TEXTE ZUR LAGE

Nicht alles beim Alten
Blackness im Deutschen Wohnzimmer

Afro-Deutsche gelten in der Öffentlichkeit immer mehr als Botschafter einer gelungenen Integration. Am Alltagsrassismus ändert der deutsche Pass jedoch wenig. - Von Jonas Berhe und Astrid Kusser

Wenn im Musikfernsehen heute afrodeutsche Moderatoren gefragt sind, ist das nicht einfach wieder der alte Exotismus. Sowohl im Krimi wie auf der Strasse ist blackness nicht nur eine Frage der Hautfarbe, sondern auch der Assoziation.

Vor einigen Jahren wurde in der ZDF-Krimiserie Der Alte ein scheinbar unauffälliger Schauspielerwechsel vorgenommen. Dieselbe Rolle, die vorher vom afro-deutschen Schauspieler Charly Huber gespielt wurde, übernahm nun der ebenfalls schwarze Pierre Sanoussi-Bliss. Man könnte meinen, dass sich die Serie damit für eine Kanakenquote bei der Polizei stark macht. Tatsächlich aber hat der "schwarze Mann" einfach ein anderes Gesicht bekommen. Im Alltag des Fernsehpolizisten spielt die Hautfarbe dann wieder keine Rolle. Ist ja ganz egal, ob der schwarz ist oder nicht. Jede Szene eine kleine Erleichterung: schwarze Präsenz, aber von Rassismus keine Spur. Mit der Selbstverständlichkeit, mit der im deutschen Krimi schwarze Gesichter ausgetauscht werden, finden auf der Straße Polizeikontrollen statt. Um zum Beispiel die so genannte Residenzpflicht durchzusetzen, die Flüchtlingen an einen zugewiesenen Landkreis bindet, führt die Polizei "verdachtsunabhängige Personenkontrollen" durch. Hier wird die Hautfarbe wieder zu einem ausschlaggebenden Kriterium. Was in den Vereinigten Staaten als racial profiling skandalisiert wird, hat in Deutschland noch nicht mal einen Namen.

Dagegen manifestiert sich in den letzten Jahren verstärkt der Widerstand einer black community, die sich aus afro-deutschen Organisationen und Flüchtlingsgruppen zusammensetzt. Eine gemeinsame Erfahrung des rassistischen Alltags in Deutschland und der Bezug auf die transatlantische schwarze Diaspora verbindet sie trotz sozialer und politischer Differenzen. Wie im anglo-amerikanischen Diskurs wird dabei blackness als Kultur des Widerstands verstanden, als Ausdruck einer historischen Präsenz und des Kampfes um gleiche Rechte. Auch in Deutschland hat dieser Widerstand eine lange Geschichte. Er reichte von militärischem Widerstand in den deutschen Kolonien über die Migration nach Deutschland als Antwort auf die koloniale Apartheids-Gesetzgebung bis hin zur Gründung von politischen Organisationen auf deutschem Boden. Diese Geschichte und die hundertjährige Präsenz der schwarzen community in Deutschland ist immer noch weitgehend unbekannt. Dabei war das deutsche Kolonialreich Vorläufer und Laboratorium eines modernen "Rassen"-Staats im nationalsozialistischen Sinn. Unter den Nazis fanden sich auch schwarze Deutsche in den Konzentrationslagern wieder, wo sie drangsaliert, zwangssterilisiert und viele von ihnen ermordet wurde. Anstatt diese Zusammenhänge nach dem Krieg anzuerkennen, wurde die Präsenz schwarzer Menschen in Deutschland aber nicht mit ebensolcher Geschichte, sondern mit der amerikanischen Besatzung assoziiert.

Als afro-deutsche Frauen in den frühen achtziger Jahren ihre Geschichte zu erforschen begannen, ging es ihnen unter anderem da-rum, dieses bequeme Vergessen der kolonialen Vergangenheit zu stören. Die Geschichte der schwarzen Diaspora in Deutschland zu untersuchen war aber auch ein Projekt der Selbstermächtigung, das in eine politische Organisierung als "afro-deutsche Frauen" (ADEFRA) und als "Initiative schwarze Menschen in Deutschland" (ISD) mündete.

Bereits die Selbstdefinition als Afro-Deutsche war eine effektive Intervention in die Selbstverständlichkeit, mit der sich Deutschland nach wie vor als weiße Nation imaginierte. Die Geschichte schwarzer Präsenz im deutschen Film ist nach wie vor relativ unerforscht. Bilder von Schwarzen auf deutschen Leinwänden bildeten eine der Negativfolien, vor denen whiteness Konturen annahm. Die Nachfrage nach schwarzen Gesichtern im Fernsehen ist somit nichts Neues, und sie folgt zum Teil immer noch einer exotisierenden Ausrichtung. Trotzdem bleibt nicht alles beim Alten. Wenn im Musikfernsehen heute afro-deutsche Moderatoren gefragt sind, ist das nicht einfach wieder der alte Exotismus. Im HipHop steht blackness mittlerweile für realness - also für den coolen, urbanen und authentischen Style afro-amerikanischer Vorbilder. Zwar wird auch hier wieder Hautfarbe vermarktet, aber doch unter ganz anderen Bedingungen: Während im System des Multikulturalismus den Kanaken Nischen zugewiesen wurden, besetzen sie hier die Hauptbühne.

Daraus ergeben sich zum einen neue Möglichkeiten des Widerstands. Brothers Keepers haben kürzlich mit einer Drohgebärde gegen Rassismus einen Hit in den Charts gelandet. Erfolgreiche Kanaken laufen aber auch immer mehr Gefahr, als Beispiele einer gelungenen Integration vermarktet zu werden. In einem Werbespot zum kürzlich vom Bundespräsidenten ausgeschriebenen Integrationswettbewerb sind sie "Botschafter dafür, dass Integration gelingen kann.". Das Gerede von der Integration verspricht Privilegien, wo es eigentlich um Rechte gehen müsste. Schwarze Deutsche haben diese Rechte längst und sind nach allen Regeln dieser Forderung integriert. Zwar verändert sich staatlicher Rassismus mit Pass, Aufenthaltsstatus und sozialen Verhältnissen. Aber nach wie vor muss in jeder Kontrolle Legitimität über Sprache und Papiere bewiesen werden. Wer einen deutschen Pass besitzt und hier arbeiten darf, hat lediglich die besseren Chancen, eine stets drohende Kriminalisierung abzuwenden. Die anderen - allen voran Flüchtlinge und Asylbewerber - sind von Gesetzen betroffen, die ihre Rechte beschneiden und noch nicht mal Privilegien versprechen.

Sowohl im Krimi wie auf der Strasse ist blackness nicht nur eine Frage der Hautfarbe, sondern auch der Assoziation: Wer mit uns im Auto sitzt, ist der Polizei doppelt verdächtig. Der schwarze Kommissar im deutschen Krimi aber lebt allein in einer weißen Welt ohne community. Nach den Regeln des Integrationswettbewerbs von Johannes Rau wäre er optimal integriert und eigentlich auch gar nicht mehr schwarz.