TEXTE ZUR LAGE

Die Ökonomie der Migration

Gegen das neue Zuwanderungsgesetz gibt es vieles einzuwenden. Tatsächlich geht es weniger um Zuwanderung als um eine umfassende Neuregelung des Ausländerrechts, die Fragen des Aufenthalts, der Erwerbstätigkeit und Integration - all in one - regelt.

Die im Zuwanderungsgesetz als innovativ propagierte vorgesehene Vereinfachung der Aufenthaltstitel bedeutet in Wirklichkeit eine Einschränkung der Aufenthaltsmöglichkeiten für einen Großteil der 1,7 Millionen Migrantinnen und Migranten, die bisher mit unterschiedlichen befristeten Aufenthaltstiteln hier leben. Es scheint, als hätten die Planer des Abschiebeapparats akribisch alle Punkte aufgelistet, die Migrantinnen und Migranten bis jetzt als Schlupflöcher nutzten und die eine relative Autonomie der Migration gegenüber der staatlichen Po-litik bedeuteten. So könnte eine radikale Politik hinsichtlich des Rechts auf Einwanderung jene Leistungsdispositive untergraben, die Migrantinnen und Migranten nur nach ihrer Arbeitskraft be- und verwertet. Antirassistische Arbeit lässt nicht auf Fragen von Rassismus begrenzen, sondern muss Wohnverhältnisse, Bildungsmisere, Ausbeutung und Geschlechterverhältnisse zur Sprache bringen, d. h. ganz einfach: den unter- schiedlichen Lebensaspekten von Migrantinnen und Migranten, ih-rem und unserem Alltag und Widerstand entsprechen. Hier setzt das im Folgenden dokumentierte Papier der Gruppe RESPECT an:

Protesterklärung des RESPECT-Netzwerkes in Deutschland gegen das geplante Zuwanderungsgesetz

Putzen, Katzen hüten, Babys sitten oder Blumen gießen - Arbeit in Privathaushalten ist für viele Migrantinnen, die in Deutschland leben, die einzig mögliche Erwerbsarbeit. Im Februar 2002 haben wir uns in Berlin getroffen, um uns über diesen Arbeitsalltag auszutauschen und zu überlegen, wie die Arbeitsbedingungen verbessert, Rechte eingefordert und diese Arbeit sichtbar gemacht werden können. Wir, das ist das deutsche Respect-Netzwerk - bestehend aus MigrantInnenorganisationen, Beratungsstellen für Migrantinnen, antirassistischen und feministischen Gruppen und Leuten, die sich mit dem Thema bezahlte Hausarbeit auseinander setzen bzw. selbst in diesem Bereich arbeiten.

Wir protestieren aus der Perspektive der Hausarbeiterinnen

Mit der folgenden Erklärung wollen wir gegen das Zuwanderungsgesetz aus der Perspektive der Hausarbeiterinnen protestieren. Wir sehen sie damit als Ergänzung zu den wichtigen Protesten gegen die im Gesetz verankerten repressiven Maßnahmen gegen Flüchtlinge.

Wir reihen uns mit unserem Protest nicht in Forderungen ein, die aus der Nützlichkeit der bezahlten Hausarbeit Rechte ableiten wollen. Im Gegenteil wir protestieren gegen diese Nützlichkeitslogik. Wir wenden uns gegen eine Arbeitsteilung, die Migrantinnen egal mit welcher Qualifizierung und beruflichen Ambitionen durch sexistische und rassistische Hierarchien diese Arbeit zuteilt - und gegen eine Arbeitsteilung, die diese Tätigkeiten auf der untersten Stufe gesellschaftlicher Anerkennung ansiedelt.

Wir protestieren gegen das Zuwanderungsgesetz,

o weil es sich nur an den wirtschaftlichen Interessen und an der Nützlichkeit für die deutsche Gesellschaft orientiert. Die Arbeitsperspektiven von Migrantinnen, z. B. sich weiterzubilden oder den Job zu wechseln, werden nicht berücksichtigt.

o weil das Gesetz so tut, als ob es die Hausarbeiterinnen gar nicht gäbe, und damit die Rechtlosigkeit und schlechten Arbeitsbedingungen, unter denen sehr viele Migrantinnen ohne Papiere in deutschen Privathaushalten arbeiten, ignoriert.

o weil es sogar noch mehr Hürden als bisher für die Erlangung eines dauerhaften sicheren Aufenthalts (Niederlassungserlaubnis) aufbaut und mehr Menschen in die Illegalität drängt, die damit auf einen deregulierten und von Rechtlosigkeit geprägten Arbeitsmarkt wie die Haushaltsarbeit angewiesen sein werden.

o weil es Leute ohne Papiere, welche bezahlte Hausarbeit in Deutschland leisten und damit zunehmend die Lücken des Sozialstaates ausfüllen, selbst von dem Zugang zu jeglichen sozialen Grundrechten ausschließt. Es lässt Frauen, die Kranke, Kinder und Alte pflegen, ohne Gesundheitsversorgung. Es lässt die Kinder derjenigen, welche deutsche Kinder betreuen, ohne Recht auf Kindergartenplätze.

o weil das weit verbreitete Image des Gesetzes, es eröffne mehr aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten für Arbeitsmigrantinnen, für die Hausarbeiterinnen praktisch nicht zutrifft. Ihre Realität wird völlig ausgeblendet: Erstens spielt sich bezahlte Hausarbeit weitgehend außerhalb der Regulation der Arbeitsämter ab; ein Bedarf wird von diesen so auch nicht ermittelt werden. Zweitens gelten Arbeiten im Privathaushalt trotz ihrer Komplexität als quasi natürlich ansozialisierte und damit nicht qualifizierte Tätigkeiten - sie werden damit von allen Regelungen, die das Gesetz nur für "Qualifizierte" oder "Berufstätige" vorsieht, ausgeschlossen. Und drittens wird das Gesetz wenn überhaupt nur Chancen für reguläre Arbeitsverträge bei einer ArbeitgeberIn eröffnen. Dies blendet die Realität der allermeisten Hausarbeiterinnen aus, die stundenweise und informell in mehreren Haushalten arbeiten.

o weil das Gesetz selbst im Falle der Überwindung all dieser Hürden keinerlei Rechtsanspruch auf Zuwanderung gibt und MigrantInnen von der Willlkür der Behörden abhängig macht. Diese können ihre Entscheidung für eine Aufenthaltserlaubnis nach drei Jahren ohne weiteres widerrufen. Das Gesetz bietet Arbeitsmigrantinnen also keinerlei Zukunftsperspektiven, sondern macht sie zur Manövriermasse einer neoliberalen Politik der Migrationssteuerung, die nach dem Prinzip hire and fire vorgeht.

o und schließlich, weil das Gesetz keinerlei Verbesserung gegenüber bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten der Arbeitsmigration aufweist. So hat bereits eine neue Verordnung zur Anwerbestoppausnahme gezeigt, wie schnell die deutsche Politik auch jetzt schon im Sinne der Nützlichkeitslogik reagieren kann. Damit erhalten Frauen aus osteuropäischen EU-Beitrittsländern einen Aufenthaltsstatus, um in Privathaushalten Pflegebedürftiger zu arbeiten. Die Verordnung vollzieht dabei eine Strategie der Dequalifizierung: Auch wenn osteuropäische Fachkräfte oft in der direkten Pflegearbeit tätig sein werden, sind sie nur als Haushaltshilfen zugelassen - ihre Arbeit wird damit dequalifiziert und verbilligt.

Wir folgern: Es ist politisch gewollt,

o dass die Hausarbeiterinnen weiter ohne Rechte und damit extrem flexibel zur Verfügung stehen sollen, dass ihre Arbeit unsichtbar gemacht und als unqualifiziert abgestempelt wird und dass die Bedingung dafür, nämlich die Illegalisierung der Betroffenen, systematisch beibehalten und sogar noch forciert wird.

o dass Migrantinnen, die es an-deren durch die Entlastung von Haus- und Betreuungsarbeit überhaupt ermöglichen, zu arbeiten und zu lernen, weiterhin von Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Während das Gesetz darauf abzielt, von den Bildungsinvestitionen anderer Länder zu profitieren, stehen die hier lebenden Migrantinnen, die sich qualifizieren wollen, einer Fülle von Hindernissen gegenüber - von der Nichtanerkennung ihrer Berufs- und Schulabschlüsse über die Bevorzugung von Deutschen bei den meisten Aus- und Fortbildungen bis zur Schwierigkeit, eine Kinderbetreuung während der Ausbildung zu organisieren.

Wir fordern:

Hausarbeit als gesellschaftlich relevante Arbeit anzuerkennen und sichtbar zu machen! Ein Ende sexistischer und rassistischer Zuschreibungen auf dem Arbeitsmarkt und eine politische Diskussion über die gesellschaftliche Aufteilung von Haus- und Betreuungsarbeit. Arbeits- ebenso wie Menschenrechte müssen für alle gelten und unabhängig vom Aufenthaltsstatus einklagbar sein. Zugang zu Gesundheitsver- sorgung, Bildungsmöglichkeiten, Kindergärten und Schule für alle. Papiere, offene Grenzen und Respect für alle!

RESPECT-Netzwerk in Deutschland

Dazu gehören u. a. und unterschreiben hiermit: agisra e. V. (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung) Köln; FiM - Frauenrecht ist Menschenrecht e.V. Frankfurt a. M., IMBRADIVA (Iniciativa de mulheres brasileiras contra discriminacao); KOFIZA (Kontakt- und Frauen- Informationszentrum für Afrikanerinnen, Asiatinnen und Latein-Amerikanerinnen) Nürnberg; Frauen- Lesbenbündnis gegen Rassismus und Illegalisierung Berlin, SoLatina Berlin, Respect-Initiative Berlin, ZAPO (Zentrale integrierte Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa) Berlin.

Infos unter: www.respect-netz.de