T X T E zur R E V U E
VERFESTIGUNG

Jochen Becker, Renate Lorenz: Reistrommel e.V. Gespräch mit Tamara Hentschel am 29.4.98

Die stete Reduzierung von Grundrechten für MigrantInnen wie auch für die in der DDR-Produktion beschäftigten VertragsarbeiterInnen aus Vietnam soll diese außer Landes vertreiben. Einer Verfestigung ihres Aufenthalts wird mit immer neuen Gesetzesverschärfungen, Neuauslegungen von Verordnungen, rassistischen Polizeiübergriffen sowie einem nationalistisch Konsens der Mehrheitsgesellschaft entgegengearbeitet. Inzwischen geht das geplante Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) so weit, daß Flüchtlinge und Zugewanderte bis zu ihrer Ausreise oder zwangsweisen Abschiebung jenseits der Festung Europa “natürlich Essen und Trinken und ärztliche Versorgung, aber nicht mehr erhalten”, zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.6.98 Niedersachsens Innenminister Glogowski.1
Reistrommel e.V. arbeitet als Beratungs- und Selbsthilfeprojekt für und mit VietnamesInnen im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg an der Grenze zu den Randbezirken Marzahn und Hohenschönhausen. Zwischen Großsiedlungen, der Müllverwertungsanlage, einem Bürokomplex und weitläufigen Lager- und Gewerbeflächen ist das Büro auf einem abgeschlossenen Areal angesiedelt. Hier befindet sich neben Räumen des Vietnamesisch-deutsches Kulturzentrums Phon Lan auch ein großes Handelszentrum, welches von VietnamesInnen betrieben wird. Ehemalige VertragsarbeiterInnen wird ein Aufenthaltsstatus nur dann “gewährt”, wenn sie eine legalisierte Arbeit nachweisen können (keine Sozialhilfe, keine Straftaten, “ausreichender” Wohnraum, etc.). Doch nach dem Fall der Mauer wurden die ostdeutschen “Gastarbeiter” als erste entlassen, was zur Festigung der mehrheitsdeutsch-männlichen Kernarbeiterschaft beitrug. Gleichzeitig wurde der Straßenhandel mit Zigaretten illegalisiert und mit der Aberkennung der Aufenthaltsduldung bestraft. So bot der legale Rahmen eines Handelszentrums als Verteilzentrum für Waren die Chance des (ökonomischen) Überlebens. Inwischen existieren zahlreiche gastronomische Einrichtungen sowie weitverzeigte Handelslinien, entlang derer Waren auf ostdeutschen Märkten feinverteilt werden. Diese aus den Erfahrungen der Ausgrenzung basierenden Netzwerke ermöglichen die Verfestigung des eigenen Status durch zunehmende Einbindung in eine kapitalitische Markt/Wirtschaft wie auch einer parallel hierzu existierenden internen Notökonomie.
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Wie entwickelte sich Reistrommel und hierin deine Biographie? Du hast schon zu DDR-Zeiten in einem Wohnheim für vietnamesische VertragsarbeiterInnen gearbeitet?
TH: Das war ganz komisch: Ich bin 1986 nach Marzahn2 umgezogen - das ist ja schon ein Stück aus der Stadt raus - und wollte im näheren Umfeld eine Arbeit haben. Und da wurden bei uns Wohnheime eröffnet. Ich hatte gar keine Ahnung, was das sein sollte und bin abends mit meinem Hund runter gegangen, ob sie jemand suchen. Als ich mich beim Heimleiter vorstellen wollte – ich hatte mich für die Rezeption beworben – da sagt er, nee, die Stelle ist schon besetzt, wenn sie aber Interesse haben, die suchen noch Betreuer in einem Textilbetrieb. Die machen so Betreuung für die Leute - das war die ganze Erklärung. Ich hatte damals als gelernte Näherin, also Bekleidungsfacharbeiterin, bei bei Versina gearbeitet - was jetzt der ‚Metro‘-Großhandelskomplex da drüben ist - und rief direkt in der Kaderabteilung an. Ja komm mal gleich - weil die mich kannten - wir machen einen Arbeitsvertrag. Ich hatte keine blasse Ahnung - einzig eine Sympathie für VietnamesInnen, wegen diesen ganzen Solidaritätssachen durch den Vietnam-Krieg und so, und fand das eigentlich ganz toll, daß sie hier waren. Dann wurde mir erzählt, sie sind so gastfreundlich und laden immer zum Essen ein. Sag ich: was gibt es dann so zu essen? Sagt der Kollege, ja Reis und das und das und das. Sag ich: um Gottes Willen, ich eß ja gar keinen Reis, muß man den essen? Sagt er, naja, das muß man schon machen, sonst ist das unhöflich. Das war meine Einweisung in die Tätigkeit: mit zum Arzt gehen und einkleiden. Das entwickelte sich aber immer mehr in Richtung Kontrollposten.
Und dann habe ich ein richtiges Problem bekommen. Ich hatte bei uns in der Gruppe eine Vietnamesin, die ist schon schwanger gekommen. Ich bin ja zu dem Zeitpunkt selber alleinstehende Mutter von zwei Kindern gewesen, und es war für mich überhaupt nicht akzeptabel, daß man eine Frau als Strafe - weil sie ein Kind geboren hat - abschieben soll. Da war nichts organisiert, sie hatte kein Geld, um ihr Kind zu bekleiden, nichts. Und sie hatte eine Wochenbettpsychose. Als Frau und Kind abgeschoben werden sollten, habe ich was dagegen unternommen. Seitdem war ich da das schwarze Schaf. Nicht nur, daß ich andere kontrollieren sollte, sondern ich wurde selber kontrolliert - bis zu meiner Wohnung. Ich war ziemlich kurz vorm Nervenzusammenbruch und versuchte mich beim Psychologen anzumelden. Vielleicht kann der mir helfen, bis der dann anfing zu quatschen. Da dachte ich: Wenn du dem irgendwas erzählst, dann stecken die dich noch in die Klapsmühle. Das hat ja keiner zugegeben, was sich da abspielte. Offiziell haben sozialistischen Länder Menschen nämlich nicht ausgebeutet. Erst wollten sie mich kündigen, ich wehrte mich, dann haben sie mich strafversetzt. Ich habe im Dezember 1989 eine Gruppe übernommen, vorwiegend Männer. Allerdings habe ich mich dann auch gleich verliebt, in meinen jetzigen Mann. Das war dann Anfang Mai, da hat man mir ein Disziplinarverfahren noch angedroht...

Noch im Mai 1990?
TH: Ja. Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber zum Glück schon Kontakt zur Kirche und zum ausländerpolitischen Runden Tisch.3 Da habe ich sie ausgelacht: hört mal - spinnt ihr ein bißchen? Ich habe meine Kündigungsfrist und den Resturlaub damit verbracht, die Beratungsstelle zu gründen. Bei einer Vietnam-Tagung in der Kirche wurde uns erzählt, was mit dem neuen Ausländergesetz auf uns zukommt. Aus allen Bezirken der DDR wurde von Kündigungswillkür berichtet. Da habe ich gesagt, wenn wir nicht zugucken wollen, müssen wir was tun. Ich bin dann in das Wohnheim und habe mit dem Heimleiter gesprochen. Die standen ja mit der Wende auch auf einmal mit den ganzen Problemen alleine da und waren ganz froh, daß sie eine Betreuung kostenlos kriegen. Sie haben uns einen Wäschetrockenraum zur Verfügung gestellt, wo wir anfangen konnten. Im Januar 1991 haben wir auch zwei ABM-Stellen bekommen. Die Bezahlung war gar nicht so schlecht.
Reistrommel hat sich ein bißchen später gegründet. Wir hatten uns vorher einen Träger gesucht, der hieß BALL e.V., von ehemaligen guten Genossen4, das habe ich aber damals noch nicht so richtig durchschaut. Der Störfaktor - also wir - mußte jedoch schon bald weg. Die wollten uns richtig totmachen, das war ein Verbund zwischen Polizei, Bezirk und Wohnheim.

Wo lag die Konfliktlinie?
TH: Daß wir uns ganz offen auf die Seite der VietnamesInnen gestellt haben, gegen die Polizei und gegen die Wohnheimbetreiber und gesagt haben, was ihr hier macht ist eine Schweinerei. Im August 1993 gab es in Marzahn eine Straßenschlacht zwischen VietnamesInnen und Polizei. Die haben ganz offen die Leute geschlagen und tyrannisiert. Wir hatten dann eine Demonstration unterstützt. Nach dem Vorfall wollten die VietnamesInnen eigentlich die Autobahn sperren. Da haben wir gesagt, das könnt ihr nicht machen, ihr könnt nicht mit einefr Gruppe von Illegalen die Autobahn sperren, da sperren sie euch alle weg - wir machen eine angemeldete Demo. Die haben sie uns dann vollkommen weit weg von den Wohngebieten machen lassen.
Ich war damals im Vorstand des BALL-Vereins, sie haben mich da rausgekippt und uns auf eine ganz linke Art die Räume gekündigt. Wir mußten jetzt eine eigene Rechtsform finden, sofort, und haben innerhalb von 24 Stunden den Verein gegründet. Ich habe nachts die Satzung geschrieben. Wir sind umgezogen, hier nach Lichtenberg gekommen, und haben von der Kirche finanzielle Unterstützung bekommen - mal wieder. Doch nach wie vor haben wir hier einen sehr schweren Stand, aufgrund der Vorgeschichte der Räumung des Wohnheims. Wir haben uns eindeutig auf die Seite der VietnamesInnen gestellt - gegen den Bezirk und gegen die Art und Weise, wie dies abgelaufen ist.
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War es in der Rückschau richtig, die Autobahnsperrung abzuwehren? Man sah etwa bei der Blockade durch KurdInnen in der Nähe von Aachen, wie dies exakt den ‚deutschen‘ Nerv trifft - “was nehmen die sich heraus”. Dies demonstriert zudem eine aktive Rolle: So habe ich in einer ZDF-Reportage überhaupt erst mal mitbekommen, daß es offenen Widerstand gegen die Polizei gab. Mein Medien-Bild von VietnamesInnen in Berlin war bis dahin geprägt: sie fliehen vor der Polizei oder werden geschlagen...
TH: ...die ZDF-Sendung ging aber über die Räumung des Wohnheims zwei Jahre später. Doch zur Straßenschlacht 1993 - das Maß war voll. Es gab die ganze Zeit keinen Widerstand. Die Polizeimaßnahmen gingen schon den ganzen Tag bis zum Abend. Die haben in den Durchgängen VietnamesInnen an die Heizkörper gekettet. Das wurde alles noch ertragen. Aber dann gegen Abend, kurz bevor ich da eingetroffen bin - ich habe gleich noch Leute gesammelt und bin dann hingefahren, da war es schon zu spät - wurde ein Vietnamese am Gestänge im Polizeifahrzeug festgemacht und im Fahrzeug geschlagen. Das hat eine Schülerin gesehen und gebrüllt: “Den schlagen sie ja da drinnen!” Und da ist das Faß übergelaufen.
Was ich nicht wußte: 14 Tage vorher gab es eine Polizeiaktion, wo sie eine Vietnamesin frühmorgens mit vorgehaltener Waffe aus dem Bett geholt haben, die war im sechsten Monat schwanger und das Kind ist zu früh geboren: Die Gefahr bestand, daß es spastisch behindert bleibt oder ob es überlebt.
Es gab viele andere Sachen, die wir zu dem Zeitpunkt überhaupt noch nicht wußten. An dem Tag haben wir versucht, noch ein bißchen Frieden zu stiften zwischen beiden Seiten und wurden ziemlich offen auch von den VietnamesInnen attackiert. Die Polizei ist mit Wasserwerfern und Rauchbomben auf die Leute losgegangen - ob Kinder oder nicht, das war vollkommen egal. Wir hatten dann Rechtsanwälte und Abgeordnete geholt, daß alle wieder rauskönnen, da ist dann wieder dieses Vertrauensverhältnis entstanden. Da wir uns eindeutig verhielten, haben wir geschafft, die ganzen Polizeiübergriffe zu dokumentieren. Sonst wäre das nicht möglich gewesen. Auch so war es sehr schwierig - uns haben die VietnamesInnen es zwar erzählt, aber nicht so, daß sie sich auch mit Namen dahinterstellen.
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Es sind keine Prozesse geführt worden?
TH: Doch, aber die wurden alle eingestellt, jedenfalls hier in Berlin. Der Bernauer Prozeß5 lä'8auft ja noch, da ist ja im Mai die Urteilsverkündigung.
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Gab es Leute, die Aussagen6 gemacht haben?
TH: Etwa hundert Leute in 20 bis 25 Fällen. Recherchiert hat dies größtenteils die Polizei, doch fast alle wurden eingestellt. Nur durch unseren Druck und der Veröffentlichung von Gedächtnisprotokollen kam es überhaupt zum Bernauer Prozeß.
Noch mal zur Autobahnbesetzung: Hätte man so gegen die Polizeiangriffe auf die VietnamsInnen mobilisieren können? Immerhin lagen die Progrome von Hoyerswerda und Lichtenhagen gerade ein Jahr zurü'9fck.
TH: Das Problem bei der ganzen Sache war, daß wir damit total alleine standen und auch keine Erfahrung hatten. Wir hätten Unterstützung gebraucht. Leute als Mittel zum Zweck zu mißbrauchen ist nicht mein Ding und wäre zudem ein großes Risiko gewesen. Die Demo war sehr gut besucht und ist schon registriert worden. Es war erst mal prinzipiell gut, daß die Leute ein Stückchen Selbstbewußtsein bekommen. Bisher haben sie immer gedacht - und auch danach war das immer noch sehr präsent: Sie haben keine Rechte; sie müssen sich alles gefallen lassen. Daß man sich auch auf dem Rechtsweg Rechte holen kann, wenn man die Instrumente kennt, das ist eine wichtige Erfahrung gewesen.
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Was aber jetzt nicht mehr zutrifft für VietnamesInnen, die jetzt kommen oder keinen Aufenthaltsstatus haben.
TH: Wo sollen sie sich Recht holen, wenn es kein Recht gibt. Die ganze Frage des Asyls ist ja mit der Änderung des Grundgesetzes im Grunde erledigt.
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Diese Schlacht war noch kurz vor der abschaffenden Änderung des Asylrechts 1993?
TH: Ja. Der Aufstand ist spontan entstanden. Wir haben soviel ertragen müßen, jede Nacht Razzia und Übergriffe, die Polizei hat denen das Geld geklaut, sie sind ohne Zeugen in die Zimmer gegangen. Und Bernau, diese Übergriffe auf der Straße, waren ja zu dieser Zeit schon gewesen, das wußten wir bloß nicht. Das haben wir erst im Nachhinein recherchiert.
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Chipkarten-Knast
Laut dieser ZDF-Reportage ‚Das Vietnamesen-Ghetto‘ - ein schrecklicher Titel, aber ansonsten fand ich den Beitrag recht erhellend - gab es ja eine richtig feste Infrastruktur in den Heimen. Da war ja auch beschrieben, daß als Notwehrökonomie eine komplette Infrastruktur aufgebaut wurde. Das war ja später in diesem zentralen und streng kontrollierten Wohnheim mit Chipkarten-Einlaßkontrolle7 nicht mehr möglich. War das ein Grund dafür, daß man für diese relative Autonomie der alten Wohnheime gekämpft hat?
TH: Das stimmt schon. Es gab für und wider. Hier zirkulierte das Geld untereinander und ist nicht abgeflossen. Das ist schon auch ein Schutzmechanismus gewesen, denn wir hatten auch vielen Todesfälle wegen der Mafia, wo die Isolierung eine Auslieferung für die VietnamesInnen darstellte. Aber nicht bloß die Mafia, sondern auch unseriöse Anwälte sind von Tür zu Tür gegangen und haben als Rattenfä'8anger Mandanten eingefangen.
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Und Faschos?
TH: Nee, die haben sich da nicht hingetraut. Es gab ein einziges mal in Marzahn eine Situation, da hat sich die rechte Szene zusammengetan und wollte an das Wohnheim ran. Allerdings ist das dann durch die Sprengung ihres Clubs verhindert worden. (lacht) In dem Augenblick in dem die zuschlagen wollten, ist ihr Club gesprengt worden.
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Nicht ganz zufällig offensichtlich...
TH: ...sieht so aus. Da sind die alle nach Marzahn-West zu ihrem Club gerannt, und damit ist das ausgefallen. Und danach haben sie sich nie wieder rangetraut. Die haben schon mehrmals Prügel bezogen dort, wenn sie versuchten in die Nähe zu kommen. Das war doch eine zu geballte Ladung.
Und hier gab‘s auch noch nie Probleme?
TH: An Einzelne auf der Straße haben sie sich ja rangetraut, aber an so eine Masse - da braucht bloß einer zu rufen, dann sind tausend da.
1995 folgte die Räumung der Wohnheime und die Zusammenführung in ein zentrales Heim?
Früh morgens kommt der Hausmeister, sperrt den Strom ab und hängt einfach die Türen aus. Die BewohnerInnen liegen noch im Bett, und das ganze Eigentum liegt ungesichert. Wir haben Widersprü'9fche gegen die Kündigung gemacht und die noch an die Tür gehängt, damit die das auch sehen, daß der einen Widerspruch hat und daß die da nichts anfassen dürfen. Die Tür wurde einfach ausgehängt... •••

...mit dem Widerspruch.
TH: Der eigentliche Konflikt war die Auflösung der bisherigen Wohnheime. Und dann als Alternative nicht eine Wohnung, sondern das nächste Heim für alle diejenigen ohne Aufenthaltsgenehmigung. Das ist im Grunde genommen nur ein nach Hohenschönhausen ausgelagerter Abschiebeknast. Inzwischen steht da die Hälfte leer, aber die Wohnbedingungen sind wie vor hundert Jahren. Da ist nur Geld investiert worden in die Schließanlagen und die Chipkarten. Sie zahlen eine horrende Miete - für so ein Scheißzimmer um die 500 Mark. Lichtenberg hat geglaubt, wenn sie das alles in das nächste Wohnheim... dann sind sie das ‚Problem Vietnamesen‘ gleich mit los.
Wir kommen nicht mehr rein. Nur wenn ich weiß, Herr Sowieso wohnt dort und dort - ansonsten kommt keiner rein. Daß wir so wie früher von Zimmer zu Zimmer gehen und mit den Leuten reden können, war nicht mehr möglich. Wir haben es inzwischen geschafft, für den größten Teil eine Wohnung durchzusetzen und nicht das nächste Wohnheim.
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Wer ist der Träger des Wohnheims?
TH: Die kommunale Wohnungsgesellschaft ARWOGE, jetzt ARWOBAU. Da sitzt der Berliner Senat im Aussichtsrat.
Bezahlt das Sozialamt auch Wohnungen auf dem sogenannten freien Wohnungsmarkt?
TH: Naja, das war ja von heute auf morgen. Es gab gar nicht soviele Wohnungsangebote, wie Wohnungen benötigt wurden. Der Bezirk hat außerdem gedacht, jetzt kriegt er seine schwervermietbaren Wohnungen los, und die wollten die Leute natürlich auch nicht haben. Und dann fühlte er sich auch nicht zuständig. In den alten Wohnheimen wurde kein Müll mehr abtransportiert, das Wasser abgestellt - es hat sich keiner gekümmert. Bis wir dann soviel Krach gemacht haben und ich das Abgeordnetenhaus anrief.
Im Nebenhaus saß die Vereinigung der Vietnamesen, die meinten, nee, stimmt alles nicht, was die sagen. Das waren die eigenen Interessenvertreter, die ehemaligen Gruppenleiter und alten vietnamesischen Funktionäre mit Kontrollfunktionen. Ich stand da wie blöd. Wir haben das alles über ZDF und Rundfunk Brandenburg dokumentiert, das lief im Fernsehen, und die sagen: das stimmt nicht. Die Berliner Ausländerbeauftragte Frau John und der Bezirk sind gekommen, und nun waren wir die Bösen, daß wir den Leuten gesagt haben, die sollen nicht ausziehen ins nächste Wohnheim. Wir sind die Bösen gewesen, weil wir ihnen zumuten, in solchen Bedingungen zu wohnen, und nicht diejenigen, die die Bedingungen schaffen.

Stellenmarkt
Wie sieht denn die Struktur von Reistrommel aus, und wieviele Leute werden darüber finanziert?
TH: Wir haben zur Zeit eine halbe Koordinatorenstelle zu ‚Jugend‘ vom Bezirk, dann haben wir ab 15. Mai noch vier LKZ-Stellen [Lohnkostenzuschuß], das sind zu einem Drittel vom Bundesland, ansonsten von der Bundesanstalt für Arbeit finanzierte Stellen. LKZ-Stellen kriegen weniger Geld als ABM [Arbeitsbeschaffungsmaßnahme], also eine ziemlich miese Sache... •••

Ist das wie bei ABM-Stellen, daß sie an Arbeitslosigkeit geknüpft sind? TH: Ja, aber diese LKZ Stellen, vorgesehen für drei Jahre, kriegt man nach dem neuen Arbeitsförderungsgesetz nur einmal im Leben. Meine ist gerade ausgelaufen. (lacht) Das heißt, um das eine zu machen, müssen wir [offiziell] etwas anderes tun. Dann haben wir vier LKZ Stellen, die jetzt auslaufen, und vier, die noch bis November laufen. Ab 1. Juni soll es losgehen mit einem neuen ABM Projekt mit sieben Stellen. Wir waren bis zum vergangenen Jahr zusätzlich EU-finanziert. Allerdings sind die Mittel der EU jetzt nur noch auf Groß- und Pilotprojekte ausgerichtet.
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Das war zum Jahr gegen Rassismus?
TH: Nein, das war ein Frauenprojekt, wir haben das schon zwei Jahre gemacht. Die EU will keine Beratung mehr.
Das wird auch vom Senat nicht unterstützt? Ich dachte, die sind ganz froh, wenn Projekte ihnen quasi die Arbeit im sozialen Bereich abnehmen. TH: Der Senat hat für den Osten eine halbe Million für Stellenfinanzierung und Sachmittelfinanzierung gehabt - das sind vier Stellen. Und darum haben sich dann alle noch geschlagen. Die sind letztlich nicht für die Basisarbeit vergeben worden. Diese Stellen sollten ja dazu dienen, die Grundversorgung zu erhalten - ich denke, das ist nicht so gut gelungen. (lacht) Das ist bloß noch, um das schlechte Gewissen zu beruhigen.
Wie ist die Zusammensetzung der Leute, die bei Reistrommel arbeiten? Sind ABM- oder LKZ-Gelder an einen deutschen Paß gebunden?
TH: Man muß eine Arbeitserlaubnis besitzen und für die Zeit der Maßnahme einen Aufenthaltstitel haben. Das war früher immer das Problem, als VertragsarbeiterInnen noch nicht die Mö'9aglichkeit hatten, in die Aufenthaltserlaubnis zu rutschen. Wir hatten zwar genügend BewerberInnen, aber die Laufzeit des Aufenthaltstitels reichte eben nicht so lange wie die Maßnahme. Obwohl sie durch die Arbeit den Aufenthalt schon hätten verlängert bekommen. Da liegt auch der Hase im Pfeffer: Dadurch, daß Leute mit befristeten Aufenthaltserlaubnissen sehr oft nicht in Maßnahmen im zweiten Arbeitsmarkt reinkönnen, fliegen sie demzufolge auch aus dem Aufenthalt raus. Dies steht im übrigen in keinem Gesetz - das hat sich das Arbeitsamt so überlegt, in Absprache mit dem Landesarbeitsamt. In andern Stadtbezirken wurde das anders gehandhabt. Inzwischen haben sie das dann durch eine Weisung ergänzt.
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Wie ist das intern geregelt worden?
TH: Also wie soll ich das jetzt sagen? Also das sage ich nicht da rein... [deutet auf das Mikro]
[...]
TH: Die Maßnahmen gibt es zwar, aber dann doch eher nur für Deutsche, oder für Leute, die schon ein verfestigtes Aufenthaltserlaubnis haben. Oder die müssen sich mit Arbeiten begnü'9fgen, bei denen sie dann Giftmüll sortieren. Mit Todesfällen... Bei Jobs, die die Hiesigen nicht machen wollen, gibt es eine Art von Kontinuität [mit der Zeit vor 1989]. Um den Aufenthalt verlängern zu können, bzw. eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, müssen sie jeden Job machen. Wir bemühen uns auch um Arbeitsvermittlung. Aber durch diese ganze Kampagne, die Kriminalisierung von VietnamesInnen in der Öffentlichkeit, werden die Leute auch noch systematisch vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Daß da eine Solidarisierung stattfindet - im Gegenteil: Diese ganze Kampagne gegen die Zigarettenhändler, “die Mafia”, hat eine Entsolidarisierung zur Folg gehabt nach dem Motto “Die billige Arbeitskraft Asylbewerber ist mir ganz recht, aber ansonsten offiziell für sie Partei ergreifen, nein.” Das zieht sich ja die ganze Zeit durch. Da muß man ja nur die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt anschauen, wo solche absurden Konkurrenzverhältnisse zwischen ‚Deutschen‘ und ‚Ausländern‘ aufgemacht werden, wo sie nicht mal existieren.
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Welchen Arbeitsstatus erhalten ehemalige VertragsarbeiterInnen?
TH: Das sind richtige Arbeitsverträge. Bevor sie die unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhielten, hatten die Leute eine Aufenthaltsbefugnis, befristet immer für zwei Jahre. Um die Verlängerung zu bekommen, mußten sie immer wieder Arbeit, Nicht-Straffälligkeit und Wohnraum nachweisen, jedesmal wieder neu. Sie kriegen die Befugnis nicht für acht Jahre, wo dann die Aufenthaltserlaubnis gewährt werden kann. Das hätte man auch machen können, doch sie bekamen die schlechteste Form dieser Befugnisregelung. Alle zwei Jahre mußten die ehemaligen VertragsarbeiterInnen diese Bedingungen nachweisen. Und in zwei Jahren kann viel passieren. Sie haben zwar eine Arbeit gehabt, aber fliegen raus, oder das Geschäft ist kaputt. Viele haben ja versucht, ein Gewerbe zu gründen, klappt nicht, Konkurs, und sofort in der Sozialhilfe.
Der Zwang zu Arbeit mit einem bestimmten Einkommen - die Berechnung hier in Berlin ist ja noch relativ vernünftig, in Sachsen sieht die ganz anders aus. In Berlin wird das Mindesteinkommen berechnet: Sozialhilfe plus Miete für eine Familie. Das ist für eine vierköpfige Familie so ca 2.000 oder 2.500 DM, je nach Höhe der Miete, Wohngeld mit einberechnet. Aber da die Leute in der Regel alle in Billigjobs reingehen, weil sie nirgendwo was anderes finden, ist diese Bemessunggrenze sehr schwer zu erreichen. Und ergänzende Sozialhilfe ist dann schon ein Ausweisungsgrund. Das ist das Problem.

Markt/Wirtschaft
Hier auf dem Areal steht ein Handelszentrum. Welche Verbindungen bestehen von Seiten des Vereins dazu - und ist das auch ein Versuch, Jobs und Einnahmen zu kreieren?
TH: Das ist eine Organisationsform, die die VietnamesInnen selbst entwickelt haben. Sie sind von Anfang an in die Richtung gegangen, um sich über Wasser zu halten. Wir sind da eigentlich nur diejenigen, die immer ein bißchen versuchen zu helfen, wenn es ein Problem gibt. Wir haben den Handel sehr unterstützt. Auch in den Bezirken, damit der Zugang zu Märkten nicht versperrt wird und Gewerberäume auch an VietnamesInnen vermietet werden. Wir versuchen immer wieder Barrieren einzureißen, damit die einzige doch relativ problemlose Form Geld zu verdienen nicht auch noch kaputt gemacht wird. Denn dann hängen gleich ein paar tausend Leute am Sozialamt.
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Vor dem Zentrum standen Kleintransporter mit polnischem Kennzeichen. Ist dies Großhandel plus intern etwas Kleinhandel?
TH: Sie machen auch Einzelverkauf, aber in der Regel ist das Großhandel. Der Einzelhandel betrifft nur den Bereich der Lebensmittel. Die Güter kommen aus Billiglohnländern, Polen und Rußland. Direkt nach der Wende existierte für die VietnamesInnen nur die Einkaufsmöglichkeit bei den TürkInnen in Westberlin, in Kreuzberg. Jetzt haben sie sich ihre eigenen Einkaufsmöglichkeiten geschaffen.
Inzwischen fangen sie langsam an, auch einen eigenen Import aus Vietnam aufzubauen. Eine ganz kuriose Sache haben sie geschafft - fand ich eigentlich ganz interessant - wo Stoff in Frankreich gekauft, in Vietnam produziert und hier verkauft wurde. War schon eine ganz gute Organisation, die dahinter steckte und auch die Idee, ja, da ein bißchen mehr draus zu machen. Aber in der Regel kommen die Waren aus Polen. Es gibt in Warschau den größten Markt Europas...
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...in dem Sportstadion?8
TH: Da sind ja sehr viele VietnamesInnen, die dort im Großhandel an unsere VietnamesInnen hier verkaufen, die früher zum Teil in Polen gearbeitet haben. Sie waren zum Teil auch VertragsarbeiterInnen oder AsylbewerberInnen in Deutschland, wurden durch diese Rückübernahmeabkommen9 vertrieben, und haben sich dort niedergelassen. Es gibt ein Abkommen zwischen Polen und Vietnam: Wenn sie selbständig im Bereich des Gewerbes und ohne staatliche Unterstützung arbeiten, können sie in Polen immer befristete Aufenthalte bekommen, ganz legal. Dadurch sind viele dorthin gegangen, das betrifft im übrigen Tschechien genauso. Wir haben sehr viele ehemalige AsylbewerberInnen oder VertragsarbeiterInnen, die in diese Länder ausgewichen sind, um der Ausweisung nach Vietnam zu entgehen und den Handel weiter zu betreiben.
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Und hier ist die Feinverteilung angesiedelt?
TH: Das ist hier die Marktverteilung. Angefangen hat es mit diesem einen Zentrum. Inzwischen gibt es in Halle, Leipzig, Dresden und ich glaube in Erfurt auch solche Großhandelszentren. Und wir decken hier in Berlin hauptsächlich den ganzen Norden ab. Früher reichte es von Rostock bis Suhl, und jetzt haben wir den ganzen Norden, also Schwerin, Rostock. Die MarkthändlerInnen, die auf Wochenmärkten verkaufen, holen hier die Ware. •••

Seit wann gibt es diese Halle und wie wurde vorher der informelle Handel organisiert?
TH: Ich denke seit 1995. Vorher spielte sich der Großhandel in den Wohnheimen ab, aber hatte noch nicht die heutige Reichweite. Eine ganze Wohnung war mit Pullovern bis unter die Decke vollgestopft, und die Brandgefahr in den Wohnheimen immens groß. Die Heimbetreiber haben damit zusätzlich ‘ne Mark gemacht und gestalteten das so, daß die Keller ausgebaut und als Gewerberaum zur Verfü'9fgung gestellt wurden. Das war schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Einige AsylbewerberInnen arbeiten in der Halle, stecken zuhause Blumen oder verarbeiten Würste, kommen dann hier mit einem Rollwagen an und liefern, um Geld zu verdienen. Oder für die Imbisse oder Restaurants: viele kochen zuhause oder putzen Gemüse und sind damit schon lange nicht mehr abhängig von der eh jämmerlichen Sozialhilfe gewesen. Viele haben ja die Asylunterkünfte nur einmal im Monat aufgesucht, oder überhaupt nicht. Während vor allem alleinstehende Männer immer irgendwo was finden, können jedoch vor allem Frauen mit Kindern, die auf häufig weiter abgelegene Unterkünfte angewiesen sind, diesen Zuverdienst nicht so in Anspruch nehmen.
Inzwischen haben wir drei Zentren: hier, dann drüben auf der anderen Seite der Rhinstraße, und in Hohenschönhausen gibt es auch noch eines - das ist schon eine Entwicklung in eine legale Form des Großhandels, wo man sich das auch hinwünscht. Je mehr die Leute aufenthaltsrechtlich abgesichert sind und so die Integration fortschreitet, desto besser wird sich das auch noch entwickeln. Ich stelle mir das so vor, daß es perspektivisch so etwas wie Genossenschaften oder GmbHs gibt, wo dann nicht Familienbetrieb läuft, sondern wo sie sich zusammenschließen und Willkürakten von Vermietern nicht so ausgesetzt sind - also eine Kraft darstellen, die man dann nicht einfach so vom Tisch wischen kann.
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Welche Voraussetzungen werden denn gefordert, um ein Gewerbe anzumelden oder einen Großhandel aufzumachen?
TH: Die Voraussetzung haben wir von der DDR geerbt. (lacht) Es gab in diesen veränderten Regierungsabkommen der DDR den Passus, daß ehemalige VertragsarbeiterInnen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis und eine Gewerbeerlaubnis hben sowie Anspruch auf soziale Vergünstigungen wie Kindergeld und Erziehungsgeld. Bei der Umschreibung in die bundesdeutschen Aufenthalte wollte man diesen Anspruch auf Arbeitserlaubnis und Gewerbeerlaubnis streichen. Dagegen sind wir Sturm gelaufen und haben das auch geschafft. Wir hatten dabei einen ganz guten rechtlichen Hintergrund, weil das im Einigungsvertrag nur so pauschal übernommen wurde Die waren richtig doll sauer in der Ausländerbehörde.
Wir haben uns am Alexanderplatz getroffen, mit 500 VietnamesInnen, sind zusammen zur Ausländerbehörde gegangen und haben uns vor die Türe gestellt. Wenn einer reingegangen ist und hat den Stempel nicht gekriegt, dann sind wir gleich mit rein. Da waren die so sauer und haben gesagt, dann können Sie ja selber den Stempel machen. Sag ich, kein Problem, geben sie den Stempel her. (lacht) Und dann wegen der Aufenthaltsumschreibung. Wir haben ja tausende von Widersprüchen gemacht. Wir haben die Behörden dermaßen bombardiert mit den Sachen, da waren die auch stinksauer.

Ende des Solidarpakts TH: Diese Zeiten sind unwiderruflich weg, also diese Solidarisierung auch unter den einzelnen Vereinen. Zur Zeit wird es mit der Vernetzung immer schwieriger, weil durch die Verknappung der Mittel im Sozialbereich ja alle untereinander nur noch Konkurrenz machen.
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Sie wollen ihre eigenen Stellen absichern?
TH: Absichern des eigenen Projekts. Aber das ist eigentlich lächerlich, im Osten gibt es ja fast keine Stellen.
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Hat das mit Senatskürzungen zu tun? Und seit wann ist das so?
TH: Das hat sich so entwickelt, seitdem die Bezirke entscheiden. Meistens ist es eine Parteienentscheidung, wer bleiben darf und wer nicht. Und jetzt kommt auch noch die Geldverknappung hinzu: Die wenigen Mittel gehen in den Bezirk und werden dann im Grunde politisch vergeben. Jetzt stehen wir den Behörden vollkommen alleine gegenüber. Früher waren das viele, die mitgegangen sind, die die Leute auch nicht alleine gelassen haben. Da ging es noch nicht um Stellen, da hat fast noch niemand eine Stelle gehabt, da ging es wirklich darum, den Leuten zu helfen.
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Haben sich auch die Aufgaben geändert?
TH: 1992 hatte ich in der Beratung 150 Leute mit dem selben Problem. Jetzt ist es sehr viel komplizierter, und auch die Beratungszeit, der Aufwand ist immens groß: für eine Person brauche ich zwei Stunden. Es gibt auch kein Ergebnis mehr - wir können eigentlich bei Ausweisungen nur versuchen, Zeit ruszuschinden. Damit die Leute wenigstens noch das Geld, das sie für den Fluchtweg bezahlt haben - daß sie möglichst nicht verschuldet zuhause wieder ankommen. Denn wir hatten auch Selbstmordfälle - daß Leute nicht mehr wissen, wie sie dann weiterleben sollen. Zuhause nicht und hier nicht.
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Wie sieht die aktuelle Arbeit von Reistrommel aus? Bedeutet dies vor allem Beratung?
TH: Die eine Seite ist Beratung, Betreuung auf rechtlicher Ebene, Begleitung zu Ämtern, Unterstützung bei der Arbeitssuche usw. Eigentlich machen wir alles von der Wiege bis zur Bahre. Wir haben schon Überführungen von Toten nach Vietnam gemacht und Hilfe zu Kostenübernahme für Entbindungen, also die ganze Bandbreite, die das Leben so hat. Und dann haben wir jetzt seit zwei Jahren einen Club10 als Extra-Projekt, wo wir eine kulturelle Möglichkeit bieten wollten für VertragsarbeiterInnen, wo Erwachsene sich treffen können, quatschen und was gemeinsam machen. Das hat sich allerdings nicht allzu gut bewährt. Das ist in eine Kneipe ausgeartet, nur noch die Männer kamen, und die Frauen fü'9fhlten sich verdrängt. Da haben wir einen Schlußstrich gezogen und gesagt, wir machen nur noch Frauentreff und bestimmte Veranstaltungen für alle. Und haben uns dann Richtung Kinder- und Jugendarbeit entwickelt und sind da auch ganz intensiv dran.

Alltag & Rassismus
TH: Da gibt es sehr viele Probleme, insbesondere bei der zweiten Generation, die hier geboren ist. Die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern klappt nicht mehr richtig, weil die Kindern nicht richtig vietnamesisch sprechen, die Eltern entsprechend nicht richtig deutsch. Es bleibt auf der Ebene der Selbstbedienungssprache, also ‚ich hab Hunger‘, ‚ich möchte ins Bett‘. Die Eltern wissen über den Alltag ihrer Kinder nichts, weil die Kinder das nicht in vietnamesisch erzählen können. Deshalb organisieren wir jetzt hier Vietnamesischunterricht für Kinder, auch in Tanzgruppen, auf spielerische Art. Wir haben auch einen kleinen Kindergarten, eine Kinderbetreuung, womit wir einerseits die Eltern entlasten wollen, andererseits aber auch beide Sprachen vermitteln. Inzwischen haben wir auch eine große Jugendgruppe - das sind die, welche durch Familiennachzug geholt wurden. Sie bekommen alle Unterstützung im Schulbereich, also Deutsch und Englisch, Französisch, durch Treffen, Tanzen, Freizeit. Wir versuchen auch, über ihre Alltagserfahrungen mit Rassismus - in den Schulen, auf der Straße - ins Gespräch zu kommen und über ihre Ängste zu sprechen. Wir bieten auch Projekttage an - wo es sich in einer Schule besonders abzeichnet, daß da Rassismen laufen.
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Und da gehen die Schulen auch drauf ein?
TH: Jaaa... - also die Angebote nehmen sie immer sehr spärlich an, muß ich sagen, das ist ja auch was, wo sie sich mit auseinandersetzen müssen. Wenn wir Disco machen sagen wir auch, bringt eure Freunde aus der Schule mit. Es gibt ja auch Jugendliche in den Klassen, die sind sehr positiv zu ihren Freunden eingestellt, aber fühlen sich durch die anderen in die Situation gedrängt, das nicht offen zugeben zu können. Und hier ist es möglich, daß darüber gesprochen wird.
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Habt ihr denn über die Beratung die Möglichkeit, euch speziell mit der Situation von Frauen auseinanderzusetzen? Ich könnte mir vorstellen, daß das eher unter den Tisch fällt, wenn die Beratung Familien anspricht.
TH: Wir versuchen immer speziell auch noch Frauenangebote zu machen. Wir haben hier Deutschunterricht für Frauen mit anschließenden Gesprächskreisen, wo sie solche Probleme in ihrem geschützten Rahmen unter sich ansprechen können. In der Beratung selber kommen spezifische Frauenprobleme meistens nicht zur Sprache. In der Beratung geht es um ganz nüchterne Sachen, wo man meistens ahnt, daß da noch mehr hintersteckt.
Welche Probleme sind das dann?
TH: Hauptsächlich geht es um Familientrennungen durch aufenthaltsrechtliche Sachen, wo der Mann eine Ausweisung hat und die Familie auseinandergerissen wird. Probleme, die auch Kindergarten, Schule betreffen, mit den Kindern, auch mit Rassismus, den Behörden zu tun haben. Wir hatten auch Gewalt in der Familie, aber das ist sehr selten.
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Wie alt ist die 2. Generation jetzt...
TH: ... sieben, acht Jahre.
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Gibt es denn da auch eine Verschiebung - frauen- oder mädchenbezogen - zu ihren Müttern?
TH: Also erstens erwarten die Eltern genauso wie in Vietnam, daß die Kinder mitarbeiten, egal ob sie zur Schule gehen oder nicht. Sie erwarten hohe Leistungen von den Kindern in der Schule und gleichzeitig, daß sie möglichst den Achtstundentag auch noch liefern. Der Leistungsdruck für Jugendliche ist sehr groß, so daß sie ihn zum Teil nicht erfüllen kö'9annen, teilweise auch nicht mehr wollen - sie wehren sich dagegen. Wir haben immer häufiger Situationen, wo Kinder versuchen von zu hause auszubrechen. Die Tendenz weg von zuhause - also eine eigene Wohnung haben und wirtschaftlich unabhängig von den Eltern sein - ist sehr stark. Die Eltern haben den kulturellen Hintergrund von zuhause, und die Kinder sind hier im Grunde als Deutsche groß geworden. •••

Gibt es denn Erfahrungswerte von Berliner TürkInnen, sodaß man da Vergleiche ziehen und lernen kann?
TH: Wir sind in Erfahrungsaustausch mit den türkischen Vereinen in Berlin, versuchen das auf unsere Erfahrungen umzuhobeln. Zum Beispiel ist die Stellung der Frau in Vietnam eine andere als die einer türkischen Frau. Vietnamesinnen sagen dem Mann ganz genau, bring das Geld nach Hause, sonst machst du Handstand - die machen den Männern schon ganz schön Druck. Aber Hierarchien gibt es trotzdem noch, und der Mann hat das letzte Wort. Wir versuchen die Erfahrung anderer umzuarbeiten, bloß sind wir hier im Osten auf völligem Neuland. Man kann das nicht kopieren - und sehr viel Unterstützung haben wir auch nicht. Jeder Schritt, den wir in die Richtung machen, machen wir als erste.

Was die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen angeht, sind das vor allem Ostinitiativen?
TH: Sowohl als auch, wo es paßt. Ich hatte ja vorhin von den Konkurrenzen gesprochen.
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Und wie ist das beispielsweise mit Gruppierungen wie der ARI (Antirassistische Initiative), die nicht mit bezahlten Stellen arbeiten?
TH: Wir haben bei den Wohnheimräumungen ziemlich eng mit der ARI zusammengearbeitet. Was die Polizeiübergriffe betraf, war das auch eine ziemlich starke Unterstützung. Die ARI macht ja eher spektakulärere Sachen oder Flugblattaktionen. Doch das Problem ist - unsere Leute sind sehr unpolitisch. Also in diese Richtung kriegt man sie sehr schwer bewegt, daß sie mal sagen, was sie denken und fühlen - die sind dann eher in der Defensive. Wir kriegen das eher mit rechtlichen Sachen hin, doch mit großen Aktionen ist es sehr schwierig. Für die Demo zum Asylbewerberleistungsgesetz haben wir kürzlich Werbung gemacht, aber da kam nichts. Die Jugendlichen wollten noch - hatten an dem Tag doch kein Bock und sind nicht gegangen. Aber das war schon mal gut, daß sie gesagt haben: ja. Das fand ich erst mal prinzipiell - zumindestens hatten sie sich doch damit auseinandergesetzt und gesagt, ja das ist eine Sache, die haben wir auch irgendwo erlebt. Familienzusammenführung lief ja meistens nicht direkt, sondern indirekt über das Asylverfahren. Und sie haben schon sehr oft diese Prozesse miterlebt,. Aber die Eltern... •••

Kürzlich hat das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe11 den Konflikt zwischen einer Sozialhilfe-Ersatzfunktion und einer sich zugleich als politische Initiative verstehenden Gruppe artikuliert.
TH: Wir haben Kontakte zu ÄrztInnen, die auch mal ohne Versicherung arbeiten, aber im Grunde machen wir diese Angebote nicht. Ich bin doch eher dafür, daß der Bezirk sagt, die Leute, die bei uns Sozialhilfe beziehen, kriegen vernünftig Geld. Es gibt hier zwar Imbissangebote, und wir haben auch schon darüber nachgedacht, daß sie hier über Spenden finanziert noch ein paar Kü'9fbel Suppe mehr kochen - wenn der Bedarf an uns herangetragen wird. Doch wir wirken da eher politisch, um es nicht dazu kommen zu lassen, daß wir hier eine Suppenküche aufmachen. Das ist eigentlich immer unser Weg gewesen, bevor wir irgendwelche schlechten Lösungen finden. Das betrifft ein paar tausend Menschen, das können wir gar nicht leisten. Und deswegen lehne ich das auch ab, daß man so eine Alibifunktion übernimmt.
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Welchen Stellenwert hat die Zusammenarbeit mit der Ausländerbeauftragten? TH: Keinen.
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Bei eurer Pressekonferenz zum möglicherweise veränderten Aufenthaltsstatus von ehemaligen VertragsarbeiterInnen...
TH: ...das ist ja immer so, daß sie dann im Mittelpunkt steht. Das Thema war ja eigentlich ein anderes, doch die Ausländerbeauftragte hat sich darauf nicht festlegen lassen und mir dann gesagt, “Frau Hentschel, ist doch ganz logisch, sie setzen sich hier für Vietnamesen ein, und ich muß meine Kraft verteilen”. Bei TürkInnen engagiert sie sich viel mehr. Aber was der Senat bei uns für eine Rolle spielt - keine, also wir haben von dieser Seite so gut wie keine Unterstützung.
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Parallel zur Pressekonferenz machte der SFB Fernsehaufnahmen. Ich hatte mir die Sendung am Abend angeschaut: Da kommst du und die Ausländerbeauftragte, und dann noch ein kurzes Statement eines vietnamesischen Mannes. Sein kurzes Statement war sinngemäß so geschnitten, daß der Staat ja auch Probleme habe mit den VietnamesInnen. Direkt danach formulierte Außenminister Kinkel im Studio seine Kampagne ‚Wir kürzen Entwicklungshilfegelder, wenn diese Staaten nicht spuren‘ - das bezoge sich natürlich auch auf Vietnam: Also wenn das Land die ehemaligen VertragsarbeiterInnen nicht flott zurückneimmt, dann streichen wir die Gelder.
TH: Es gibt sehr konservative VietnamesInnen. Die selber sagen, wenn Deutsche sich in unserem Land so verhalten würden wie VietnamesInnen in Deutschland, dann würden wir andere Dinge mit ihnen machen. In Vietnam gibt es ein Einparteiensystem und dann gibt‘s die - ich würde mal sagen - Diktatur der kommunistischen Partei. Wie das allerdings konkret abläuft in Vietnam, lehnen sie zum Teil ab. Bei den ArbeiterInnen gibt es schon eher ein Demokratieverständnis, aber mit den ehemaligen Funktionäre haben wir die größten Probleme. Die wären dann eher CDU-Wähler. (lacht)
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Gibt es Leute, die hier politisch organisiert sind?
TH: Die sozialdemokratische Partei Vietnams existiert nur im Exil und ist in Vietnam verboten. Sie sind für Demokratie und ein Mehrparteiensystem. Es gibt auch noch andere Parteien, allerdings sind die rechtsradikal-antikommunistisch. Und die nutzen auch die Rückreisekampagne aus. Denn mit einer Bescheinigung, daß man dieser in Vietnam verbotenen und verfolgten Partei angehört, kann man hier Asyl bekommen.

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