T X T E zur R E V U E
Kanaken gegen Nazis - Amateurfußball, eine Spirale der Ethnisierung?

von Klaus Walter

"Hört doch endlich auf, euch dauernd zu beschweren!" Mein Zuruf galt gegnerischen Spielern, die ständig beim Schiedsrichter reklamierten, wo doch klar war, dass der es nicht besser kann. Schließlich spielte hier die Reserve der Bezirksliga Frankfurt, drittunterste Klasse. Da muß man froh sein, wenn überhaupt einer pfeift. "Was heißt das? WIR beschweren uns dauernd?", brüllte einer zurück, kam auf mich zu und schrie mir ins Gesicht: "Was meinst du damit: WIR beschweren uns immer?" Ich kannte ihn, wir hatten oft gegeneinander gespielt, auch früher in der ersten Mannschaft, nun waren wir beide älter. Er ließ sich nicht beruhigen und mir wurde langsam klar warum. Es spielte der SC Weiß-Blau Frankfurt gegen den TuS Makkabi Frankfurt. Es spielten Deutsche gegen Juden. Da spielt es keine Rolle, dass bei Makkabi mehr Spieler einen deutschen Paß haben als bei Weiß-Blau. Petitessen. Wenn schon die Frankfurter Oberbürgermeisterin den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde öffentlich fragt, wann er zuletzt "in seiner Heimat" gewesen sei. Roth meinte Israel, Bubis lebte jahrzehntelang in Frankfurt. Ich konnte meinem Gegenspieler nicht verständlich machen, dass mir seine ewigen Reklamationen gegenüber dem Schiedsrichter auf die Nerven gingen, und nicht die ewigen Reklamationen der Juden gegenüber den Deutschen. Das war Mitte der 90er. Mein erstes Spiel gegen Makkabi machte ich Ende der 70er für den inzwischen aufgelösten FC 66, ein Club aus einer damals noch so genannten Arbeitersiedlung, zu dem ich als einziger "Student" zufällig gekommen war. Makkabi kam als designierter Meister, wir standen als Absteiger fest. Sie nahmen uns auseinander. Im Tor von Makkabi stand Henry Müller und hatte nichts zu tun. Henry Müller genoß einen gewissen Ruf im Frankfurter Amateurfußball. Begnadeter Torwart, aber faul und unberechenbar. Seinen Vornamen und seine dunkle Haut verdankte das "Besatzungskind" seinem Vater, einem GI, den Nachnamen seiner Mutter, einer "Amihure". Fußballer mit dunkler Haut waren damals noch rar. Henry Müller stand beschäftigungslos im Makkabi-Tor, sein Team führte fünf oder sechs zu Null, als einer seiner Verteidiger sich einen Scherz erlaubte. Seinen Namen weiß ich heute noch, er hieß Ethan. Ethan wurde an der Mittellinie angespielt. Anstatt den Spielaufbau seiner hochüberlegenen Mannschaft fortzusetzen dreht er sich rum und rennt mit Ball auf Henry Müllers Tor zu. Aus etwa achtzehn Metern schießt er aufs eigene Tor, der Ball fliegt Richtung Winkel. Henry Müller fliegt Richtung Winkel, katzenhaft, und lenkt den Ball zur Ecke. Die Makkabi-Spieler lagen auf der Erde vor Lachen, konnten sich nicht mehr einkriegen vor Begeisterung. Der Schiedsrichter war zu blöd oder zu feige, um Ethans Aktion regelgerecht als "unsportliches Verhalten" zu ahnden. Meine Mitspieler waren empört. Im Spiel waren wir schon hinreichend vorgeführt worden. Diese Demütigung ging eindeutig zu weit. Und das von Juden. Den hat man wohl vergessen beim Vergasen. Ethan wurde bedroht. Besonnenere Akteure versuchten zu beschwichtigen: Wir haben ja nichts gegen Juden, aber so arrogant müssen sie uns ihre Überlegenheit ja auch nicht vorführen. Ähnliche Reaktionen provozieren heute Vertreter jüdischer Organisationen, die für die "Entschädigungs"zahlungen an Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus kämpfen. Hier und da wird Verwunderung laut, dass da gewiefte bis knallharte Advokaten aus den besten Kanzleien Manhattans mit harten Bandagen die Interessen ihrer Klienten durchzuboxen suchen. Offenbar hatte man devote Juden in KZ-Uniform erwartet.
Im Herbst 2000 reden erstmals Funktionäre des TuS Makkabi öffentlich über zunehmende antisemitische Aktivitäten und Äußerungen auf dem Fußballplatz. Die Vereine und der Hessische Fußballverband hätten das Problem heruntergespielt, daher sehe man sich zu diesem Schritt gezwungen. "Drei Monate sind wir gegen eine Wand gelaufen" (Der Makkabi-Vorsitzende Dieter Graumann in der Frankfurter Rundschau). Zur selben Zeit versuchen Bürgerinitiativen - in der Tat: Initiativen von Frankfurter Bürgern - zu verhindern, dass die Untermainbrücke in Ignatz Bubis-Brücke umbenannt wird. Ein halbes Jahr später sollten die Republikaner Wahlplakate kleben auf denen nichts steht als: "Ignatz Bubis-Brücke".

"Die Schweden sind keine Holländer - das hat man ganz genau gesehen." (Franz Beckenbauer)

Ende der Achtziger spielten wir mit Weiß-Blau für ein paar Spielzeiten um die Meisterschaft. Zu den härtesten Konkurrenten zählte der FC Maroc. In unserem Verein spielten bis dahin keine Marokkaner, einige Kroaten, ein Spanier war eine Zeitlang Trainer, durchweg assimilierte Männer der zweiten oder dritten Migranten-Generation, die viel zu gut deutsch sprechen & leben konnten, um als Kanaken bezeichnet zu werden. Der gängigste Verstoß gegen die prekäre Etikette war noch: einen Kroaten "Jugo" nennen. Das wird nicht gern gehört. Maroc also. Gab immer Ärger. Auch mal eine Massenschlägerei. Das vorentscheidende Spiel der Saison fand auf dem verschneiten Hartplatz des FC Maroc statt. Der gefrorene, rutschige Boden trug nicht zur Beruhigung bei. Wie immer war der Gegner technisch überlegen, wie immer versuchten wir das mit kämpferischen Mitteln auszugleichen. Tief in der eigenen Hälfte unterläuft mir ein Foul. Der Gegner am Boden, Schmerzen. Tief aus der gegnerischen Hälfte kommt der Maroc-Libero, guter Fußballer mit Hang zum gestreckten Fuß, sichtlich aufgebracht, man könnte auch sagen wild gestikulierend, rennt über 50 Meter zum Tatort im Mittelfeld, wo doch bloß ein normaler Mittelfeldfreistoß rausspringt, nicht mal eine gelbe Karte. Er rennt und rennt und rotzt einen gelben Brocken in meine Richtung, einen von ganz tief unten hergeholten gelben Brocken, dessen Größe, Konsistenz und Gewicht mir erst annähernd dämmern, als er hinter mir in der dichten Schneedecke einschlägt. Später würde ich behaupten, ich hätte den Luftzug gespürt, stimmt vielleicht auch. In diesem Moment war ich bereit: "Ich habe deine Mutter gefickt, Scheiß-Maroc." Ich habe es dann doch gelassen.

"Ach, auch noch ein Holländer, das sind sowieso alles Arschlöcher, und du bist wohl vergessen worden von Adolf." (Lothar Matthäus 1993 auf dem Oktoberfest zu einem Holländer)

Saison 1999/2000: Inzwischen spielen auch Marokkaner für meinen Verein, ich verfolge das nur noch als Zuschauer, früher war alles besser. Nie war einer besser als Karim. Der begabteste und eleganteste, den ich je gesehen habe in der Bezirksliga, und sicher einer der narzißtischsten. Wenn er gut ist, ist er typisch marokkanisch, wenn er schlecht ist erst recht. Wenn er gut ist, hat er vor dem Spiel wieder gekifft, wenn er schlecht ist erst recht. Jedes gelungene Dribbling ist mentalitätsbedingt, jede Reklamation beim Schiri erklärt sich aus seinem arabischen Temperament, jedes nicht erfolgte Abspiel wie jeder geniale Hackentrick, alles liegt in den Genen. Über jede, aber auch jede Aktion (oder Nichtaktion, faule Araber) wird das Netz der Ethnisierung geworfen.
"Soll ich etwa ein Lagerfeuer im Wohnzimmer machen?", hat Anthony Yeboah gefragt auf die Feststellung des "Kicker", er wohne "wie ein deutscher Musterbürger".
Karim schoß zwei, drei der sagenhaftesten Tore, die ich je gesehen habe, auch außerhalb der Bezirksliga, und wurde schließlich abgeworben. Vom TuS Makkabi. Mit ihm zwei weitere Spieler meines Vereins, zwei Brüder, Marokkaner. Marokkaner bei den Juden? Ob das gutgeht? Das erste, was wir von Karim hören, ist eine rote Karte. Typisch. Schlimm kann es nicht gewesen sein, zwei Wochen später liest man von seinem ersten Tor. Die beiden Brüder, wird erzählt, kommen nicht so gut zu recht. Die Mentalität. Juden und Araber eben. Und Karim? Naja, Karim spielt da, wo´s Geld gibt, sagt unser Spielauschußvorsitzender. Und bei den Juden gibt's ja genug Geld.
Als in den 70er Jahren die ersten "ethnischen" Fußballvereine gegründet wurden, verkaufte der DFB das als integrationsfördernde Maßnahme im Dienste der Völkerverständigung. Tatsächlich werden bei türkischen, bosnischen oder iranischen Clubs bis heute Leute integriert, die anderswo ausgeschlossen sind. Die Vereine leisten kostenlose Sozialarbeit für Randgruppen, um die sich kein Staat mehr schert. Sie stiften ein bißchen Heimat in der Fremde und sie gründen Kleinstaaten. Die Balkanisierung des Balkans spiegelt sich im Vereinswesen deutscher Großstädte. Wenn in Frankfurt der FC Kosova, KSG Bosnien Herzegowina, Croatia und der serbische FC Tempo in einer Klasse spielen, dann droht die Fortsetzung des Krieges auf dem Fußballplatz. Wenn mein Verein gegen Croatia spielt, dann spielt Deutschland gegen Kroatien, auch wenn es passieren kann, dass beim SC Weiß-Blau mehr Kroaten auf dem Platz stehen als beim FC Croatia. Wenn mein Verein gegen Bockenheim oder Bornheim spielt und es gibt Ärger, dann ist das Ärger zwischen zwei Vorortclubs. Wenn es zwischen Weiß-Blau und Croatia Ärger gibt, dann ist es Ärger zwischen Deutschen und Jugos. Gegen diese Spirale der Ethnisierung helfen auch selten Schiedsrichter. Je niedriger das fußballerische Niveau, desto niedriger ist das Niveau der Unparteiischen. Die kommen in der Regel aus einem unparteiischen Dorf, sind aber in der Regel Deutsche. Und wer sich freiwillig für eine Rindswurst, ein Pils und Fahrgeld Sonntag für Sonntag zwei Stunden lang beschimpfen läßt, dem wird manchmal nicht zu Unrecht unterstellt, dass er nur Schiedsrichter spielt, weil er sonst nichts zu melden hat. Viele Schiedsrichter, zumal in den unteren (Spiel-)Klassen, agieren ihren normalen Rassismus mit der Pfeife aus. Gerne leiten sie das Spiel wie ein Feldherr die Schlacht und reagieren empfindlich, wenn Ausländer sich lautstark aber unverständlich beschweren. Dann erteilen sie Verwarnungen und Platzverweise und werden dafür von den Kanaken als Nazis beschimpft. Manche brechen dann das Spiel ab und rufen die Polizei.

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