P R E S S E
Haben Hass, wollen Pass

Sassan Niasseri

Sie nennen sich Deutschländer oder Kanaksters. Wenn sie sich gegen Repressionen wehren, wird daraus eine "Kanak Attak": ein Aufstand der in Deutschland geborenen Ausländerkinder. Geführt von Jugendlichen, die wütend sind, weil ihr Leben von einer unerträglichen Polarität bestimmt ist - auf der einen Seite das Sich-Verpflichtet-Fühlen gegenüber der elterlichen Herkunft, auf der anderen Seite ein Zwang zur Assimilation, der sie auf deutsche Sitten festnageln will.

Das Bekenntnis zu Kanak Attak artikuliert diese Wut und ist ein Ausweg aus dem multikulturellen Identitätskampf. Kanak Attak ist das Spiel mit dem Schimpfwort "Kanak", welches junge Ausländer sich neuerdings selbst geben und als Ausdruck neuen Selbstbewusstseins benutzen. Das ähnelt dem Afroamerikaner, der sich in Filmen und im HipHop den "Nigger" zu eigen macht und damit nicht nur den rassistischen Ernst des Wortes ins Lächerliche zieht, sondern es auch, im Blick auf die vorgebliche Exklusivität in der Anwendung, der weißen Bevölkerung entreißt.

Am Freitagabend nun hatten Ausländer, Deutschländer und Deutsche gleichermaßen die Volksbühne besetzt: Themenabend. Welchen politischen Einfluss hat der migrantische Widerstand in Deutschland? Wie rassistisch kann eine Bundesregierung sein? Welchen Platz in der Gesellschaft hat der "ehrliche" Kanak, der sich vom Life-Style-Kanak zu unterscheiden hofft? Darüber wurde viel kanakelt, glatte zehn Stunden lang. Say it loud, I'm Kanak and proud.

Kanak in der Werbung, Kanak beim Sport und in der DDR - die Auswahl an den inszenierten Performances, Lesungen und Diskussionsforen war beachtlich. Die Regisseure Thomas Arslan und Hussi Kutlucan zeigten ihre Sicht von türkischer Kanak-Kultur, indem sie ihre Filme präsentierten. Und von allen Seiten Musik: Im Sternfoyer waren Turntables aufgebaut (unter anderem legte die Popband Kante auf), das Theater wurde ab dem späten Abend durch die Auftritte der Rapperin Aziza A. und ihres Kollegen Murat G. zum Konzertsaal.

Den Gipfel inflationären Gebrauchs des K-Wortes lieferte das Diskussionsforum zum "Kanak-Chic in der Berliner Republik". Moderator Mark Terkessidis diskutierte mit seinen Gästen über Ausländer und ihren Stellenwert in der Popkultur. Mit dem Ergebnis: der größte Klischee-Kanak ist Helmut Kohl. Korrupt bis auf die Knochen. Ein wahrer Übertreter der Color line und ein fülliges Konglomerat all der Eigenschaften, die ein Ausländerfeind zu hassen begehrt.

Das Herzstück von Kanak Attak war zweifelsohne die Revue "OpelPitbullAutoput". Ein Versuch, die Geschichte zu repuzzeln und Gastarbeiter der ersten Generation mit den Jungen, die das Vereinslokal längst verlassen haben, zu versöhnen. Und eine Performance, die die Balance hielt zwischen Zynismus, Selbstreflexion und Systemkritik. Den Mittelpunkt der Revue bildet ein achtköpfiges Ensemble mit ausländisch-stämmigen Protagonisten, die dem Publikum abwechselnd Anekdoten über die Migration erzählen: geplatzte Träume wie der vom türkischen Onkel, einem Hütchenspieler, der in die Bundesrepublik kam und hier ein Casino aufmachen wollte. Schaffte er es bis nach Baden-Baden? Nein, er landete auf einer Baustelle in Pforzheim. Dazu auf einer Leinwand Dokumentationen aus fünf Jahrzehnten Einwanderungspolitik: über Anwerbestellen für italienische Gastarbeiter, Arbeits- und Wohnkämpfe in den siebziger Jahren, Fremdenfeindlichkeit in Hoyerswerda. Techno-Beats und Kampfparolen wie "Wir haben Hass, wir wollen Pass" machen den Rhythmus. Am Ende ein Aufruf: Fangt endlich an, euch zu wehren! Füllt das neue Selbstbewusstsein mit Erfahrungen!

Ein Haupt-Protagonist des Kanak Attack ließ sich nicht blicken: der Schriftsteller Feridan Zaimoglu. Er hat Kanak-Sprak populär gemacht. Zaimoglu hätte hier seine Freude gehabt, denn er ist streitlustig. Er hätte die Parolen kommentiert, die von den anderen nur beklatscht wurden.