P R E S S E
Der Kanak-Aha-Effekt

Was hat »OpelPitbullAutoput« mit Antirassismus und Subjektivität zu tun? Ein Gespräch mit kanak attak

In der Berliner Volksbühne fand am letzten Freitag eine lange Nacht des Antirassismus statt. Kanak Attak, ein seit drei Jahren in verschiedenen Städten organisiertes Bündnis, präsentierte mit der Revue »OpelPitbullAutoput« die nicht erzählte Geschichte des Widerstands und der alltagspolitischen Dissidenz von MigrantInnen in der BRD seit den fünfziger Jahren. Featuring: Kanak Attak; Moderation: Katja Diefenbach und Sabine Grimm.

Ihr habt in eurer Revue unter anderem die sozialen Auseinandersetzungen der siebziger Jahre auf die Bühne gebracht: Mietboykott, Betriebskämpfe und wilde Streiks. Warum ist es euch wichtig, eine historische Verbindung zu Betriebs- und Wohnkämpfen zu ziehen?

Manuela Bojadzijev: In den neunziger Jahren blieb der Antirassismus oft abstrakt und stark auf Aufklärung beschränkt. Er verband sich nicht mit anderen sozialen Kämpfen. Zum einen waren die militanten Auseinandersetzungen in der Fabrik, der Uni und den Stadtteilen relativ marginalisiert. Zum anderen wollte eine Reihe von linken AktivistInnen gegen den erstarkenden Rassismus und Nationalismus einen neuen politischen Aufbruch organisieren.

In den siebziger Jahren hat dagegen das begriffliche Bewusstsein von der Eigenständigkeit des rassistischen Herrschaftsverhältnisses gefehlt. Es gab alltägliche spontane und organisierte Praktiken, mit denen sich MigrantInnen immer wieder gegen Rassismus zur Wehr gesetzt haben. Aber sie wurden auf ambivalente Weise sowohl in andere soziale Auseinandersetzungen integriert als auch unter den Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung subsumiert. Wir wollten diese Geschichte migrantischen Widerstandes erzählen, weil sie vielen Leuten unbekannt ist.

Viele Äußerungen von Kanak Attak klingen so, als ob ihr marxistischen Operaismus in die Rassismustheorie importieren wolltet. Macht ihr Anleihen bei diesem Ansatz und begreift so die Praktiken von MigrantInnen als einen Motor der historischen Auseinandersetzungen?

Vassilis Tsianos: Operaismus in der Rassismustheorie finde ich eine schöne Formulierung. In unserer theoretischen Praxis arbeiten wir tatsächlich an einer widerstandstheoretischen Perspektive, aus der wir Rassismus analysieren und kritisieren wollen. Dabei geht es nicht so sehr um MigrantInnen als Subjekte, sondern vor allem um eine Konzentration auf die Dynamik der Kämpfe.

Das heißt, wir verstehen Antirassismus nicht bloß als eine Reaktion auf staatliche Repression. MigrantInnen haben zum Beispiel auf den Anwerbestopp von 1973 damit geantwortet, hinter dem Rücken der neuen Abschottungspolitik die Familienzusammenführung als ein Instrument für Einwanderung zu benutzen. Dieses Wissen um die eigene geschichtliche Aktivität, diese operaistische Sichtweise, ermöglicht MigrantInnen ein anderes politisches Bewusstsein. Das ist der Kanak-Aha-Effekt.

In gewisser Weise löst ihr mit diesem politischen Ansatz die Kämpfe von MigrantInnen aus der Geschichte der Neuen Linken und schafft eine Selbstreduktion auf migrantischen Widerstand.

Michael Willenbücher: Es ging uns um die Artikulation von antirassistischen Praktiken in den Betriebskämpfen. Aber das kann man natürlich nicht von dem internationalistischen Anspruch, der damals in der Linken existierte, abtrennen. Rassismus wurde erst zu einem Zeitpunkt thematisiert, als die Phase der Arbeitskämpfe mit starker migrantischer Beteiligung längst vorbei war. Wir haben uns gefragt, was sich in den Arbeitskämpfen der sechziger und siebziger Jahre jenseits der Parole »Ein Gegner, ein Kampf!« artikuliert hat. Was gab es an Widerstand von MigrantInnen, der nie als eigenständiges Handeln dokumentiert wurde?

Bojadzijev: Es wäre falsch, die Geschichte einfach umzudrehen und eine Kontinuität des Widerstands von EinwandererInnen zu behaupten. Mit der »OpelPitbullAutoput«-Revue haben wir versucht, die Geschichte als diskontinuierlichen Verlauf von Ereignissen darzustellen und nicht nur die organisierten Formen von Widerstand, sondern auch alltägliche Situationen zu erzählen.

Mit eurer Revue habt ihr zwar eine detaillierte Rekonstruktion dieser Geschichte geleistet, aber zur aktuellen politischen Situation wenig gesagt. Die Revue endete mit einem sehr allgemeinen und sehr pathetischen Aufruf zur migrantischen Selbstverteidigung. Wie wollt ihr diese ästhetische Repräsentation von Hass und Militanz in konkrete politische Praktiken übersetzen?

Bojadzijev: Es stimmt, dass wir in der Revue zur aktuellen Situation wenig gesagt haben. Wir haben in den letzten drei Jahren sehr stark auf dieses Projekt hingearbeitet: die Geschichte des antirassistischen Widerstands und der Migration in Deutschland sichtbar zu machen. Gleichzeitig fanden an dem Abend Diskussionen zu aktuellen Auseinandersetzungen statt, etwa zur Residenzpflicht. Wenn man die Ebene der Militanz heute überhaupt ins Spiel bringen will, ist es eine Voraussetzung, sich der Geschichte von migrantischen Praktiken bewusst zu werden.

Gleichzeitig bleibt natürlich zwischen dem Aufruf zum Widerstand auf der Bühne und der materiellen politischen Praxis immer eine Lücke. Im Moment interessieren wir uns unter anderem für einen europäischen Zusammenschluss von selbstorganisierten migrantischen Gruppen. Darum wird es im kommenden Herbst auf einer Konferenz in Straßburg zu den Themen Residenzpflicht, Legalisierung, Bürger- und Wahlrechte gehen, die der Mouvement d'Immigration et de Banlieue (MIB) aus Paris mitorganisiert.

Massimo Perinelli: Unsere Arbeit findet auf mehreren Ebenen statt. Eine davon ist die konkrete Arbeit in verschiedenen Städten. Neben der Vorbereitung der Veranstaltung in der Berliner Volksbühne haben wir Diskussionen zur Green Card, zur Leitkultur-Debatte und zu Kanak Chic organisiert. Es gab schon direkt nach der Revue Angebote, sie woanders aufzuführen. Wir werden uns aber definitiv nicht auf eine Art Entertainment-Club reduzieren lassen.

Ihr seid in Frankfurt und Berlin zusammen mit VertreterInnen der Flüchtlingsorganisation The Voice aufgetreten. The Voice vertritt ein ganz anderes Konzept der antirassistischen Arbeit. Sie argumentiert mit der Universalität des Menschenrechts, das ihnen in der BRD quasi wie in einem Apartheid-Staat verwehrt wird.

Perinelli: Das wir in der Analyse auseinandergehen, ist klar. Wenn man tatsächlich zusammenarbeitet, ist man automatisch mit anderen Positionen konfrontiert und wird sich im produktiven Sinne von »gemeinsam kämpfen« streiten müssen.

Bojadzijev: Das Thema der Mobilität, wie es in der Residenzpflichtkampagne angesprochen wird, ließe sich um die Frage der sozialen Mobilität erweitern. Das betrifft nicht nur, aber sehr stark MigrantInnen. Im Grunde geht es um die soziale Misere der Leute, um Diskriminierungen in Bereichen wie Bildung, Wohnen, Arbeit. Hier müsste eine Kritik der Politik rassistischer Stratifikation ansetzen. Die ausländerpolitische Trennung von MigrantInnengruppen lässt sich nicht einfach durch den Appell, »wir müssen jetzt zusammenhalten«, angreifen.

Man merkt eurer Arbeit an, dass ihr an zwei Punkten interessiert seid: das Verhältnis von Kapitalismus und Rassismus zu diskutieren und das Gewicht der antirassistischen Praktiken von MigrantInnen deutlich zu machen. Die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen bleibt bei euch vollkommen ausgeblendet.

Bojadzijev: Diesen Aspekt haben wir nur mit unserem Projekt der historischen Sichtbarmachung bearbeitet. In der Revue gab es zum Beispiel die Erzählung von dem Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss, einem Metallverarbeitungsbetrieb, in dem Vergaser für Autos und Flugzeuge produziert wurden. Dort haben Immigrantinnen in den siebziger Jahren einen der erfolgreichsten wilden Streiks organisiert, bei dem die Abschaffung der unteren Lohngruppen und eine Lohnerhöhung durchgesetzt werden konnten.

Minu Haschemi: Wir hatten ein Problem damit, an die Revue rein additiv einen Extrapart über Geschlechterverhältnisse anzuhängen. Dieses Moment zu einem konstitutiven Teil zu machen, haben wir nicht geschafft. Dadurch sind sicher auch entscheidende Aspekte nicht thematisiert worden. Es gab und gibt zum Beispiel eine unabhängige Migration von Frauen, die nicht über den Familiennachzug läuft. Hier betritt man ein Feld, auf dem sich kapitalistische, geschlechtliche und rassistische Herrschaftsformen überlagern: Es geht darum, dass Migrantinnen im untersten Sektor der industriellen Produktion tätig sind; es geht um Sexarbeit und um die zunehmende Arbeitsteilung unter Frauen, bei der MigrantInnen im Haushalt arbeiten, während deutsche Frauen lohnarbeiten gehen.

Im Juli will die Einwanderungskommission die Reform des deutschen Reinheitsgebotes für Migration bekanntgeben. In den letzten zwei Wochen hat sich die Debatte darum verschärft. Wie wollt ihr in die Politik von Deutschkurszwang, Integrationsverträgen und selektiver Zuwanderung intervenieren?

Tsianos: Die neue Kanakophilie, diese scheinbare Wende in der Einwanderungspolitik entlang des ökonomischen Kalküls, »wer ist nützlich, wer nicht«, muss grundsätzlich angegriffen werden, solange nicht thematisiert wird, was diese Debatte unterschlägt: das Schicksal der illegal in Deutschland lebenden Menschen. Diese ganze Einwanderungsdebatte sollte von allen antirassistischen Organisationen taktisch damit gekontert werden, eine Legalisierung der Menschen zu fordern, die hier illegal leben.