " Papiere für alle". In: Die Beute, Nr. 13, 1/97
(2) Aljoscha Zinflou im Kanak Attak-Song