Wir sind das Bodenpersonal des "vahsi kapitalizm"

Globalisierungsstandort Deutschland, Oktober 2003: Der Bundestag hat Hartz III und Hartz IV beschlossen. Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden zusammengelegt. Für alle Kanaken ohne deutschen Pass kann das zu einer Falle werden. Das neue Arbeitslosengeld II wird nur an diejenigen bezahlt werden, die unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Davon sind alle ausgeschlossen, die nicht EU-Bürger sind. Längerer Verlust des Arbeitsplatzes führt dann im freien Fall in die Sozialhilfe. Das wiederum bedeutet, von Weiterbildungs- und Vermittlungsangeboten der Arbeitsämter ausgeschlossen und damit mehr oder weniger chancenlos auf dem regulären Arbeitsmarkt zu sein. Wer in Almanya allerdings seinen Unterhalt nicht selbst bestreiten kann, der bekommt auch keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, Familienzusammenführung wird mehr denn je zu einem komplizierten Strategiespiel, Dauerbleiberecht entfällt, Einbürgerung ist nicht möglich. Vielen wird sogar die Abschiebung drohen, obwohl sie seit Jahren hier leben.

Globalisierungsstandort Deutschland, Dezember 2001: Der damalige Arbeitsminister Riester bringt eine gesetzliche Regelung auf den Weg, wonach die so genannte "Anwerbestoppausnahmeverordnung" erweitert wird: Pflegehilfen aus EU-Beitrittsländern sollen die hier unbeliebten Jobs übernehmen.

Die darauf folgende Debatte über Einwanderung und Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte erinnert an die Diskussionen über das alte Gastarbeitersystem, ohne dass von einer Neuauflage die Rede sein kann. Heute ist die Debatte über die Notwendigkeit einer Regelung der Einwanderungsfrage (Zuwanderungsgesetz?) auch Ausdruck der »Autonomie der Migration«, die trotz und gegen den Willen des Staatsapparates stattgefunden hat - und stattfindet - und auf die die gegenwärtige Regierung eine Antwort zu finden sucht.

So reagierten auch Riester und Co mit ihrer Vorstellung von 'Pflegehilfen aus Osteuropa in deutsche Altersheime' auf eine ohnehin bereits bestehende Praxis. Im Vorfeld der Verordnung fand eine Reihe von Razzien in hessischen Haushalten statt und 200 'illegale polnische Haushaltshilfen' wurden abgeschoben. Ein Skandal! Sie waren alle von »Der Polin«, einer pensionierten Altenpflegerin aus Chrzastowice, vermittelt worden. Während die Ärzte und Sozialstationen in Hessen zuvor systematisch Kooperationsbeziehungen zu ihr aufgebaut hatten, galt sie nun der Frankfurter Staatsanwaltschaft als »Kopf einer Schleuserbande«.

Doch jede neue Regel, jede neue juristische Kodifizierung ruft auch neue autonome Taktiken hervor, diese individuell und kollektiv zu umgehen. Diese inoffizielle und sicherlich »irreguläre« Migration hat die Bedingungen verändert unter denen sie stattfindet. Ebenso ändern sich die Bedingungen, unter denen ArbeitsmigrantInnen in Deutschland leben und arbeiten. Die wachsende Zahl der MigrantInnen ohne Papiere deutet darauf hin, dass es keine kohärente staatliche Regulierung der Migration gibt: Die Greencard- Einwanderung, die »Riester-Verordnung« und das zwischenzeitlich gescheiterte Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zur Zuwanderung, stellen den Versuch einer Neuzusammensetzung der Ressource Arbeitskraft dar, in der rassistische Diskriminierung auf immer neue Weise moduliert wird.

Lebens- und Einkommensverhältnisse unterliegen einer zunehmenden Prekarisierung in Almanya. Die Derregulierung arbeits- und sozialpolitischer Errungenschaften konnte bislang verhindert werden. Eine flächendeckende Durchsetzung eines Niedriglohnsektors scheitert noch immer am Widerstand der Gewerkschaften. Ein Lohnniveau unter der Sozialhilfe konnte bisher nur da durchgesetzt werden, wo ein Anspruch auf Sozialleistungen nicht besteht: bei den Beschäftigten ohne gültige Aufenthalts- und Arbeitspapiere. Kann grundsätzlich in allen Bereichen ein Angriff auf das Lohnniveau festgestellt werden, so ist er hier am signifikantesten.

Illegale Beschäftigung findet vor allem in kleinen Betrieben, auf dem Bau und in der Landwirtschaft statt. Wir arbeiten in der sogenannten Sexindustrie, in Gaststätten und im Hotel-, Reinigungs- und Sicherheitsunternehmen. Der Abbau industrieller Arbeitsplätze hat einem Anwachsen des Dienstleistungssektors Platz gemacht, der zunehmend Bedarf an billigen Arbeitskräften anmeldet: Statt produziert wird bedient. Unter der Hand wird illegale Beschäftigung und die damit verbundene Migration nicht nur stillschweigend 'geduldet', sondern sie erscheint auch geeignet den "Reformstau", wie es im neoliberalen VerschlankungsTalk heisst, zu umfahren. Ganze Bereiche in Bau, Landwirtschaft und Dienstleistung würden zusammenbrechen, wenn die illegale billige Arbeitskraft für 2euro50 die Stunde wegfällt. In diesem Sinne bildet der Status der Illegalisierten das Utopia einer derregulierten neoliberalen Gesellschaft. Die Ware Arbeitskraft unterliegt dann keiner störenden kollektiven Verbindlichkeit mehr. Die Entrechtung in der Migration ist die extremste Ausformung einer Tendenz zur Prekarisierung und Flexibilisierung, deren Wellen immer weitere Teile der Lohnabhängigen erfassen. Aber wie immer gibt es zwei Seiten der einen Medaille: Die zweite ist, dass wir auch hier Rechte haben. Auch ohne Papiere gilt: wer im Haushalt arbeitet, kann von den ArbeitgeberInnen gegen Unfälle versichert werden. Wer um seinen Lohn beschissen wird, kann vor jedem Arbeitsgericht klagen. Realistisch und sicher ist das allerdings erst dann, wenn die Gewerkschaften statt Razzien unsere Kämpfe unterstützen.

Entspricht dem "Bedarf" an billiger Dienstleistungsarbeit gegenwärtig kein staatliches Anwerbesystem, so wurde mit der »Riester-Verordnung« erstmals politisch offiziell zur Kenntnis genommen, dass das »Bodenpersonal« im Globalisierungsstandort Deutschland faktisch massenhaft die Schengener Grenzen überschreitet und sich unentbehrliche Arbeit besorgt.

Der Status der Papierlosigkeit betrifft strukturell alle hier lebenden Menschen ohne deutschen Pass. Und diesen Punkt sollten wir zu unserer Stärke erklären! Die meisten der sog. illegalen MigrantInnen kommen nämlich nicht rechtlos in dieses Land, sondern werden durch die Maschinerie des Migrationsregimes entrechtet. Den Zustand keine Papiere zu haben kennt hierzulande jede kanakische Familie, jeder Student, jeder Saisonarbeiter, jede Aupair, jede Greencardexpertin. Illegalisierung ist ein Prozess: du wirst vorzeitig geschieden von deinem deutschen Ehepartner, du verlierst deinen Aufenthaltsstatus nach Inanspruchnahme sozialer Leistung, oder durch Vorstrafen, durch Verletzung der Residenzpflicht oder anderer im Ausländerrecht festgeschriebener rassistischer Sondergesetze. Illegalisierung bedeutet, dass es in dieser Stadt und im ganzen Land ein Ausländerrecht gibt das uns den Zugang zu sozialen und politischen Rechten verwehrt, auf der Strasse, bei der Ticketkontrolle in der U-bahn, am Arbeitsplatz, in den Behörden, an der Wahlurne. Statt defensiv auf jede Gesetzesverschiebung zu reagieren, müssen wir endlich offensiv für kollektive Rechte kämpfen. Wir stützen uns auf das Wissen um Wege, Praktiken und Netzwerke, die nicht nur einen anderen Einreiseweg als den jeweils als legal gekennzeichneten kennen, sondern auch in der Lage sind, Jobsuche, Schulbesuch, medizinische Versorgung und Wohnungssuche zu ermöglichen. Klar ist, dass eine Offensive für ein Recht auf Legalisierung ihr grösstes Potential in dem Moment erreicht, in welchem die Untertitel lauten: No Integration! Denn die Rede von Integration steht für Anforderungen, die an MigrantInnen gerichtet werden und nur einzelne Privilegien versprechen, wo es eigentlich um allgemeine Rechte gehen müsste.

Deshalb kann der Kampf für ein Recht auf Legalisierung keine Einpunktkampagne mit Stichtagsregelung für Sans Papiers sein, sondern setzt an den Lebensverhältnissen an, in denen MigrantInnen ohnehin schon für individuelle oder kollektive Rechte kämpfen und sie sich nehmen: Für das Bleiberecht, für free movement oder bessere Löhne, für das Wahlrecht, gegen Abschiebung, für Greencards für SexarbeiterInnen, für Selbstverteidigung oder gegen die Ausbeutung innerhalb und außerhalb der Communities.

Generalstreik des Bodenpersonals!!

kanak attak