Außenminister Joseph Fischer brachte es letzte Woche in einem Interview auf den
Punkt: Solange man sich über gewaltbereite Kampfhunde heftiger empört als über
gewalttätige Neonazis, stimmt etwas nicht in Deutschland. Weiterlesen jedoch bringt
erwartungsgemäß Ernüchterung, denn ihm und anderen führenden Grünenpolitikern
geht es offenbar vor allem darum, die Partei wieder »mobilisierungsfähig« zu machen.
So drängte die neue Sprecherin Künast darauf, das im Koalitionsvertrag
beschlossene »Bündnis für Toleranz« endlich ins Leben zu rufen, Umweltminister
Trittin forderte länderübergreifende Ermittlungsgruppen gegen Neonazis - mithin eine
Art antifaschistisches Bundeskriminalamt. Mit dem Thema Rechtsradikalismus glauben
die Grünen das letzte Politikfeld entdeckt zu haben, auf dem sie sich überhaupt noch
profilieren können. Nur hier können Grüne glaubwürdig populistisch »hartes
Durchgreifen« und »Präsenz des Staates« fordern, ohne sich vollends lächerlich zu
machen. Und vor allem, ohne sich zu zerstreiten.
Wichtiger jedoch ist die Kopplung dieses neuen Antifaschismus an den Diskurs über
den Wirtschaftsstandort Deutschland. War früher das »Ansehen Deutschlands im
Ausland« tonangebend bei der Ächtung rechter Umtriebe, wird die Rede vom
Rassismus als »schlimmster Investitionsblockade im Osten« immer bedeutsamer -
nicht nur bei den Grünen. Zwar wurden die rassistischen Pogrome auch Anfang der
Neunziger als Hindernis für die Wirtschaft bezeichnet, allerdings wenig glaubwürdig.
Wenn heute hingegen Fischer erzählt, er habe mit Programmierern in Indien
gesprochen, und die hätten Angst, nach Deutschland zu kommen, leuchtet das
irgendwie mehr ein.
Die Greencard und neuerdings die Bluecard-Policy im neuen
einwanderungsfreundlichen Deutschland machen's möglich. Die von CDU bis PDS
parteiübergreifend und von der IHK bis zum DGB klassenübergreifend erhobene
Forderung nach einem härteren Vorgehen gegen Nazis ist daher auch im Lichte der
neuen Einwanderungsmaximen zu sehen. Die Staatsapparate beanspruchen in Zeiten
einer Neuzusammensetzung der Arbeitskraft ihr Monopol auf den Rassismus, also die
Entscheidung darüber, wer rechtmäßig hier leben darf bzw. wer nützlich ist für die
Gemeinschaft und wer nicht. Nazis und applaudierende Normalos sind da zur Zeit
nicht gefragt. Zu undifferenziert werden Leute nach Kriterien der Haut- oder
Haarfarbe durch die Straßen gejagt, ohne dass man sie vorher nach Qualifikationen
und Jahreseinkommen fragte.
Selbst wenn man den Nachhaltigkeitseffekt einer Staats-Antifa zu Recht anzweifelt,
so ist doch jeder Faschist im Knast ein weniger lebensgefährlicher Faschist. Auch zu
begrüßen wäre es, wenn es im Zuge - oder besser im Windschatten - dieser
Kampagne gelänge, die Gleichsetzung von Links und Rechts in einem abstrakten
Extremismusbegriff zu revidieren oder wenigstens anzugreifen. So weigern sich
beispielsweise die Initiativen im vom Land Brandenburg getragenen »Aktionsbündnis
gegen Rechtsextremismus«, sich in eines »gegen Extremismus« umbenennen zu
lassen.
Die Grünen, die sich an die Spitze der Bewegung stellen wollen, scheinen dabei den
Widerspruch zwischen ihrer Beteiligung an einem staatlichen Rassismus, also am
Fortbestand des Asylbewerberleistungsgesetzes, den alltäglichen Abschiebungen,
dem Grenzregime bis hin zum neuen Staatsangehörigkeitsrecht, und dieser
zivilgesellschaftlichen Kampagne im Sinne einer Arbeitsteilung lösen zu wollen. In der
Regierung müsse man »kühl, pragmatisch und professionell« handeln, als Partei
dagegen die »Menschen mobilisieren«, erklärt Fischer. Staatliche Politik, so die Logik,
folgt Sachzwängen und ist daher rational, während die Neonazis entweder schlecht
erzogen oder dumm sind.
Wenn Teile des Regierungslagers eine antirassistische Mobilisierung wollen, so bleibt
nur zu hoffen, dass sie über deren Inhalte und Ziele genausowenig Kontrolle haben
werden wie umgekehrt beim Rassismus. Sollen ihnen die Widersprüche auf die Füße
fallen.
jungleworld, 2. August 2000
von serhat karakayali