Marx' Gespenster in der Debatte um die "Autonomie der Migration" Eine Erwiderung auf Tobias Pieper in ak 485, erschienen in ak 487 - 17. September 2004, S. 34 Vor zwei Ausgaben befasste sich Tobias Pieper kritisch mit der von Kanak Attak - u.a. in Fantômas - vertretenen These von der "Autonomie der Migration". (1) Migrationsbewegungen, so Pieper, seien nicht autonom, sondern "letztlich durch die Aneignungsgesetzte des Kapitals" bestimmt. Die widersprüchlichen Momente der kapitalistischen Mehrwertaneigung, die durchaus auch unkontrollierbare Migrationsbewegungen hevorrufen, würden zusammengehalten durch die "ideologische Funktion" von Rassismus und Sexismus. Der folgende Beitrag nimmt die Diskussion am letzten Punkt auf. Effi Panagiotidis und Ulas Sener plädieren am Beispiel historischer feministischer Kämpfe für ein nicht auf "kapitalistische Aneignungsgesetzte" fokussiertes Politikverständnis und dafür, das Ausmaß der "postfordistischen" Transformation in den Formen der Analyse wie der Organisierung zu berücksichtigen. Ein Gespenst geht um in der Welt, verbreitet Schrecken, hinterlässt hier und da seine Spuren, entwischt den Kontrollen, stellt eine große Herausforderung dar. Gäbe es nicht dieses Gespenst, wie Tobias Pieper in seinem Artikel "Weder Gespenst noch autonom" postuliert, löste sich in der Tat der ganze Spuk auf. Die alte magische Formel eines bestimmten Marxismus ist auch in Piepers Artikel wieder am Werk: Ursache der Mobilität ist demnach keine andere als die Verwertungsdynamik des allumfassenden Kapitals, dessen funktionelles Element die Migration sei. Es ist kaum verwunderlich, dass aus dieser Perspektive der Zusammenhang von Rassismus und Sexismus als ideologische Konstante einer grundsätzlichen Verkennung des zentralen Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit, gesehen wird. Die Grundmechanik der kapitalistischen Ex- und Inklusion folgt demnach den Bewegungsgesetzen der Zirkulation der Ware Arbeitskraft. Ein solch anachronistisch anmutendes Remake einer werttheoretischen Hermeneutik der Migrationsbewegungen, die in der kritischen Rassismusanalyse schon seit Jahrzehnte als Reduktionismus attackiert wird, hat keinen Begriff für das subjektive Gesicht der Migration und ihre gespenstischen Kämpfe. Der politische Widerstand erfolgt aus der Sicht von Tobias Pieper durch die "kollektive Inbesitznahme der Fabrik". Im Mittelpunkt dieser Argumentation steht damit der offenbar unsterbliche Typus des/der LohnarbeiterIn. Piepers Beitrag steht exemplarisch für eine bestimmte neu-altlinke Konzeption von Migration. Die kritische Auseinandersetzung mit der "Autonomie der Migration", die der Artikel von Tobias Pieper zwar verspricht, aber nicht einlöst, demonstriert die Engpässe einer Kritikform, die sich nach wie vor der Herausforderung der migrantischen und feministischen Kämpfe und ihrer Kritik an der Zentralität des Klassensubjekts verweigert. Wir favorisieren dem gegenüber einen anderen Typus von Kritik und einen anderen Typus von Politik. Beides wollen wir im folgenden durch zwei Bezugnahmen skizzieren: auf die feministischen Kämpfe um Lohn um Hausarbeit einerseits, auf eine "Politik der Multituden", die ohne vereinheitlichende oder reduzierende Figuren auskommt, andererseits. Beide Bezugnahmen sind Markierungspunkte in dem Feld, in dem sich die Bewegungen und Kämpfe einer "Autonomie der Migration" situieren. Eine zwei drei Autonomien Der Perspektivwechsel, den Vertreterinnen der "Lohn für Hausarbeit"-Debatte in den 70er Jahren einläuteten, bestand darin, mit Blick auf die gesellschaftlich notwendige Arbeit von Frauen die herrschende Vorstellung von (Lohn-) Arbeit zu kritisieren. Die Aktivistinnen kämpften damals gegen den fordistischen Klassen/Geschlechter-Kompromiss, der Hausarbeit als Frauenarbeit zu Hause in die abgetrennte Privatsphäre verbannte. Sie verlangten für ihre Arbeit Geld vom Staat, um ihr Leben unabhängig organisieren zu können. Indem sie sich weigerten, als einzige Alternative die Vergesellschaftung durch die Arbeit in der Fabrik zu akzeptieren, erweiterten sie zugleich den politischen Handlungsspielraum auch der Linken. Diese Kämpfe befriedete der fordistische Wohlfahrtsstaat auf Kosten der unbezahlten Hausarbeit und durch die Konsolidierung der rassistischen Arbeitsteilung. Heute findet Arbeit im Reproduktionsbereich meist unter entgarantierten, deregulierten, flexibilisierten, kurz: prekären Bedingungen statt und umfasst neue Formen mehr oder wenig freiwilliger Selbständigkeit - Leiharbeit, Zeitarbeit, Mini-/ oder Projektjobs bis hin zu Schwarzarbeit. Bezahlte Hausarbeit, überwiegend erledigt von MigrantInnen mit illegalisiertem Aufenthaltstatus, ist die konkrete Antwort auf das Problem, wie die zwei als getrennt betrachteten Sphären Beruf und Familie komplementär vereinbart werden sollen. Diese Tätigkeiten sind schon längst "Gestalten der neuen Normalität der Ausbeutungsverhältnisse" (3). Piepers Beharren darauf, die Befreiungskämpfe in die "Fabrik" zu zwängen, rekurriert auf eine patriarchale orthodox-marxistische Analyse, die ihre Radikalität aus der dialektischen Logik der Erlösung am fernen Ende der Geschichte schöpft und die starre Trennung zwischen Produktion und Reproduktion sowie zwischen privat und öffentlich als relevante Analyse- Kriterien reproduziert. Weder reformistisch noch radikal Die Vertreterinnen der Lohnforderung hatten in der Auseinandersetzung um unbezahlte Hausarbeit betont, dass diese Kämpfe in Verbindung stehen mit der Arbeit außerhalb des Hauses, der Vergesellschaftung der Dienstleistungen und der Problematik der Gesamtbedingungen der menschlichen Reproduktion und der Sexualität. Davon ausgehend verwiesen die Aktivistinnen auf zwei häufige Fehler innerhalb der feministischen Argumentation. Der eine Fehler, die "reformistische Schwäche", lag demnach darin zu glauben, dass aus den verschiedenen genannten Bereichen sich eine "befreiende Alternative" herauslösen lasse. Der zweite Fehler, die "radikale Schwäche", lag in der Vorstellung, unterschiedliche Themen und deren Kampfziele könnten getrennt und unabhängig voneinander angegangen werden - nach dem Motto, Erfolg ist, wenn frau irgendwo wenigstens Teilforderungen durchsetzt. Die Lohn-für-Hausarbeit-Aktivistinnen sahen dem gegenüber das Ziel der Frauenbewegung darin, ein Machtinstrument zu schaffen, das die Frauen nicht vor schlechte Alternativen stellt. Dieses sollte dazu beitragen von einer offensiven Position aus Verhandlungen über die verschiedene feministischen Anliegen und ihre materielle Umsetzung zu führen. Eine Strategie, die bloß ein Befreiungsbewusstsein über die "weibliche Rolle" herbeiführen will, und somit die herkömmliche Ideologie durch eine andere ersetzt, ist, lehnten die Aktivistinnen ab: "Wir müssen alles daransetzen, die materielle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich das Leben aller Frauen ändern kann ... Wir wollen durch unseren Kampf in eine Position kommen, die es uns erlaubt, etwas abzulehnen, das schlimmer ist, als das, was wir jetzt haben."(4) "Lohn für Hausarbeit" beanspruchte somit den Platz einer internationalen "strategischen Kernforderung" für die gesamte Arbeiterklasse überhaupt, denn unabhängig von der Höhe der "weiblichen" Berufstätigkeit, wurde und wird die Tätigkeit von Frauen überall diskriminiert, solange sie nach wie vor in allen Ländern unbezahlte Hausarbeit zu leisten haben. Eine änderung dieser Verhältnisse, so die Aktivistinnen, könne jedoch nur durch den Zusammenschluss und die Organisierung der unbezahlt reproduktiv arbeitenden Frauen erreicht werden. Dieses historische Beispiel ist insofern anschließbar an den Begriff einer "Autonomie der Migration", als es auch in diesem darum geht, zu ermöglichen, von einer erkämpften Position der Stärke aus in konjunkturell vorhandene Kräfteverhältnisse einzugreifen. Es gilt nicht nur zu verstehen wie Migration heute organisiert wird, d.h. es geht darum, die Konturen der postfordistischen Klassen- bzw. Geschlechter-Kompromisse aufzuzeigen: Dieser zeichnen sich durch Illegalisierung (5) und Vergeschlechtlichung aus, wie das Beispiel bezahlter Hausarbeit durch illegalisierte MigrantInnen zeigt. Um diese zu erfassen, braucht es jedoch anderer Begriffe als solche, die die Trennung zwischen "privat" und "öffentlich" reproduzieren und letztlich immer auf die Figur des/der LohnarbeiterIn zurückführen. Und es braucht ein Verständnis von Organisierung, das der Heterogenität und Prekarität der gesellschaftlichen Arbeitsformen, Subjektivitäten und Positionen Rechnung trägt. Widersetzende ProduzentInnen In der Gesellschaft für Legalisierung fand der erste Schritt in diese Richtung statt, als sich die verschiedenen Gruppen und einzelne AkteurInnen im gemeinsamen Kampf für ein "No Integration! Für ein Recht auf Legalisierung" vernetzten. Gerade aber weil diese Vernetzung nicht als Vereinheitlichung funktioniert, werden die Beteiligten mit untereinander äußerst heterogenen materiellen Bedingungen und divergierenden politischen Orientierungen konfrontiert. Die Gesellschaft für Legalisierung ist kein basisdemokratisch strukturiertes breites Bündnis, das unterschiedlichen Positionen eine gleichberechtigte Vertretung gewährt. Vielmehr ist sie eine Möglichkeit der Begegnung, in der die Teilnehmenden um ihre Positionen streiten - und sich verändern können sollen, ohne sich anzugleichen. Die Kraft liegt nicht in der massenhaften Beteiligung, sondern in der Fülle von Gesprächen, Veranstaltungen und unzähligen formlosen Treffen, die Räume eröffnen und organisierend wirken. Die Differenzen und Konflikte dieser Diskussionen werden nicht nur als ideologisch entgegengesetzte Positionen verstanden, sondern vor allem als für den Prozess von Organisierung konstitutive Momente. Es geht dabei gerade nicht darum, das "Gemeinsame in der Differenz" zu suchen. Treffender wäre es, von einer "offenen Kohärenz" zu sprechen. Judith Revel weist darauf hin, dass es um den Prozess des "Werdens" geht als eine "Produktion von Differenzen", die nicht mit Identifikation, Imitation oder ähnlichkeit gleichgesetzt werden kann. Dieses Konzept des "Werdens" in seiner politischen Reformulierung zu begreifen heißt vom Gemeinsamen auszugehen "als Schaffung neuer Arrangements von Differenzen, die allein die Konstitution des Gemeinsamen erlauben. Das Gemeinsame, Commune, ist nicht das Ende der Differenz, es ist ihre Produktion". (6) Eine so verstandene Politik der Multitude beruht nicht auf dem Konzept einer Gegenmacht, die sich aus dem Zusammenschluss von MigrantInnen mit und ohne Papieren speist, welche gegen den Strom der gewaltförmigen Zwangsmobilität des Kapitals migrieren. Wenn "immaterielle ArbeiterInnen" heute Güter, Dienstleistungen, Informationen, Affekte, Körper, Sexualität produzieren, dann liegt die Herausforderung der Multitudes in der Erfindung einer "Sprache" des Widerstands die in einem inneren Verhältnis zur Produktion steht - ohne sie zu verklären. Denn: "Die prekäre Existenz kreist nicht um das Individuum, sondern um eine Vielzahl von Verbindungen, von Kooperationen und Interdependenzen. Das schließt Unterdrückung und Leid ebenso ein wie Perspektiven der Befreiung, der freien Assoziation." (7) Das Produzieren einer gemeinsamen Sprache zielt nicht auf Integration und Verständnis. Es will vielmehr das Neuartige in dem Zusammenhang zwischen Migration und Arbeit offen legen - und verweist auf eine Praxis des Widersetzens, die den Kampf gegen Rechtlosigkeit und für soziale Rechte stärkt. Efthimia Panagiotidis, Ulas Sener Kanak Attak, Gesellschaft für Legalisierung
1) Tobias Pieper: Weder Gespenst noch autonom. Eine kritische
Auseinandersetzung mit der "Autonomie der Migration", in: ak 485
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