Heute die Gesichter,
morgen die Ärsche
Im Kulturprogramm der Berliner Republik spielt Kanak Chic eine immer tragendere
Rolle. Junge MigrantInnen werden in Zeitungsartikeln und TV-Features zu innovativ-
hybriden Subjekten stilisiert: Sie sollen der Kulturindustrie Impulse liefern. Mit
traditionellem Multikulturalismus hat das wenig zu tun, aber noch viel weniger mit
einer fülligen Politisierung der Debatten um Migrantenkultur. Ein Beitrag von IMRAN
AYATA (Kanak Attak).
Neulich in Berlin-Mitte. Zwei Redakteure des SFB, die an einer Geschichte über
junge, erfolgreiche Türken in der Hauptstadt arbeiten, befragen Serdar Weitzmann
nach seiner Biografie. Der Pate von Mitte, so nennen Freunde den Betreiber der
Bar Jubinal, hat in den letzten Wochen mehrere Interviews gegeben. Immer das
selbe Thema, ist aber gut für den Laden, erklärt er. Ohne Unterlass versuchen die
SFB-Mitarbeiter ihm Zitate zu entlocken, die belegen sollen, dass sein Erfolg als
Kneipier mit seinem interkulturellen Background zu tun haben könnte. Der am Tisch
sitzende Schauspieler Birol Ünel hat das Gerede von aufstrebenden Türken
gestrichen satt: Heute wollen die unsere Gesichter, morgen unsere Ärsche.
Als der Spiegel vor zwei Jahren mit seiner rassistischen Titelstory Gefährlich fremd
das Scheitern der Multikulturellen Gesellschaft verkündete und dabei Migrantenkids
als kriminelle Prototypen diffamierte, markierte dies einen Einschnitt im Diskurs. Denn
bis dahin hatten unterschiedliche Vertreter des politischen Spektrums dem Multi-Kulti-
Projekt Chancen eingeräumt: So könne Deutschland auf den richtigen Weg zur
Einwanderungsgesellschaft gebracht werden, ohne die politisch-rechtliche Situation
von Migranten zu verändern. Jetzt aber kam der politisch immer einförmiger
gewordene Mainstream zu dem Schluss, dass das Multi-Kulti-Modell die Selbst-
Ethnifizierung der Migranten und deren Rückzug in ihre Communities nicht verhindert
hat. Stattdessen witterte man Fundamentalismus und zunehmende Kriminalität, die
Homogenität der Gemeinschaft schien gefährdet.
Seitdem geht es nicht mehr um das friedliche, multikulturelle Zusammenleben
zwischen Deutschen und Migranten, sondern um die Integration im Sinne der
Assimilation von Kanaken - wie beispielsweise in der CDU-Kampagne gegen die
Doppelte Staatsbürgerschaft. Medien und politische Apparate setzten sich verstärkt
mit dem Thema kriminelle ausländische Jugendliche auseinander. Und bis heute gilt
diesbezüglich: Die einen berichten, die anderen schieben ab.
Erfolgreiche Migrantenkids sind dagegen herzlich willkommen, sie stellen im
neoliberalen Almanya eine Bereicherung dar. So dokumentieren Medien regelmäßig
Glanzleistungen von meist türkischstämmigen Männern in der Wirtschaft,
Filmindustrie oder Literatur. Die jungen Türken in Berlin haben eine Welt für sich
gegründet - weder türkisch noch deutsch. Sie betreiben Bars und Baufirmen und
sorgen mit ihrer Musik für heiße Ohren in der Stadt jubelte kürzlich der Spiegel. Aus
Gefährlich fremd machte das Blatt flugs Erregend anders. Ergriffen von der
Hybridkultur, in der alles fließt, nichts so ist, wie es scheint, stellte Spiegel-
Redakteur Alexander Smoltczyk, mal voyeuristisch, dann exotisierend, ein
Gruppenbild junger Kanaken zusammen, das man sich gerne in das Panini-
Abziehbilder-Album unser neues Deutschland kleben kann. In Zeiten von
Globalisierung und Berliner Republik sind jene Migranten (entlang der
Integrationskriterien: innovativ, fleißig, erfolgreich) angesagter denn je. Erfreut sich
London schon seit längerem seiner Asian-Subculture, Indian-Business-People und
Star-Autoren wie Kureishi, kann Berlin endlich mit einer eigenen Migrantenkultur in der
Metropolenkonkurrenz gegenhalten.
Auf den Trip, erfolgreiche Kanaken salonfähig zu präsentieren, waren andere Medien
schon vorher gekommen. ZEIT Punkte warb auf dem Titel der Februar-Ausgabe mit
Türken in Deutschland. Die im Untertitel angekündigten Sorgen wurden allenfalls
gestreift, die Redaktion konzentrierte sich auf Erfolge und die Zukunft. Heraus kam
eine Parade der Gewinner: Textilkönige, Filmwunder, Literatur-Stars, Chart-Stürmer.
Zahlreiche Printmedien sowie TV-und Hörfunksender zogen nach. Die Story im Loop
ist schnell erzählt: Junge Migranten - neue Siegertypen in D-Land.
Einige der neuerdings gehypten Akteure versuchen sich dabei gegen einschlägige,
aus dem folkloristischen Multikulturalismus abgeleitete Zuschreibungen von türkisch
italienisch etc. zur Wehr zu setzen. Vor allem Fatih Akin gibt unentwegt zu Protokoll,
er sei a) kein türkischer Regisseur und habe b) mit Kurz und Schmerzlos keinen
deutsch-türkischen Film gedreht.
Neben dieser Haltung zeichnen sich weitere Unterschiede zur Old-School-
Migrantenszene ab. Denn erstmals existiert eine breite Migrantenschicht, die
Almanyas Assimilations- und Integrationsapparate durchlaufen hat. Neben all den
damit verbundenen Komplikationen und Kämpfen haben sich Mitglieder dieser
sozialen Gruppe das Wissen und die Instrumentarien angeeignet, um nach den
Regeln der Kulturindustrie konkurrenzfähig zu sein. Junge Filmemacher wie Akin,
Arslan, Kutlucan oder Yavuz messen sich nicht mit früheren Gehversuchen von
Migranten in der Filmindustrie. Die Oriental-Beats aus den Turco-Diskoteken klingen
tanzbarer als Ringeltanz-Vorführungen auf Mülltikülti-Feten. Und Zaimoglus Schriften
lesen sich interessanter als das Gejammer von vielen Gastarbeiter-Literaten, die
häufig über Heimat und Fremde dichteten.
Neben den sichtbar gewordenen Sternchen am Mainstream-Himmel entsteht
unterdessen eine alternative Infrastruktur aus Lifestyle-Magazinen, Radiosendern,
Bars und Cafes oder Turco-Discotheken, die von Migranten selbstständig organisiert
wird. Doch obwohl diese Infrastruktur zunächst Community-orientiert ist, befördert sie
den Hype im deutschen Mainstream um Kanak Kultur.
So verleibt sich der Kulturapparat kulturelle Fragmente aus migrantischen Szenen ein,
aber auch jenseits der Kulturindustrie, in Politik und Ökonomie, werden kompatible
Ansätze in den Konsens integriert. Konforme Migranten werden nicht nur in der
Kommunalpolitik und -verwaltung mit Quoten-Posten belohnt. Viele Großstädte haben
anfänglich selbstorganisierte Ansätze von Migranten inzwischen in die institutionellen
Strukturen (Referate, Interkulturelle Büros etc.) etabliert.
Neu ist, dass junge Migranten sich und ihre Arbeit offensiv vermarkten. Insbesondere
Kulturproduzenten warten nicht nur mit marktfähigen Produkten auf, sondern bewegen
sich selbstbewusster in der Öffentlichkeit als ihre Vorgänger, die ihre Opferrolle oft
auswalzten. Diese kanaksche Eigen-PR wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen.
Manchmal wirkt der Grad der Selbstvermarktung reichlich überzogen. Wenn sich
Zaimoglu in Schröderscher Manier für die Zeit mit Designer-Anzügen ablichten lässt,
muss man sich fragen, was das mit seiner Literatur zu tun hat, und ob er in Runde 7
nicht von PR-Journalisten einfach einen ordentlichen Schlag abbekommen hat.
Damit steht er nicht alleine. Gerne führen Medienvertreter junge Migranten als Exoten
aus der Differenz-Boutique Almanya vor. Unübertroffen ist dabei Constanze von
Bullions Artikel Angriff der Killer-Kebabs in der Süddeutschen Zeitung vom 28. Mai
1999. Darin stellt von Bullion multiple Persönlichkeiten in den Vordergrund ihres
Beitrags, der im Untertitel die Vorstellung der Gruppe Kanak Attak ankündigt.
Offensichtlich angeturnt vom hybriden Potpourri fühlt sich die Autorin beim Anblick
einer mit Alu-Folien verkleideten jungen Türkin, die kurz vor ihrem Auftritt im SO 36
steht, an Kebab erinnert. Die Zutaten holt sich von Bullion aus Anekdoten der von ihr
interviewten Kanaken. Die Biografien sollen vermutlich erklären, warum Leute in
diesem Projekt aktiv sind. Dass sie dies auch aus politischen Motiven tun, bleibt
außen vor. Eine gängige Praxis, wenn es um Migranten geht.
Besonders in Berlin finden sich im Kontext des Kanak-Hypes viele Boys & Girls, die
das Sortiment in der Differenz-Boutique mitbestimmen wollen. So porträtieren die
Medien türkische Transen, Gays oder DJanes aus der Kreuzberger Szene. Dann
werden Jungs recherchiert, die Kanak sprechen und auch noch so aussehen, wie sich
bürgerliche Medien solche Kids eben vorstellen. Im metropolitanen Leben goutiert
man gerne kanaksche Lebenstile als Differenz-Chic, solange sie den eigenen Alltag
nicht stören.
Wie die Berichterstattung zeigt, erhält 1999 die kulturalistische und biografistische
Perspektive auf die Zweite Generation Aufwind. Politische Themen zur Situation von
Migranten werden dagegen zunehmend ausgeblendet. Im Schatten der öffentlichen
Begeisterung über hybride, aufstrebende Subjekte und Kanak-Performances verlieren
sich politische Issues wie Gleichberechtigung, strukturelle Arbeitslosigkeit,
Nationalbefreite Zonen, Abschiebung oder Alltagsrassismus.
Aber wenn die sozialen Verhältnisse nicht thematisiert werden, laufen die
Repräsentations-Bemühungen von Migranten ins Leere. Angesichts des Rassismus,
also der politisch-rechtlichen Ausgrenzung, haben die Bemühungen von Migranten im
Kulturapparat, die dem Hype-Rausch erliegen, eine spezifische politische Dimension,
die von ihnen kaum erkannt wird. Repräsentation im Sinne öffentlicher Sichtbarkeit
und Repräsentation im politischen Sinne einer Interessenvertretung werden oftmals
verwechselt. Diedrich Diederichsen hat auf diese Verwechslung im Zusammenhang
von Chance 2000 und den Spaßparteien hingewiesen. Anderseits stellt sich die
Frage, ob die neueren Ansätze (insbesondere der Aufbau einer Infrastruktur) helfen,
langfristig Praxen und Widerstandspotentiale jenseits der Community und des
Mainstreams zu entwickeln.
Die Gruppe Kanak Attak, ein bundesweiter Zusammenschluss von Leuten aus
unterschiedlichen Zusammenhängen, ist deshalb mit dem Anspruch angetreten, die
Sichtbarmachung von Migrantenalltag und -kultur in den Kontext sozialer Verhältnisse
zu stellen. Jenseits von Identitäts- und tradierter Migrantenpolitik sollte Rassismus neu
thematisiert werden. Weil es aber bisher nicht gelungen ist, politische Inhalte und
Forderungen in der notwendigen Deutlichkeit zu artikulieren, schlägt sich das Projekt
mit Zuschreibungen von Multikulti-Verein über neue Kulturoffensive bis Ethno-
Popgruppe herum, werden die Grenzen zur offiziellen Kanak-Party immer wieder
verwischt. Der Fight geht aber weiter, denn es handelt sich gerade darum
klarzustellen, wie wenig repräsentativ die Hype-Kanaken für den Großteil der
Migranten sind, auch wenn die Medien diesen Eindruck fördern. Vielleicht sollten die
verantwortlichen Journalisten mal in ihren eigenen Zeitungen im Innenpolitik-Teil
blättern, zu den Kurzmeldungen über rassistische Übergriffe oder Abschiebungen. Da
wird einem auch anders. Aber richtig.
Demnächst erscheint eine Kanak-Attak-Maxi-CD, nächstes Jahr soll im Rahmen der
KanakHistoryRevue, eine Tour durch sieben deutsche Großstädte, die Geschichte der
Migration in D aus Sicht von Kanaken erzählt werden. Mehr Infos zu Kanak Attak über
http://www.matrosen.de/ka.
Spex 11/99
von Imran Ayata