P R E S S E
Heimat gefunden, Zaun gezogen

Harald Jähner

berliner zeitung 17.04

Vor einigen Jahren entwendeten ein paar junge deutsche Türken das Schimpfwort Kanake aus seinem Zusammenhang und münzten es in etwas Stolzes um. Der Kieler Schriftsteller Feridun Zaimoglu nannte seinen kraftvoll und empfindsam in der Gegend von Bahnhof und Werft kultivierten Pidgin-Stil Kanaksprak und erweiterte damit den naturalistischen Zweig der deutschen Literatur beträchtlich.

Was damals auch als Fußtritt in den Magen der saturierten Kultur gemeint war, kam dort erstaunlich gut an - viel zu gut: Das Migrantennetzwerk "Kanak Attak" beschloss jetzt, sich die Lorbeeren zurückzuholen und die allzu rasch verschlissene Provokation neu zu beleben: In der Volksbühne wurde am Karfreitag eine Art Kongress als Passionsgeschichte und erneuter Aufstand der Kanaken zelebriert. Unter dem Titel "Kanak Attak - Dieser Song gehört uns" wurden geistige Grundstücksgrenzen abgesteckt. Gegen den wachsenden "Kanakchic" in den Medien, wo "Assimil-Kueltuer-Kanaken" als "Kofferträger des Multikulturalismus" benutzt würden, besann man sich auf die Ästhetik des Widerstands. Die Kanak History Revue "OpelPitbullAutoput" erinnerte im Stil des Agitprop-Theaters, angereichert durch ein paar Rap-Songs und dokumentarische Videos, an die Eltern- und Großelterngeneration, die "Kanaken der ersten Stunde". Opa Murat und Oma Eminem mussten als "Aktivisten der ersten Generation" mit ihren vereinzelten Streiks gegen schlechte Wohnheimbedingungen und die Leichtlohngruppen in den sechziger Jahren dazu herhalten, den Jungen das kollektive Fäusteschütteln vorzuspielen.

Doch der Funke wollte nicht recht überspringen, obwohl das vorwiegend junge, vorwiegend deutschstämmige Publikum aufs Äußerste entschlossen schien, das Kanaken-Leid stellvertretend mit zu fühlen, gibt es doch "immer wieder Leute, die wie Scheiße behandelt werden". Einer verlas ein Flugblatt ("Ausländer wehrt euch endlich"), während ein anderer mit der Faust seinen Rücken bearbeitete, so dass er hinreißend japste: Der plakative Formenkanon des Agitprop-Theaters verpuffte selbst bei den Bestwilligen in höflichem Applaus. Das Publikum reagierte reserviert und mit gutem Instinkt. Denn dass "Kanak Attak", deren Identität sich einmal aus unsteter kultureller Mischung speiste und aus dem Gefühl, weder hierhin noch dorthin zu gehören, nun eifersüchtig das geistige Eigentum pflegen und revolutionäre Stammbaumforschung und Ahnenverehrung betreiben, markiert in Wahrheit das Ende der Provokation.

Wo die einst selbstbewusst Heimatlosen nun geistige Heimat in der Laube beziehen ("Dieser Song gehört uns"), ist die Assimilation gelungen.