P R E S S E
Raus aus den Teestuben, rein in den Pop

Kanak Attak schmeißt die Lichterketten weg und singt und tanzt an gegen den täglichen Rassismus

Von Markus Thönniss

"Aber warum?", fragt die Italienerin ratlos. Die Ärzte prognostizieren ihrem schwerkranken Gatten nur noch zehn Tage. Und der beharrt mit einem Mal darauf, die Deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. "Glaubst du, im Himmel wird dich jemand nach deiner Nationalität fragen?" Mit sophistischem Trotz entgegnet ihr Mann: "Wenn schon jemand sterben muss, dann besser einer von denen als einer von uns!" Die Volksbühne bebt unter johlendem Gelächter. Und auch die deutschen Besucher des Kanak-Attak-Abends lachen unbefangen über die Pointe. Denn darin war man sich am Karfreitag einig: Spätestens seit Solingen, seit Mölln, seit die Dumpfbackigkeit des braunen Mobs das Land national zu befreien sucht, wird die Grenze zwischen ‚denen' und ‚uns' weder von Herkunft noch vom Pass gezogen.

Und deshalb finden sich auch Deutsche unter den jungen Migranten von Kanak Attak, die sich nach einer Umwertung der Wörter selbstbewusst Kanaken nennen. Wer nun jedoch gleich wieder authentizitätsversessen den Zorn des Gettos erhofft, den wird der Zusammenschluss von Geisteswissenschaftlern, Künstlern und Journalisten aus dem Bundesgebiet enttäuschen. Seit gut drei Jahren drängen sie in Umdeutung einer feministische These ("Du wirst nicht als Kanake geboren, sondern zum Kanaken gemacht!") aus den ihnen zugewiesenen Räumen, den Teestuben und Multikulti-Treffs, an die Öffentlichkeit, um sich gegen alltägliche und staatliche Repression in "Almanya" zu wehren. Mit einem Mix aus Theorie, Politik und künstlerischer Praxis bricht "Kanak Attak" mit der von Lichterketten illuminierten Opferrolle und erprobt eine neue Form politischen Handelns: Durch die Codes der Popkultur jenseits des herrschenden Dialogs, in dem es "als unziemlich gilt, den Rassismus beim Namen zu nennen".

Aus dem Theatersaal drängen die Leute ins Sternfoyer, wo das Stimmengewirr mit dem DJ-Set von DJ Kung Fudo verschmilzt. Besucher beugen sich über die Flyer, auf denen das elfstündige Programm abgedruckt ist. Und während im Grünen Salon gerade die letzten Minuten der Reportage "Das Vietnamesen-Getto" laufen, disputiert der Publizist Mark Terkessidis mit Gästen über "Kanakchic in der Berliner Republik". Gerade eben ist der Hauptevent des Abends, die Revue "OpelPitbullAutoput" zu Ende gegangen: Von dokumentarischen Videosequenzen unterbrochen, skizzieren acht Schauspieler die Geschichte des kanakischen Widerstandes seit Ankunft der ersten Gastarbeiter. Und auch wenn sich der szenische Einfallsreichtum gelegentlich dem Schultheaterniveau gefährlich weit annäherte, rissen die Doppelbödigkeit, die Selbstironie, das Vexierspiel zwischen Selbstverständnis und den Assimilationserwartungen der "Mehrheitskultur" nie ab.

Eine junge Kanaka eilt mit einem Mikrofon durch die Pausenbar des Theaters. Sie bittet um Eindrücke zur bald auf Deutschlandtournee gehenden Revue. Da gibt es Bedenken. Sie pflichtet bei: "Nein, mir hat die Deutung von Murad auch nicht gefallen." Murad G. ist Rapper. Bevor er am Ende der Revue den Soundtrack zur Bewegung "Dieser Song gehört uns" vorstellte, interpretiert er die Revue pathetisch als Widmung an die nicht zu nehmende Würde der ersten Generation. Aber Kanak Attak verlangt eben keine Nivellierung heterogener Standpunkte, sondern versteht sich als Artikulationsmöglichkeit.