Unmittelbar nach dem 11. September beendete der Bundesinnenminister die bis
zu diesem Zeitpunkt geführte Einwanderungsdebatte mit der Ankündigung, die
Frage der Durchlässigkeit der Grenzen müsse nun neu gestellt werden. Damit
war der Gesetzesvorschlag zur Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung von
Schily & Co. zwar nicht vom Tisch, aber der gesellschaftlichen Diskussion
entzogen. Drastische Verschärfungen bezüglich Maßnahmen der sog. Inneren
Sicherheit und der Grenzkontrollen lösen seitdem die Debatte um Einwanderung
ab. Bereits der vorherige Gesetzentwurf bedeutete eine Verschlechterung der
Situation für viele MigrantInnen. Eine Idee, diese Situation offensiv zu
wenden, war der Einwanderungsdebatte mit einer Kampagne zur Legalisierung
aller hier lebenden 1,7 Millionen Illegalisierten zu begegnen.
Diese Forderung wurde u.a. Kanak
Attak ins Spiel gebracht. Doch die im Zuge der Einwanderungsdebatte
entstandene Öffnung des Einwanderungsregimes und die damit verbundene
Möglichkeit einer offensiven Legalisierungskampagne scheint seit dem 11.
September vorerst wieder passé zu sein.
von Massimo Perinelli
Kanak Attak
Unsere Forderung nach Legalisierung sollte sich nicht erstrangig an
staatliche Institutionen richten, sondern zielte auf Mobilisierung und
Bewegung der im Geschäft des Antirassismus tätigen Gruppen. "Kein Mitzimmern
an Gesetzen zur Einwanderung, solange nicht alle bereits Eingewanderten
legalisiert sind", wäre ein möglicher Appell gewesen. Der Antirassismus der
Defensive und die Zersplitterung und Arbeitsteilung der antirassistischen
Linken in Almanya könnte, so unsere Vorstellung, wenn nicht überwunden, so
wenigstens in Bewegung gesetzt werden. Mittlerweile haben sich viele Felder
für eine Intervention dieser Art geschlossen oder verschoben. Wir wollen
unsere Einschätzung von "vor dem 11.9." hier noch einmal rekapitulieren,
bevor wir versuchen, den neuen bellizistischen Bedingungen gerecht zu
werden. Jenseits lähmender Schutt-und-Asche-Larmoyanz stellt sich nun die
Frage, ob in der aktuellen Situation ein "Antirassismus in der Offensive"
eine mögliche Option bleibt und welche Handlungsperspektiven sich bieten.
Anfang der neunziger Jahre trugen rassistische Übergriffe und
nationalistische Stimmung in Deutschland innerhalb der Linken langsam zur
Ausbildung eines antirassistischen Milieus bei. Dies war zugleich die
Geburtsstunde einer Arbeitsteilung, die mit der Abschaffung des Asylrechts
endgültig zementiert schien: Die einen beschäftigten sich mit Neonazis,
andere mit Flüchtlingen und der Rest kümmerte sich um die sogenannte
"Anti-Arbeit. Diese Arbeitsteilung war zugleich Ausdruck der Hegemonie
des rassistischen Regimes in den neunziger Jahren. Der Antirassismus und
seine Dreifaltigkeit blieb somit ein Antirassismus der Defensive. Als Mitte
der neunziger Jahren die Forderung nach Legalisierung von u.a. der Hamburger
Zeitschrift off limits erhoben wurde, galt diese in diversen
linksradikalen Zirkeln als ein Affront gegen die Forderung nach offenen
Grenzen und die Organisierung der Illegalität. Jenseits des beschworenen
Kampfes der kleinen Restlinken mit dem em "Schweinesyst wurden Alltagspraxen
kanakischen Widerstandes ausgeblendet. Faktisch folgte aus der Kritik der
LegalisierungsgegnerInnen eine Vertiefung der Spaltungslinien innerhalb der
antirassistischen Arbeitsteilung. Die zugrundeliegende Struktur, die
ethnische Stratifikation von Lebenschancen, konnte in keinem Ansatz
praktisch in Frage gestellt werden, weil sie selbst die Grundlage der
Politisierung im antirassistischen Geschäft lieferte: Es musste demnach
wilde Kanaken geben, die die deutsche Linke satt haben, damit ich mit denen
Selbstorganisierungspolitik als Antideutsche oder Antinationale spielen
kann. Es musste Flüchtlinge geben, die ich betreuen kann, damit ich Pro Asyl
bin.
Antirassismus in Bewegung
Es war also kein Zufall, dass die ganze Szene seit dem letzten kurzen Sommer
der Staatsantifa in eine Legitimations- und Zuständigkeitskrise geriet.
Unter den Bedingungen von Green Card, Einwanderungsdebatte und
Staatsbürgerschaftsreform wurde die antirassistische Aufgabenteilung
zunehmend unbrauchbar. Tatsächlich gab es auch ein Bewusstsein dieser
Arbeitsteilung, welches sich in den gegenwärtigen Verschiebungen innerhalb
der radikalen Linken und ihrer Art und Weise antirassistisch zu sein,
manifestiert. Das diesjährige Grenzcamp war dafür nur ein Beispiel. Ein
anderes Beispiel stellt sicherlich der Hype, aber auch die real wachsende
Bedeutung von MigrantInnenselbstorganisationen wie The Voice, Die Karawane
und auch Kanak Attak dar.
Mit der Frage nach der Überwindung der Arbeitsteilung stand also die Frage
nach einer Neubegründung des Politischen auf der Tagesordnung. So musste für
uns ein neuer Antirassismus einen kanak-operaistischen Perspektivwechsel
vornehmen und statt auf Forderungen an den Staat auf Mobilisierung und
Bewegung setzen. Dabei ging es weniger um eine Stilisierung von MigrantInnen
als privilegierte Subjekte des antirassistischen Kampfes, sondern vor allem
um eine Konzentration auf die Dynamik der Kämpfe selbst. In Konsequenz
bedeutete das, den Antirassismus nicht wie üblich als Reaktion auf die
staatliche Repression zu denken, da dies automatisch in die
Arbeitsteilungstrinität führt, MigrantInnen als zu beschützende Opfer
behandelt und den en "rassistischen Staat" als ein fügsames Instrument des
Kapitals oder als rationales Subjekt zur Etablierung rassistischer
Herrschaft wahrnimmt. Demgegenüber musste und muss die Materialität des sog.
"staatlichen Rassism als ein Beziehungsverhältnis sozialer Kräfte, bzw.
als Kristallisationspunkt von Beziehungen zwischen gesellschaftlich
koexistierenden Gruppen und Gruppenfraktionen begriffen werden. Konkreter
gesagt: als eine immer wieder umkämpfte Verdichtung von Kräfteverhältnissen
in politisch relevanten Kämpfen, in der Momente und Ereignisse geschaffen
werden müssen, die die migrantischen Realitäten nicht länger ignorieren
können. Weder der Kanak-Alltag und seine Kritik noch sein Verhältnis zu den
Prozessen der Klassenfragmentierung ist gleich geblieben.
Dies gilt auch für die Reaktionen des Staates auf das veränderte
Kräftegleichgewicht. Die staatlich gehypte Kanakophilie ist aus dieser
Perspektive nicht nur längst überfällige Modernisierungsmaßnahme im
weltweiten Konkurrenzkampf um die billigste qualifizierte Arbeitskraft. Sie
ist auch ein Ausdruck der Autonomie der Migration gegenüber den
Regulationsmaßnahmen der Einwanderungsstaaten und Ausdruck der
widerständigen kanakischen Alltagspraxen gegenüber staatlicher
Kontrollpolitik. Angeworbene bzw. anzuwerbende Leitungsfunktionäre und
immateriell arbeitende Kanaken plazieren sich jenseits klassischer Bad-Jobs,
während der Bedarf an unqualifizierten und prekär beschäftigten
IntegrationsverliererInnen der zweiten und x-ten Generation oder
Illegalisierten daneben uneingeschränkt weiterbesteht. Dadurch ergaben sich
neue Möglichkeiten des Widerstandes. Der Antirassismus müsste das
rassistische Regime selbst als eine Artikulation seiner Erfolge und
Niederlagen begreifen, d.h., der Rassismus hat seine Subjekte nicht immer
auf die gleiche Weise unterworfen und ist in der Geschichte nicht immer
siegreich gewesen. Mit der Legalisierungskampagne sahen wir eine tatsächlich
aussichtsreiche Möglichkeit, der Einwanderungsdebatte mit unerwartetem
politischen Druck von links zu begegnen. Die Einwanderungsdebatte ignorierte
die Illegalisierten als de facto Eingewanderte komplett. Darüber hinaus
erzeugte sie widersprüchliche Effekte, da sie sich, schematisch gesagt,
zwischen Positionen der Abschottung und des Nationalismus einerseits und
denen der Einwanderung aus Nützlichkeit andererseits bewegte. Gerade
Letzteres ermöglichte eine Bewegung weg von der Vorstellung einer homogenen
deutschen Bevölkerung. Der gleichzeitige Kampf gegen die
national-kapitalistischen Selektionspläne und die Stärkung jener Öffnung
schien dieses Manöver möglich zu machen: Es gibt bereits 1,7 Millionen
eingewanderte MigrantInnen in Deutschland. Sie haben keine Papiere, sie
müssen legalisiert werden. Die Verbesserung ihrer sozialen und rechtlichen
Situation wäre die Bedingung, von der aus der Rassismus anders angegriffen
werden könnte. Dabei sollte kein anderer reeller Referenzenpunkt (etwa
Nützlichkeitsfaktoren) behauptet werden als den der Illegalisierten selbst.
All das bedeutete auch, dass die Forderung nach Legalisierung schon immer
richtig oder vielleicht nie wirklich falsch war, aber diese Konstellation
eine andere historische Situation hervorbrachte, in der die Forderung nach
Papieren für alle tatsächlich die Verhältnisse zum Tanzen bringen konnte.
Die Krise der Krise des Antirassismus, so glaubten wir noch bis vor kurzem,
erzeugte eine historisch seltene, äußerst günstige Konjunktur für eine
Legalisierungskampagne mit zugleich mobilisierenden Wirkungen.
Alles bleibt anders?
Die Ereignisse seit dem 11. September haben die Vorzeichen innerhalb der
deutschen Einwanderungsdebatte umgedreht. Wo bisher ein ökonomischer
Nützlichkeitsdiskurs galt, werden nun die kontrollpolitischen Praxen
plötzlich vom Gerede von Islam und Islamismus, von der er "ander Kultur
überdeterminiert. Dies verschärft den Rassismus der Differenz, der die
Bedrohung christlicher Zivilisation durch die Andersartigkeit der
Andersartigen beschwört. Aber auch eine für uns ungewohnte Form des
Rassismus hat sich im Off der Kriegsberichterstattung entwickelt: Der
unsichtbare Schläfer, der als solcher nicht mehr zu erkennende, GEZ-zahlende
Kanake, eben jener technische Angestellte oder IT-Spezialist mit
Deutschkenntnissen, guten Manieren und europäischem Auftreten, der noch vor
wenigen Wochen als Ideal integrationspolitischer Phantasien hoch willkommen
war. Damit fällt der strukturelle Widerspruch der breit angelegten
Einwanderungsdebatte in sich zusammen: Trotz der gerade neu beschlossenen
Ausweitung der Green Card-Anwerbepolitik ist das Bild des eben noch
gewollten Ausländers, der im liberalen Talk nicht nur unter
Kapitalinteressen subsumiert werden konnte, sondern auch humanistisch
aufgeladen wurde, seit dem 11. September nahezu verschwunden. Damit
scheint zumindest gegenwärtig - auch der Referenzpunkt für unsere
Legalisierungskampagne wegzufallen: Wo noch vor kurzem der nationalistische
Selektionskapitalismus über den kapitalistischen Kosmopolithumanismus
stolperte, betoniert nun der tonnenschwere Sicherheitsdiskurs der
willkürlichen Behandlung von Kanaken den Weg.
Die Figur des Schläfers schien auf den ersten Blick neu für den
rassistischen Diskurs in Almanya. Sie stellt auch jene noch als potenzielle
Gefahr dar, die Monate zuvor noch als ls "Integrier erwünscht waren.
Plötzlich treffen sich der Student für Verfahrenstechnik der TU-Harburg mit
der illegalisierten Hausarbeiterin: Beide leben aufs äußerste angepasst und
quasi unsichtbar, beide werden Ziel von Fahndung. Wo der ökonomische Diskurs
noch gnadenlos selektierte, werden nun Ressourcen der sog. Inneren
Sicherheit reaktiviert, um beide als abstrakt gefährliche Subjekte zu
kriminalisieren. So wird Unsichtbarkeit zum Anlass für Inkriminierung. Auf
diese Weise verbinden sich das Bedrohungsszenario vom unerkannten Schläfer,
die Techniken der Rasterfahndung und der Differenzrassismus und produzieren
gemeinsamen en "Beifang".
Die Legalisierungsforderung ist damit nicht falsch. Aber die substanziell
veränderten Bedingungen des Politischen lassen derzeit nicht zu, diese als
"Offensive des Antirassism zu betreiben. In der Offensive bleiben könnte
jetzt hingegen bedeuten, u.a. ein Dispositiv dieses rassistischen Angriffs,
die Angst vor dem unzivilisierten Islam, ins Visier zu nehmen. Notwendig
wäre dafür, linke Kapitalismuskritik auf das Projekt islamistischer
Modernisierung auszudehnen. Der Islamismus könnte so als Erscheinungsmoment
der Moderne begriffen werden, der das nordwestliche Bild vom drohenden
Mittelalter aus dem Orient widerlegt. Anlehnend an die analytischen aber
auch strategischen Ressourcen der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung
müsste auch das Modernisierungskonzept des politischen Islams als
kapitalistische Alternative zum G8 Modell begriffen und kritisiert werden.
Beide unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfe, der transatlantische wie der
islamistische, funktionieren nichtnationalstaatlich, ausbeuterisch und durch
und durch modern. Was da nun im Krieg miteinander steht sind zwei
Alternativmodelle kapitalistischer Vergesellschaftung.
Gleichwohl würde das auch den Abschied vom om "Traum vom schönen Kapitalismus"
bedeuten, wie sie Teile der Bewegung in ihrem Einsatz für die gerechte
Verteilung kapitalistischer Beute immer noch träumen. Gleichzeitig wird auch
der latent rassistische Gehalt jener Antiglobalisierungsströmung deutlich,
die denkt, den europäischen Reichtum gegen ein US-amerikanisches
Finanzjonglieren einerseits und eine Migrationsbewegung aus dem Süden und
dem Osten andererseits zu sichern. Eine der vordringlichsten Aufgaben
antirassistischer Bewegungsteile bleibt eine internationale Vernetzung
innerhalb der Bewegung, die die Verknüpfung antirassistischer Analysen mit
einer erweiterten Kapitalismuskritik betreibt und als Ausgangspunkt nimmt.