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Multikulturalismus? Die Caprifischer schlagen zurück!

Seit den antirassistischen Debatten der 90er gehörte es in bestimmten linken Kreisen zum guten Tonfall, vom Multikulturalismus als einem Rassismus der besonderen Art zu sprechen.

Was aber hat das rassistische Subjekt mit Multikulturalismus zu tun? Abgesehen einmal davon, dass die Vorstellung wenig sinnvoll erscheint, ein Subjekt sei rassistisch im Sinne einer "völligen Unterwerfung der Individuen unter ein paranoides Weltwahrnehmungs- und Deutungssystem" (Demirovic 1991) , wird damit allzuschnell ein Brückenschlag etwa zwischen dem gewalttätigen Rassismus von Neonazis und dem sich ja ursprünglich im Kontext einer antirassistischen Praxis verortenden Konzept des Multikulturalismus hergestellt. Kurz: "In der antirassistischen Szene ist es mittlerweile ein Allgemeinplatz, den zivilgesellschaftlichen Multikulturalismus als Rassismus zu kritisieren." (Bojadzijev/Tsianos 2000)

Der Gebrauch des Begriffs Rassismus spielt dabei eine doppelte und zugleich ambivalente Rolle. Erst in den neunziger Jahren gelang es, diesen in der Linken als politischen Begriff zur Beschreibung hiesiger Verhältnisse durchzusetzen, denn bis Anfang der Achtziger wurde Rassismus allenfalls im Kontext des Apartheidsregimes in Südafrika verwendet oder zur Beschreibung der "Rassenunruhen" in den USA. Rassistische Praktiken und Ideologien in der BRD hingegen wurden teilweise bis in die Gegenwart hinein in der Regel mit dem Begriff Ausländerfeindlichkeit bezeichnet. Während Ausländerfeindlichkeit mehr mit einer diffusen und irrationalen Einstellung der Subjekte zu tun zu haben schien, so versprach "Rassismus" immerhin andeutungsweise die systematische Auseinandersetzung von diskriminierenden, rassifizierenden Praktiken als Teil staatlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse. Gleichzeitig war der Ausdruck Rassismus in der Nachkriegszeit (in Europa) stark mit der völkisch-rassistischen Politik des Nationalsozialismus verknüpft, so daß das ganze politische Gewicht, das mit dessen Ächtung durch die westlichen Liberaldemokratien einherging, auch im Begriff des Rassismus mitschwang. Vor diesem Hintergrund war der Vorwurf des Rassismus eine nicht zu unterschätzende politische Waffe. (Frankreich)

Gleichzeitig ist seine universalisierende Verwendung Teil des Problems antirassistischer Theorie und Praxis, wenn sie etwa rassistische Argumentationsstrategien nachahmt. So gibt es einen antirassistischen Diskurs nach dem der Rassismus eine Krankheit sei, von der das Gemeinwesen (als Körper) geheilt werden müsse. Der Antirassismus begreift darin Gesellschaft als einen Körper, der von einem Virus befallen wurde. (vgl. Silverman 1994, 130) Neben den problematischen biologistischen Implikationen einer solchen Auffassung, scheint darin das auf, was ich den substantivischen (?) Gebrauch des Begriffs Rassismus nennen würde.

Anstatt den Multikulturalismus als gesellschaftliches Verhältnis zu analysieren, wird nach diskursiven Partikeln gesucht, die es ermöglichen ihn "dem Rassismus" zuzuordnen. So wurde der Multikulturalismus häufig mit der segregationistischen Apartheidspolitik Südafrikas verglichen , weil beide mit kulturalisierenden Zuschreibungen arbeiten. Elemente der identitären Konstruktion haben in beiden Fällen je unterschiedliche Bedeutung, werden aber aus dem jeweiligen Kontext entfernt und auf den anderen übertragen. Aus dem Blick geraten die konkreten Verhältnisse, und damit auch die Widerstandspraktiken der Unterworfenen, die stets Teil des rassistischen Dispositivs sind und ohne die es es den permanenten Prozeß der Transformation des Rassismus nicht gäbe.

Im Multikulturalismus "den Rassismus" aufzuspüren, und ihn so als in einer linearen Kontinuität stehend mit anderen Formen rassistischer Praktiken zu bestimmen führt zu einer letztlich metaphysischen Theorie des Rassismus. Rassismus wird zu einer Entität, als ein letztlich unveränderliches "Wesen", das sich in unterschiedliche Formen verwandelt, sich in ihnen manifestiert, aber immer das Gleiche bleibt. Es geht hier nicht darum, zu betonen, dass "der Rassismus viele Gesichter" hat, sondern unter Rassismus eher einen Namen zu verstehen, den man jedem Herrschaftsverhältnis gibt, in dem die Rassekonstruktion einen zentralen Bestandteil bildet.

Modernisierung

Wenn es der immer gleiche Rassismus ist, der sich bloß unterschiedlich kleidet, dann ist es auch möglich, den Multikulturalismus als einen modernisierten Rassismus zu beschreiben, wie dies im Zuge der Rassismus-Diskussion seit den Neunzigern zunehmend aufkam. Der Begriff "Modernisierung" hatte Ende der Achtziger etwa den Stellenwert und die Funktion des Begriffs Neoliberalismus heute. Modernisierung hieß soviel wie eine Veränderung politischer Strategien und Modalitäten von Herrschaft - jedoch unter dem Primat des Weiterbestehens der kapitalistischen Vergesellschaftung (oder wie sonst man die "schlechten Verhältnisse" als Allgemeinheit titulierte). Herrschaftstheoretisch gesprochen: Die jeweils an der Macht befindliche Fraktion der herrschenden Gruppen installiert einen neuen Modus der Herrschaftsausübung.

Insbesondere die rot-grüne Regierung und das damit korrelierende zivilgesellschaftliche "Umfeld" stehen heute für so ein Herrschaftsmodell. Die Funktion des modernen zivilgesellschaftlichen Multikulturalismus wird so als herrschaftlicher "Trick" beschrieben. So meinte die autonome l.u.p.u.s. gruppe Anfang der neunziger Jahre, der Unterschied zwischen dem Nationalsozialismus und der Herrschaft in liberaldemokratischen Regimes beruhe auf einer Einsicht der "Politiker, Industriellen und Militärs". Sie hätten "aus dem Nazismus Konsequenzen gezogen ... ihn auf ihre Art verarbeitet' un die Herrschaft technologisiert und modernisiert" (lupus 1992, 36).

Die linke Kritik am Multikulturalismus war so weitgehend um den Preis grober Vereinfachungen erzielt worden. Als einzige Alternative zur eindeutigen Verurteilung des Multikulturalismus als Rassismus erscheint dabei recht häufig dessen Apologie als Fortschritt. Als Fortschritt gegenüber der "Monokultur unserer Eltern, gegen die wir immer gekämpft haben", gegenüber den Konzepten der Konservativen, gegenüber dem Schlimmsten. Die Logik dieses binären Denksystems entspricht ziemlich genau derjenigen von Reform-Revolution, die teilweise noch heute die Diskussionen schematisieren.

ZÜ Die Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit dem Multikulturalismus haben unter anderem mit seiner Stellung im Diskurs des Antirassismus zu tun. Jede antirassistische Praxis entwickelt sich zunächst gegen die jeweils dominierende Form rassistischer Herrschaft. So positioniert sich der universalistische Antirassismus gegen einen Rassismus, der vor allem segregationistisch strukturiert ist und auf der rechtlichen, sozialen und politischen Ebene Ausschlüsse auf der Basis der Rassekonstruktion produziert. Der universalistische Antirassismus behauptete somit vor allem die Gleichheit der Menschen und die Notwendigkeit, die Differenzen, die ja vorher als Objekt der Diskriminierung gedient hatten, zu ignorieren. Nun gab es aber auch einen Universalismus, in dem die rassistische Unterdrückung eingeschrieben war. Ein Universalismus, nach etwa dem alle Franzosen sind, die in Frankreich geboren werden, sich aber dann einen "französischen Namen" zulegen müssen; wo die Kultur der universellen Menschenrechte französisch, mindestens jedoch europäisch ist. Das "Recht auf Differenz" entwickelte sich so als Reaktion auf den im Kontext des Kolonialismus ausgearbeiteten Assimilationsterror. Die antikolonialistischen Kämpfe arbeiten selbst entlang der Differenzmarkierungen. Diese Gegenidentifikation der "Anderen" steht spiegelbildlich zur eurozentristischen Konstruktion des Selbst. Dieser Mechanismus der "Identifikation und Gegenidentifikation gehorcht der kulturalistischen Ideologie der Herrschenden" (Müller 1991: 39) und führt mithin dazu, dass der Antirassismus zwischen Assimilation und Differenz gefangen bleibt.

Wie kann eine Politik gemacht werden, die das Recht auf Differenz verkündet, diese aber auch überwinden will bzw. in der Differenzen nicht zum Aussschluß führen? Der Multikulturalismus schien die Antwort auf dieses Problem darzustellen: Ein Konzept, das auf Anerkennung der Differenz und der Ablehnung von Assimilationszwang beruht und das dennoch die Möglichkeit politischer Gleichstellung eröffnet, so scheint es.

Die problematische Doppelstellung eines differentialistisch argumentierenden Antirassismus wurde spätestens deutlich, als die Rechte auf verschiedene Weise in den Diskurs um Multikulturalismus intervenierte. Zum einen geschah dies durch die von Taguieff "Retorsion" genannte Umdrehung der politischen Bedeutung der entsprechenden Begriffe. Alle Redeweisen, die einmal dazu gedient hatten, im antikolonialistischen Kampf die Unterwerfung unter das koloniale System anzugreifen wurden nun kurzerhand gegen MigrantInnen gewandt. Das "Recht auf Differenz" sollte vor allem den Bewohnern der europäischen Metropolen zukommen - ein Recht, das durch die "Entfernung" der Zugewanderten hergestellt werden sollte. Zum anderen gab und gibt es eine Denunziation differentialistischer Politiken im Namen des Universalismus, die beispielsweise gegen Anti-Diskriminierungsvorschriften und affirmative-action-Programme gerichtet waren. Die Tories warben (WANN?) etwa mit dem Bild eines Afrobriten und folgendem Slogan: "Für Labour ist es ein Schwarzer, für die Tories ist er Brite!" Der Retorsionseffekt durch die Politik der Neuen Rechten bestand wesentlich in einer Verdinglichung dieses Topos in Gestalt einer Kulturalisierung der Differenz. Kulturen sind darin unüberwindliche Schranken und Politik ist deshalb eben nicht möglich. (vgl. Müller 1991: 38)

In der Strategie des Multikulturalismus als Antirassismus reproduziert sich diese kulturalistische Falle auf eine ähnliche Weise. Die Vielfalt der Kulturen soll zwar den Rassismus ablösen. Das Problem ist jedoch, dass die Bedingungen der Trennung zwischen der "eigenen" und der "fremden" Kultur darin nicht zur Disposition stehen. Die sozialen Bedingungen, unter denen die vielen Kulturen in einer Gesellschaft koexistieren sollen, sind festgelegt. Der Rassismus wird dann als irrationales Phänomen definiert, dass nicht aus der Gesellschaft, sondern von ausserhalb kommt. Sei es vom Staat, der den Menschen den Rassismus aufnötigt oder von einzelnen Individuen, die dumm sind oder falsch erzogen wurden.

Multikulturalismus in der BRD

Das Konzept des Multikulturalismus ist in der Bundesrepublik Deutschland hauptsächlich ein politischer Kampfbegriff gewesen, der von deutschen Intellektuellen ausgearbeitet und verallgemeinert wurde. Er ist somit vor allem ein von Vertretern der Mehrheitsgesellschaft ausgearbeitetes Konzept zum Umgang mit den "Nicht-Deutschen". Als politischer Kampfbegriff diente er in erster Linie als Gegenmodell zu konservativen und völkischen Strategien. Die aufkommende alternativ-linke Zivilgesellschaft grenzte sich damit gegen die etablierten Volksparteien ab, eben auch gegen die SPD. Aus deren Reihen war nicht gerade selten zu hören, die "Gastarbeiter" sollten in Krisenzeiten deutschen Arbeitskräften Platz machen und wieder "nach Hause" gehen - auch in den 80ern noch, als viele der "Gäste" nunmehr 15-20 Jahre in Deutschland lebten.

Dennoch beginnt in dieser Zeit die Rede vom "Gastarbeiter" in Frage gestellt zu werden. Sowohl von Teilen der linken Sozialdemokratie, der aufkommenden Alternativszene und kirchlichen Kreisen, als auch von organisierten MigrantInnen selbst. Einerseits wird immer deutlicher, dass ein großer Teil der ArbeitsmigrantInnen Deutschland nicht so schnell verlassen wird. Die Rotationsmodelle, die genau das verhindern sollten, waren abgeschafft und es gab relativ weitgehende Regelungen für den Familiennachzug. Diese Regelungen trugen schlicht der Tatsache Rechnung, dass viele der ArbeitsmigrantInnen schon sehr lange in Deutschland lebten und dass auch die ständige Auswechslung des Arbeitspersonals nicht unbedingt im Interesse der Unternehmen war. Gerade der Familiennachzug trug zur spezifischen Situation einer de facto Einwanderung bei: Zwar wurde damit anerkannt dass die ArbeitsmigrantInnen dauerhaft hier lebten, als Ausländer sollten sie aber weiterhin den Status von Gästen innehaben und keine politischen Rechte geniessen.

Der Begriff des Multikulturalismus stand auch dafür, überhaupt anzuerkennen, dass die vielen Gäste gar keine waren. Dass dies keinesfalls selbstverständlich war, zeigte nicht zuletzt die massiven Kampagnen gegen MigrantInnen Anfang der Achtziger. Regierung und Opposition begannen die Anwesenheit der ArbeitsmigrantInnen und Flüchtlinge auf verschiedene Weise grundsätzlich zur Disposition zu stellen. Die Regierung Kohl erklärte 1983 gar die Ausländerfrage zu einem der vier Schwerpunkte ihres "Dringlichkeitsprogramms". Während Kohl und Innenminister Zimmermann das ehrgeizige Ziel verfolgten, 1 Mio. Ausländer "rückzuführen", wie das damals hieß, formierte sich gegen diese Politik ein breiter Widerstand, der von Sozialdemokratie über Gewerkschaften und Kirchen, bis zu den Grünen ging. Der Mainstream debattierte also fröhlich die Modalitäten der Rückkehrförderung: Sollte man die Arbeitslosenversicherung auszahlen oder gar die eingezahlten Rentenbeiträge (selbstverständlich nur die abeitnehmerseitigen) und war das überhaupt bezahlbar? War es nicht, wie sich dann herausstellte und so bekamen die paar, die wahrscheinlich ohnehin gehen wollten ein paar tausend Mark bezahlt. Der Gegenentwurf hieß Integration, wobei der multikulturalistische Aspekt vermutlich in erster Linie der Tatsache Rechnung tragen sollte, dass es zwanzig Jahre lang eben keine Bemühungen gegeben hatte, irgendwen auch nur ein bißchen zu integrieren und man das Resultat nun kulturelle Vielfalt heißen konnte.

Für die MigrantInnen hatte der Multikulturalismus ambivalente Effekte, denn neben seiner Funktion als Gegenbegriff gegen "Leitkultur" konnten mit ihm auch Forderungen nach Assimilation zurückgewiesen werden. Eine multikulturelle politische Praxis etablierte sich jedoch weitgehend nur auf kommunaler Ebene. Insbesondere bezogen auf letzteres hatte der Multikulturalismus unter anderem den Effekt, dass vielen Migrantinnen und Migranten sich nun die Möglichkeit bot, politisch, sozial und kulturell am bundesrepublikanischen politischen und kulturellen Leben zu partizipieren. Hatten doch Ausländergesetz und -politik jahrelang die politische Betätigung der MigrantInnen verhindert und diejenigen Strömungen gestärkt, die heimatorientierte "Kulturpflege" betrieben hatten. Von der banalen Tatsache, dass die kulinarische Exotisierung der MigrantInnen viele von ihnen auch zu (gastronomischen) Unternehmern gemacht hat, über den Literaturbetrieb bis zur politischen Arbeit in Institutionen wie der RAA (Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien) und interkulturellen Büros bis hin zu muttersprachlichem Unterricht an Schulen , und der Förderung von türkischem HipHop durch Jugendzentren u.ä. (vgl. Terkessidis 2000, 81).

Die Verschiebung der Auseinandersetzung auf den Bereich Kultur hat dabei zu einer Depolitisierung beigetragen. Einmal durch die kulturalistischen Zuschreibungen, die die MigrantInnen nun auch zu erfüllen hatten, denn Multikulturalismus sollte Deutschland ja "bereichern". Die Multikulturalisten hatten die clevere Idee, dem Bedrohungsszenario der Einwanderungsgegner eine Gegenrechnung zu präsentieren. Die MigrantInnen seien nicht nur ein Problem, sondern brächten ja auch was mit, die Pizza nämlich und den Döner. Also musste man Tee servieren und Folklore tanzen, sich in der "eigenen Kultur" auskennen wie sonst kein Kulturwissenschaftler und wenn jemand Gülden oder Yugomir hiess, aber kein türkisch oder serbokroatisch sprach, dann fand man das "echt krass, dass du deine eigene Sprache nicht sprechen kannst".

Nur wer das Multikulturalismus-Paradigma akzeptierte, durfte mitmachen. Das waren dann in der Regel jene Vorzeige-Kanaken der mittlerweile entstandenen kanakischen Mittelschicht, die allenfalls einige lobbyistische Forderungen formulieren durften, die freilich im Dienste des multikulturalistischen Miteinanders zu stehen hatten. Die Repräsentation von MigrantInnen im Multikulturalismus war somit Fake, denn wenn die "sozialen Verhältnisse nicht thematisiert werden, laufen die Repräsentations-Bemühungen von Migranten ins Leere. Angesichts des Rassismus, also der politisch-rechtlichen Ausgrenzung, haben die Bemühungen von Migranten im Kulturapparat, [... ] eine spezifische politische Dimension, die von ihnen kaum erkannt wird. Repräsentation im Sinne öffentlicher Sichtbarkeit und Repräsentation im politischen Sinne einer Interessenvertretung werden oftmals verwechselt." (Ayata 1999)

AMT FÜR MULTIKULTURELLE ANGELEGENHEITEN

Am Beispiel des Amts für multikulturelle Angelegenheiten, dem einzigen dieser Art bundesweit, ganz gut zeigen: Die meisten bekanntgewordenen Fälle in denen das AMKA politisch in Aktion getreten ist, stellen ambivalente Praktiken des Konfliktmanagements dar. Sie zeigen, dass die postulierte Rolle als Lobby der Frankfurter ohne deutschen Paß (Vives 1998, 93) permanent gebrochen und infragegestellt ist durch die Realität der Ausländergesetze und den Pragmatismus der AMKA-FunktionärInnen. Gleichzeitig hatte es, das zeigen Beispiele wie die Intervention des AMKA in den Konflikt um den sogenannten Polenmarkt, häufig die Funktion, die Interessen von Deutschen zu vertreten, die sich durch die Präsenz der MigrantInnen gestört fühlten. Ein anderer Aspekt ist, dass nur diejenigen Gruppen, die in irgendeiner Weise organisiert sind, ihre Interessen gegenüber dem AMKA überhaupt artikulieren und ggf. auch durchsetzen können. (Vgl. Vives 1998: 93) So tragen Institutionen wie das AMKA, indem sie von den MigrantInnen eben institutionalisierte Ansprechstellen erwarten, dazu bei, dass sich solche Organisationen herausbilden bzw. bestehende Organisationen einen Teil ihrer Arbeit neu justieren und auf solche lokalen Politiken ausrichten. Die unterordnende Einbindung von Teilen der MigrantInnen wird also organisiert vor dem Hintergrund einer vollständigen Ausblendung der sozialen und politischen Verhältnisse, in denen MigrantInnen in Deutschland leben. Deutsche und MigrantInnen sollen sich gegenseitig respektieren und tolerieren, was stets mit einer besonderen Aufforderung an die MigrantInnen verknüpft ist. Gerade sie müssten lernen, auch die kulturellen Sitten der Deutschen zu achten. Auffällig ist dabei, dass solche Passagen vornehmlich an die Mehrheitsbevölkerung adressiert sind, der die Anwesenheit der MigrantInnen auf jede erdenkliche Weise schmackhaft gemacht werden soll. Möglich ist dies durch die Aufrechterhaltung der kulturalistischen Dichotomie zwischen dem Selbst und den Anderen. Das Resultat ist Depolitisierung.

Die Suche nach dem heiligen Krahl

In den Neunzigern wurde der Multikulturalismus vor allem mit Argumenten kritisiert, die dem Komplex des universalistischen Antirassismus zuzuordnen sind. Der universalistische Antirassismus war jedoch nicht nur zu allgemein, er sah auch nicht, dass die mit der Gegenidentifikation entstehenden Probleme nicht einfach ignoriert und idealistisch wegdefiniert werden können. Das Unsichtbarmachen der realen Differenzen - vor allem der durch den Rassismus in die Welt gesetzten - konnte mithin genau so problematisch sein, wie permament auf sie zu rekurrieren. In den USA ist das durch die affirmative action-Programme noch viel deutlicher als hier.

Die ganze Debatte um Multikulturalismus und universalistischen Antirassismus ist jedoch selbst einem identitätspolitischen Dispositiv verhaftet. Auch Hybridität und Identitätsguerilla stellen darin bloß abstrakte Antworten dar, die die sozialen Kämpfe gegen den Rassismus ignorieren und häufig genug mit dem Vorwurf der Identitätspolitik der Klärung wichtiger Fragen entgehen möchten. So kann die Ambivalenz von minoritären Strategien, die auf zugeschriebenen und einverleibten identitären Markierungen basieren, gar nicht erst erkannt werden. (Bojadzijev/Tsianos 2000)

Den Multikulturalismus anzugreifen kann nicht heißen, die Kulturalisierung "an sich" anzugreifen. "An sich" nämlich haben die verschiedenen Elemente keine politische Bedeutung, sei es die identitäre Markierung oder der Rekurs auf eine differente Kultur. Aus der Erfahrung der Retorsion etwa, der Umdrehung und Besetzung emanzipatorischer Inhalte durch die neue Rechte die Schlußfolgerung zu ziehen, das Terrain sei damit verloren, hat sich als kaum fruchtbarer Weg erwiesen. Auch die Haltung, für die jeder Retorsionsprozeß den Beweis abgab, dass die retordierte Position von Anfang an falsch gewesen sein muß, begünstigte nur die fatale Suche nach der richtig richtigen Politik, die niemals umdrehbar sein würde. So befindet sich die linke Diskussion um Rassismus und Antirassismus derzeit gefangen zwischen zwei prominenten Resultaten dieser Suche: Identitätsguerilla und radikale Identitätskritik.

Worum es heute gehen muß ist, unter anderem dafür steht das Projekt Kanak Attak, einen Antirassismus zu entwickeln, in der die im Kampf gegen den Rassismus erworbenen Identitäten historisch und gesellschaftlich kontextualisiert anstatt pauschal zurückgewiesen oder schlicht abgefeiert werden. Die Kriterien dafür, welche Politiken nützlich sind im Kampf gegen Rassismus lassen sich aber keiner "Theorie des Widerstands" entnehmen. Weil rassistische Verhältnisse nicht nur die Ethnifizierten als Opfer des Rasssismus hervorbringen, sondern auch als vielfältige Subjekte und Praktiken gegen ihn, ist es die Geschichte der Migrantinnen und Migranten selbst, die aufgenommen und transformiert werden muß.

Die Kämpfe gegen rassistische Verhältnisse verändern sich nicht nur, weil "der Rassismus" sich immer erneut modernisiert, sondern auch weil der Kampf gegen "ihn" eigene Dynamiken enthält, die auch die Gruppe der Migrantinnen und Migranten historisch immer neu rekonstituiert.

Literatur:

Höhne, Thomas 1999: StaatsVolksBürgerschaft. Anmerkungen zu Staatsbürgerschaft, Nationalstaat und Fremde' in diskus Mai/99. Seite 25-30

Müller, Jost 1990: "Rassismus und die Fallstricke des gewöhnlichen Antirassismus." In: Die freundliche Zivilgesellschaft (Hg.: Redaktion diskus) Berlin 1990. Edition ID Archiv. S. 25-44

Demirovic, Alex 1990: "Vom Vorurteil zum Neo-Rassismus. Das Objekt Rassismus' in Ideologiekritik und Ideologietheorie." In: Die freundliche Zivilgesellschaft (Hg.: Redaktion diskus) Berlin 1990. Edition ID Archiv. S. 73-94

Silverman, Maxim 1994: Rassismus und Nation. Einwanderung und Krise des Nationalstaats in Frankreich. Hamburg. Argument Verlag

autonome l.u.p.u.s. gruppe 1990: Geschichte, Rassismus und das Boot. Wessen Kampf gegen welche Verhältnisse. Berlin. Edition ID-Archiv

Bojadzijev, Manuela/Tsianos, Vassilis 2000: "Mit den besten Absichten. Spuren des migrantischen Widerstands." In: iz3w (informationszentrum dritte welt-Freiburg) Nr. 244

Ruf, Werner 1997: Die algerische Tragödie. Münster. agenda Verlag.

Terkessidis, Mark 2000: Migranten. Berlin. Rotbuch

Ayata, Imran 1999: "Heute die Gesichter, morgen die Ärsche" in: Spex 11/99

Mestre Vives, Laura 1998: Wer, wie über wen? Eine Untersuchung über das Amt für multikulturelle Angelegenheiten. Pfaffenweiler. Centaurus Verlag