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"Stolz darauf, ein Kanak zu sein"

Ipek Ipekcioglu ist DJane und macht bei der Gruppe Kanak Attak "mit, die eine Perspektive jenseits von Identitätspolitik" anstrebt "Ich fühlte mich nie als Ausländerin, ich wurde dazu gemacht"

Was den Mut zur rhythmischen Bewegung in der Öffentlichkeit angeht, hat Ipek Ipekcioglu so ihre eigene Theorie entwickelt: "Bei Oriental Partys sind die Migranten aus der Türkei die ersten, die tanzen." Also legt Ipek, sobald sie sie sichtet, erstmal türkischen Pop auf. Außerdem weiß sie: Schwule sind experimentierfreudiger. Heteros stehen eher auf Altbewährtes, "so James Brown `I feel good' oder so." Heteras tanzen schneller als Lesben. "Da ist es echt wichtig, wenn du auflegst, vorher anzurufen und zu fragen, was für Leute kommen", lacht Ipek, während sie nachmittags um halb drei in der Oranienstraße noch leicht verschlafen in ihrem Kaffee rührt.

Seit Jahren ist die 27jährige eine gefragte DJane; bis früh um sechs hat sie im Kreuzberger SO 36 aufgelegt. Jetzt noch ein Interview, dann kurz mit der Freundin, die schon ungeduldig am Nachbartisch wartet, ins Grüne, nachts von drei bis fünf der nächste Auftritt im Schöneberger Metropol. Am nächsten Morgen in den Wedding. Am hellichten Tage ist Ipek "Sozial-Pädagogin", wie sie sich selber nennt und betreut junge Migranten.

Ist Ipek ein Kanak? Oder eine Kanaksta? Sie ist 27, Kind türkischer Eltern, in München und im Wedding aufgewachsen, wohnhaft in Kreuzberg. Sie ist Türkin, sie ist Deutsche, sie ist Lesbe. Demnächst zieht sie mit ihrem Bruder zusammen. "Und? Bin ich jetzt eine typische Türkin?" Sie kratzt sich am Ohr, was angesichts der vier Ringe, die sich durch selbiges ziehen, nicht ganz einfach ist. Und sie ist bei "Kanak Attak", einer Gruppe, die sich vorgenommen hat, all diese Zuschreibungen, mit denen auch Ipek immer wieder hantiert, weil sie "auch nur ein Produkt dieser Gesellschaft" ist, eines Tages beiseite zu legen. Das Fernziel: Eine "Perspektive jenseits von Identitätspolitik, von Bildern, die immer nur die anderen machen." Wenn Ipek sagt, sie kommt aus München, fangen Leute an zu lachen. Wenn sie sagt, daß sie auf Frauen steht, wird sie von deutschen Lesben angestarrt: "Du? Was sagen denn deine Eltern?" Sie löst das Haarband, das sie um ihren Tabakbeutel gewickelt hat und dreht sich mit nervösen Fingern die nächste Zigarette. "Ich hab mich nie als Ausländerin gefühlt. Ich wurde zur Ausländerin gemacht."

Kanak Attak, die erstmals vor einem halben Jahr mit ihrem "Manifest gegen Mültikültüralizm, gegen demokratische und hybride Deutsche sowie konformistische Migranten" auf sich aufmerksam machten, sind, anders als die Medien es gerne hätten, nicht die spät erwachende Stimme des Ghettos. Kanak Attak sind Deutsche wie Migranten, Schwule, Lesben, Transvestiten, Künstler, Musiker, Journalisten, die überwiegend aus der Mittelschicht stammen und auf der Suche sind nach dem, was sie eigentlich sind.

Was heißt Kanak, außer daß es gut tut, sich nach dem Vorbild der "Nigger" eines Schimpfwortes selber zu bemächtigen? "Vielleicht ist das eine Leerstelle", sagt Jochen Becker, Kulturjournalist und so etwas wie der Pressekontaktmann der Berliner Kanak Attak-Gruppe. Ipek: "Ein Kanak ist ein Mensch mit ganz vielen Seiten." Bei dem ersten öffentlichen Kanak Attak-Treffen im SO 36 vor vier Wochen kamen die Besucher aus dem Definieren gar nicht mehr raus: "Für die einen ist ein Kanak ein Migrant der dritten Generation in Kreuzberg, für die anderen alle Türken", sagt Ipek. "Und dann: Ist ein Franzose ein Kanak? Ein Schwuler?" Dabei hat die Macher gerade das Problem gereizt, sich zu definieren, das Lancieren zwischen Macht und Ohnmacht, Differenz und Vielfältigkeit, der Spaß am Sich-Selbst-Definieren. Laut Manifest will Kanak Attak Plattform sein für all die, "denen die alte Leier vom Leben zwischen den Stühlen zum Hals heraushängt und die den Quatsch vom lässigen Zappen zwischen den Kulturen für windigen, postmodernen Kram halten. Kanak Attak fragt nicht nach dem Paß und der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach Paß und Herkunft." Und: Die Leute kommen, wollen mitmachen. 300 Leute saßen beim ersten Treffen, neugierig, kritisch, gespannt. "Da ist ein Bedürfnis", sagt Ipek, "etwas zu tun, aus diesen Mustern rauszukommen, Fragen zu stellen." "Vielleicht", sinniert Jochen Becker, "heißt Kanak Attak einfach: Wir sind da!"

Der prominenteste Vertreter von Kanak Attak heißt Feridun Zaimoglu, lebt in Kiel und hat drei vor allem von deutschen Kulturschaffenden vielbeachtete Bücher geschrieben. Das bekannteste, "Kanak Sprak", ist eine heftige Abrechnung mit wohlmeinenden Integrationsbemühungen und läßt die dritte Generation, zu der der "Abiturtürke" Zaimoglu selber zählt, zu Wort kommen: Mit Hilfe der "Kanak Sprak" wird Front gemacht gegen das verhaßte "Assimil" und "Liberalpissetrinker": "Ich mach dich Krankenhaus", heißt es da oder "Brauchst Du hart?". Zur Zeit sitzt Zaimoglu an einem Filmprojekt. Der Titel steht schon fest: Kanak Attack - mit ck.

Letzteres sei auch gut so, finden die Berliner Kanak Attak-Leute, die nicht ständig mit ihrem vermeintlichen Frontmann verwechselt werden wollen. "Es ist gut, daß es Feridun gibt, weil er den Blick auf die Straße lenkt", sagt Becker, "andererseits hat dieses Ghetto-Image eben auch einen gewissen fragwürdigen Chic, der von der Gesellschaft begeistert aufgesogen wird." Den Kreuzbergern jedenfalls ist es bisher nicht gelungen, die Ghetto-Jugend für sich zu begeistern. Wenn Becker noch zögerlich ansetzt, zu sagen "naja, sie waren ja da", wird Ipek deutlicher: "Es ist auch für uns schwierig, die Kanaken auf der Straße zu erreichen." Dabei verbindet Kanak Attak mit letzteren sozusagen der zweite Teil dessen, was Ipek "doppelte Mandatschaft" nennt: "Das System in Frage zu stellen, ist das eine. Das andere ist, in den einzelnen Communities zu arbeiten. Als gepiercte Lesbe bin ich unter Türken vielleicht mehr ausgegrenzt als unter Deutschen."

Der Tagesspiegel (Berlin), 24.06.1999 von Jeannette Goddar