T X T E zur R E V U E
Fern von Vietnam - Ho Chi Minh/Rostock/Buntgarnwerke


BüroBert kommentiert einen Film von Godard, Guernera, Ivens, Klein, Lelouch, Marker, Rey, Varda

Auszüge aus der Einführung zu Loin du Vietnam aus Anlaß der Medienbiennale94 in Leipzig, welche in den leergeräumten Fabrikhallen des ehemaligen 'e2VEB Buntgarnwerke angesiedelt waren. Hier waren bis zur Schließung in Folge des Anschlusses der DDR an die BRD vor allem VertragsarbeiterInnen aus Vietnam beschäftigt.
Halfen seit Beginn der 80er Jahre die im Fünf-Jahres-Turnus befristet in den Fabriken arbeitenden VietnamesInnen sowohl der DDR, ihren Arbeitskräftemangel zu kompensieren, als auch der Sozialistischen Republik Vietnam, nachkriegsbedingte Arbeitslosigkeit und Geldmangel auszugleichen, befanden sich nach der Wende VertragsarbeitnehmerInnen unter den zuerst Entlassenen.
Ab 1978 wurde die Produkion im Betrieb laufend gesteigert. Es wurde in fast allen Abteilungen im 3-Schicht-Turnus gearbeitet. Dabei betrug der Frauenanteil ca. 73%. Obwohl auch ständig die Produktivität, d.h. kg Garn/Beschäftigter stieg, reichte das Kammgarnaufkommen in der damaligen DDR nicht. Ein wichtiger Grund war auch der ständige Rückgang der Arbeitskräfte in der Textilindustrie.
Zunehmend kamen deshalb ausländische Arbeitskräfte zum Einsatz (Moçambique, Kuba, Vietnam). Mehrere hundert waren hier beschäftigt. Der Integrationsprozeß dieser Menschen verlief dabei sehr harmonisch. Am längsten, teils über 10 Jahre, waren Moçambiquaner im Einsatz. Sie waren auch als Hilfsmeister, Vorarbeiter und Monteure tätig.
Klaus Fischer, ehemals Betriebsdirektor der Buntgarnwerke Leipzig12
Die Anwesenheit von Ausländern in der DDR war - schaut man sich die Konditionen der VertragsarbeiterInnen an - von eher symbolischer Natur: Eine Integration war nicht erwünscht. Ihr Dasein stand für den sozialistischen Internationalismus, die Zusammenarbeit im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RWG) und nicht zuletzt für die Solidarität mit den nationalen Befreiungsbewegungen. (In der BRD wurden Ende der 70er Jahre die Boat-People eher als Opfer des Regimes aufgenommen, und nicht aus Solidarität mit den Siegern des Vietnamkriegs.)
Die Regierungsabkommen und die Mechanismen ihrer Verwirklichung sowie die Planwirtschaft der DDR garantierten den ausländischen Arbeitskräften den Arbeitsplatz. Der Arbeitsvertrag konnte nur dann vorzeitig aufgelöst werden, wenn Verstöße gegen die Strafgesetze oder wiederholte andere Rechtsverletzungen begangen wurden. Die vorzeitige Auflösung des Arbeitsvertrags hatte zwangsläufig die Rückführung oder Abschiebung in die Heimat zur Folge. Zumindest bei vietnamesischen Frauen war auch Schwangerschaft ein Grund für die Rückführung in den Heimatstaat.
Trong Cu, ehemaliger Mitarbeiter des Leipziger Ausländerbeauftragten
1985 fixierte ein Zusatzprotokoll, daß nicht mehr die Ausbildung der jungen VertragsarbeiterInnen im Vordergrund stehe, sondern deren Arbeitskraft. Die Arbeitsfähigkeit wurde somit zum wichtigsten Kriterium. Meist verrichteten die VertragsarbeiterInnen einfache Arbeiten (Fließband, Stanzen, Wäscherei, Näherei). Die Nachtschichten im Buntgarnwerk wurden beinahe ausschließ'a7lich von VertragsarbeiterInnen gefahren - sie hätten ja keine Familie. Sie erhielten die gleiche Bezahlung wie ihre Leipziger KollegInnen und waren sozial- und krankenversichert - allerdings mußten 12% vom Bruttolohn an den vietnamesischen Staat abgeführt werden.
Die VertragsarbeiterInnen wurden ausnahmslos in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Gerade diese zwangsläufige Ghettoisierung setzte sie den rassistischen Attacken nach '89 besonders aus. Zudem standen vietnamesischen BewohnerInnen nach Raubüberfälle oftmals mit leeren Händen da.
Ab November 1989 wurde auf der Leipziger Montags-Demonstration die Parole Deutschland einig Vaterland von der Parole Ausländer raus! begleitet.
Nguyen Trong Cu, ehemaliger Mitarbeiter des Leipziger Ausländerbeauftragten
Laut FAZ vom 7. November 1990 wurden Tausende von VietnamesInnen zurück in ihre Heimat gebracht, sodaß sämtliche Aeroflot-Flüge Berlin-Hanoi außerhalb der 1. Klasse ausgebucht seien. Die Flugkosten trug der deutsche Staat, ebenso eine Abfindung von 3.000 Mark.
1989 befanden sich noch ca. 90.000 VertragsarbeitnehmerInnen aus Vietnam, Moçambique, Kuba, Angola, China und Korea in der DDR, davon waren die größte Gruppe (ca. 60.000) VietnamesInnen.
Viele Betriebe haben versucht, ausländische Arbeitnehmer aus nichtigen Gründen fristlos zu entlassen, um sich ihrer Rechtspflichten zu entledigen und Ansprüche im Zusammenhang mit der vorzeitigen Kündigung abzuwehren.
Nguyen Trong Cu, Leipzig
Teil des Einigungsvertrages nach dem Anschluß der DDR an das Rechtsgebiet der Bundesrepublik war die Regelung des Aufenthaltes von vietnamesischen VertragsarbeiterInnen. In einer vom Arbeitskreis gegen Fremdenfeindlichkeit im Frühjahr 1992 einberufenen Vietnam-Konferenz wurde der Bundesregierung nahegelegt, die ca. 20.000 noch in Ostdeutschland verbliebenen VietnamesInnen den westdeutschen Gastarbeitern oder den über 30.000 ebenfalls aus Vietnam stammenden Boat-People gleichzusetzen. Lediglich mit Nachweis von Wohnung, Arbeitsplatz und Straffreiheit ist ein dauerhafter Aufenthalt möglich.
Eine Große Anfrage der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag im April 93 zur Situation von Ausländerinnen und Ausländern in Sachsen ergab: In Sachsen befinden sich laut Regierungsabkommen 7.317 AusländerInnen, davon 92,3% (6.753) VietnamesInnen. 1.420 VietnamesInnen haben eine befristete, 292 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die übrigen sind geduldet.
China-Restaurants oder fliegende TextilienhändlInnen - die wohlmöglich das verkaufen, was sie in den Buntgarnwerken einmal selbst hergestellt haben, bevor sie und ihre KollegInnen entlassen wurden, da nun die Socken und Jacken in Billiglohnländern produziert werden - sind die verbreitetste Art der Jobbeschaffung.
Lieber verzollt als verknackt. / Zieh mit! / Gegen organisiertes Verbrechen
Bundesministerium der Finanzen
Was wie eine Anti-Zigarettenwerbung aussieht - mit einer zerbrochenen Kippe in Großaufnahme - wendet sich in rassistischen Subtext gegen die fliegenden Händler.
Inzwischen hat sich in Ostdeutschland das Image des zigarettenverkaufenden vietnamesischen Straßenhändlers tief in das allgemeine Bewußtsein der Mediengesellschaft eingeprä'8agt. (...) Es spricht durchaus für das reale Drama, für eine gewisse panikartige Situation, in der die ehemaligen Regierungsabkommens-Arbeiter sich nun befinden. Die Mischung zwischen dem hehren Grundsatz des proletarischen Internationalismus und dem nackten Rotationsprinzip (...) verlieh diesem immerhin einen überschaubaren Rahmen. Gewiß konnte da von einer Integrationspolitik überhaupt keine Rede sein - bekanntlich war dies weder von der DDR noch von der vietnamesischen Seite erwünscht. (...) Jenseits der zollrechtlichen Normen entfaltet sich (durch Straßenverkauf) immerhin eine noch nie dagewesene rege Kommunikationstätigkeit mit der deutschen Bevölkerung, eine entgrenzte Geschäftsfreundlichkeit.
Truong Hong Quang in HinterGründe zur Vietnam-Konferenz
Im August 1994 werden vier Polizisten (sogenannte Ninjacops) aus Leipzig zu Freiheits- und Geldstrafen mit nachfolgender Dienstentlassung verurteilt, da sie mehrfach VietnamesInnen in einen Tageabbau verschleppt, gefesselt, verprügelt, mit Tränengas direkt in die Augen gesprüht und um 500 Mark bestohlen hatten. Ähnliche Polizeiattacken - etwa in Bernau oder Berlin - sind aktenkundig.
"Unsere Erfahrungen besagen, daß Ausländer lange zögern, bevor sie eine Anzeige erstatten. Gerade Vietnamesen, die um ihr Bleiberecht bangen, riskieren doch keine falschen Aussagen. Das würde doch ihre garantierte Ausweisung bedeuten."
Leipzigs Ausländerbeauftragte Stojan Gugutschow
"Gelassen im Gericht: Die vier Angeklagten [Ronny K. (24), Klaus S. (55), Roger A. (33), Günther U. (40)] gaben sich am ersten Prozeßtag siegessicher." Leipziger Volkszeitung vom 8. Juli 1994.
"Das Ende einer Beamtenkarriere: in Handschellen wurde der 24jährige Hauptangeklagte Ronny K. aus dem Gerichtssaal geführt. Er muß drei Jahre und neun Monate hinter Gitter." Leipziger Volkszeitung vom 23. August 1994.

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