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Der KANAK ATTAK-AHA-EFFEKT und die Überwindung der antirassistischen Arbeitsteilung

Am 13. April war in der Berliner Volksbühne unter anderem die Kanakhistoryrevue ?Opel-Pitbull-Autoput? zu sehen. Die Volksbühne war ausverkauft und die Veranstalter - der antirassistische Zusammenschluss Kanak Attak ? zeigten sich mit ihrer Arbeit zufrieden. Über die Geschichte, die Perspektiven und das Selbstverständnis kanakischer Linker in und zu der Linken in Deutschland unterhalten sich Thomas Seibert und Martin Glasenapp mit Ellen Bareis, Manuela Bojad?ijev und Vassilis Tsianos.

MG: Eine erste Frage: Was ist eigentlich Kanak Attak? Es heißt, dass sich Kanak Attak Ende 1997 an einem netten Abend in der Schweiz gegründet hat. Vier Jahre später seid ihr nach vielen Veröffentlichungen und einigen Veranstaltungen mit einem größeren Event in Berlin-Mitte angekommen.

MB: Ein schöner Mythos. Unsere grundlegende Einschätzung war, dass der aktuelle Antirassismus ziemlich am Boden lag, ohne dass sich an den rassistischen Gewaltverhältnissen viel geändert hätte. Dies galt letztlich für alle, die deutschen UnterstützerInnengruppen, die lobbyistischen Organisationen, die Gruppen der Exillinken. Aber auch die radikalen Selbstorganisationen, die sich in Abgrenzung von der deutschen Linken gebildet hatten, schienen alle müde geworden zu sein. Das war unser Ausgangspunkt. Wir haben dann angefangen mit einem Manifest, an dem verschiedene Leute geschrieben haben und das in seiner ersten Version als Einladung dienen sollte. Darauf folgte ein erstes bundesweites Treffen in Frankfurt. Das war eines meiner großartigsten politischen Erlebnisse, eine wirkliche Aufbruchsstimmung. Schon kurze Zeit später bildeten sich lokale Gruppen in Berlin, Mannheim, Bielefeld, München, Frankfurt, Köln und anderswo, von denen es einige heute nicht mehr gibt. Eines unserer Ziele war, die Geschichte des antirassistischen Widerstands von MigrantInnen zu rekonstruieren, eine ungeschriebene und auch unbekannte Geschichte. Wir wollten eine Tradition freilegen, die zum Teil nur untergründig gewirkt hat und verschüttet war. Die Idee war: Wenn Du eine eigene Geschichte hast, bist du machtvoller, kannst du auf etwas verweisen, was überliefert und angeeignet werden kann. Das wollten wir nutzen, um organisierend zu wirken: Es ging also auch um ein Bildungsprojekt für uns selbst und nach außen hin. Das Ziel war, aus den Niederlagen und Erfolgen der Kämpfe seit den 60er Jahren zu lernen und zu verstehen, wie sich Rassismus in Deutschland geändert hat.

EB: Die sozialen Kämpfe, die wir erinnern und untersuchen wollten, waren nicht nur die Kämpfe von MigrantInnen, sondern breitere Widerstände, an denen MigrantInnen aber organisierend gewirkt haben. Kämpfe umfassen Bündnisse mit eigenen Dynamiken. Dazu gehörte auch die Idee, eine Revue zu inszenieren und nicht nur einen Artikel oder ein Buch zu schreiben. Wir wollten bewusst mit Bildern arbeiten und die unterschiedlichen künstlerischen, politischen oder auch theoretischen Interessen der Leute nutzen und kombinieren. Dazu gehört auch, dass nicht alle immer schon im üblichen Sinne ?politisch? gearbeitet haben. Auch unsere Organisierung sollte so sein.

VT: Kanak Attak sollte ein Exodus aus diesem kurzen-schrecklichen Jahrhundert sein. Wie kann man Emanzipation in diesem Jahrhundert denken? Wir wollen herausfinden, wo sich welche Widerstände artikulieren und in welchen Formen. Dabei wollten wir nicht den Fehler der Wohlfahrtsausschüsse wiederholen, wie ein UFO irgendwo zu landen, wo man glaubte, die Leute unterstützen oder belehren zu müssen. Vielmehr wollten wir dort, wo wir auftreten würden, organisiert sein, damit sich in diesen Städten auch was ändert.

TS: Könnt? ihr was zur Erfahrung der Selbstorganisierung sagen, die ja in den 90er Jahren vollzogen wird, nach der Wiedervereinigung und unter dem Eindruck der Eruption der rassistischen Gewalt?

VT: Die kanakische Selbstorganisierungserfahrung politisierte sich in entschiedener Abgrenzung zur deutschen Linken und zum Rassismus in der deutschen Linken. Hinzu kam bei manchen, wie zum Beispiel bei Café Morgenland, ein katastrophischer Bezug auf die Geschichte des Holocaust und seine im Grunde kausal gedachten Nachwirkungen, was auch mit der Bindung an die Antinationalen zu tun hatte, die damals die einzigen waren, die genau in dieser katastrophistischen Weise vom Holocaust redeten. In dieser Selbstorganisierung wirkte eine bestimmte Rassismuskonzeption, die immer einen einzigen, homogenen Rassismus unterstellte, der sich direkt vom Holocaust herleitete. Das führt bei einigen zu einem Habitus des unglücklich-antirassistischen Bewusstseins. Das hat auch damit etwas zu tun, wie solche Bilder im eigenen Leben funktionieren. Es ist dies eine überdeterminierende Instanz.

MB: Es gab Leute in der Selbstorganisierung, die bereit waren, mit ihrem Leben immer wieder gegen die Wand zu rennen, die gegen die Wand rennen wollten, weil sie glaubten, das zu müssen: eben weil der Rassismus immer derselbe ist, immer die gleichen Leute unterwirft und man immer dagegen anrennt. Das wurde als Lebensaufgabe gesehen, als Askese.

MG: Aber das ist doch eine Selbststilisierung, in der man die Verhältnisse so determiniert, dass man sie nicht verändern muss, weil man sie nicht verändern kann. Bei allem, was daran richtig ist, nimmt man sich selber argumentativ die Interventionsebene...

VT: ...Und genau dagegen setzen wir den Kanak-Attak-Aha-Effekt, der dem geschichtlichen Rückbezug auf etwas entspringt, das nicht diese katastrophistischen und ahistorischen Dimensionen hat, sondern auf real existierende historische Kampferfahrungen verweist, die auch von Kanaken getragen wurden. Das wirkt nicht nur befreiend, sondern eröffnet die Möglichkeit, den Antirassismus zusammen mit anderen sozialen Kämpfen zu artikulieren, was in der Selbstorganisierung absolut undenkbar war, weil es dieses Denkverbot gab.

EB: Der Kanak-Attak-Aha-Effekt liegt darin, dass die eigene Erfahrung und politische Haltung nicht bloß aus der eigenen aktuellen Befindlichkeit, sondern im Kontext der Geschichte kanakischer Widerstandspraxen artikuliert wird. Das ist eine ganz andere Art, politisch zu denken und zu handeln. So wollten wir mit unserer Revue nicht nur die Geschichte der Repression und die Niederlagen erzählen. Die einfachen Konstruktionen, etwa dass der Staat der alleinige Produzent des gesellschaftlichen Rassismus sei, wollten wir knacken und so etwas wie einen Aufbruch signalisieren; nicht voluntaristisch überspannt, sondern im Bewusstsein, dass Leute immer schon Widerstand geleistet haben, auf vielfältige Weise, und dass dieser Widerstand die Herrschaft immer modifiziert hat.

MB: Uns wurde immer klarer, dass es den Generationstransfer bei MigrantInnen nicht gegeben hat. Wenn Du z.B. mit Gewerkschaftsleuten redest, dann sagen die, unsere Kinder haben keine Ahnung mehr davon, was wir gemacht haben. Ich saß mit einem Redakteur der Brücke zusammen, der sagte, unsere Eltern haben nichts gemacht, die haben lediglich Kulturvereine betrieben und der Widerstand habe erst in den 80ern begonnen. Aber das Gegenteil trifft zu, das ist es, was die Erfahrung der 60er und 70er war und woran wir anknüpfen wollen.

MG: Ihr habt Kanak Attak vorhin als linkes Projekt von MigrantInnen bezeichnet. Was ist euch wichtiger: das linke Projekt oder das MigrantInnenprojekt?

VT: Die Artikulation von beidem. Der Bezug auf soziale Kämpfe ist nicht nur eine taktisch-politische Erwägung, sondern von fundamentaler Bedeutung. Die Art und Weise, wie wir Rassismus konzipieren und analysieren, schließt einen operaistischen Ansatz ein: Die Erfahrung, dass der Rassismus historisch-punktuell besiegt worden ist, dass es keine lineare Erfolgsgeschichte rassistischer Verhältnisse in diesem Land gegeben hat.

MG: Antwortet ihr damit auch auf die Erfahrung der Exillinken, auf die Praxis exilierter KommunistInnen und deren Verständnis von Politik in einem fremden Land?

VT: Das ist Teil meiner Biographie. Ich weiß, dass wir in der griechischen eurokommunistischen Partei ein solches Verständnis nicht wirklich hatten. Es gab eine Heimatorientierung, aber die wurde immer rekontextualisiert. Wir mussten GenossInnen unterstützen, europaweit unsere Netze aufbauen und dabei kommunistischen Internationalismus betreiben. Wir hatten unsere internen Kämpfe und gleichzeitig unsere Überlebenskämpfe. Wir hatten keine Räumlichkeiten, also benutzen wir die Räume der DKP. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein beschissenes Gefühl war, Räumlichkeiten von Stalinisten zu nehmen und dort das permanente Gefühl zu haben, von der deutschen Repression beobachtet, vielleicht festgenommen und ausgewiesen zu werden. Das war eine Sackgasse, da musste es eine Schwerpunktverschiebung geben, und als die nicht kam, bin ich ausgetreten.

TS: Ihr habt vorhin einen Unterschied zu den damaligen Wohlfahrtsausschüssen markiert: Ihr habt gesagt, ihr fahrt nur da, wo es eine Gruppe gibt, die schon was tut. Könnt ihr etwas zu der Spannung zwischen einem Verständnis als Bildungsprojekt und Taktik sagen? Welche Veränderungen im Denken der eigenen Praxis bedeutet es, wenn man feststellt, man kommt zum Beispiel aus dieser strengen, sektoralen Selbstorganisierung mit harter Abgrenzung zur deutschen Linken oder aus anderen sektoralen sozialen Kämpfen und auf der anderen Seite entdeckt man in der Geschichte, diesen ausgetragenen Zusammenhang von Antirassismus und Klassenkampf? Was kann man über eine durch getane Erinnerung wieder ermöglichte Praxis sagen? Gibt es taktische Überlegung zu Verbindungen von verschiedenen Akteuren ohne Vereinheitlichung?

VT: Man muss die antirassistische Arbeitsteilungs-Misere überwinden, die sich wiederum auf die Kristallisierung eines rassistischen Kräfteverhältnisses bezieht, das dabei ist, sich selbst auf zu heben. Es gibt ungefähr eine Million Menschen, die im Antirassismus-Geschäft tätig sind, von Betreuung bis Aktionismus, ein großes Feld: sogenannte ?Ausländerpolitik? bzw. ?interkulturelle Einrichtungen?, Flüchtlingspolitik, migrantophile Politik von sogenannten ?fortschrittlichen Parteien? und radikal linke Gruppen, die antirassistische Arbeit machen, auch die Antifa und die migrantische Selbstorganisierung sind Stränge in dieser antirassistischen Arbeitsteilung. Diese Arbeitsteilung ist ein Spiegelbild der Hegemonie des rassistischen Regimes in den 90er Jahren. Die zugrundeliegende Struktur, die ethnische Stratifikation, wurde in keinem Ansatz praktisch in Frage gestellt, weil sie die objektive Bedingung für die Politisierung in diesem begrenzten Feld war: Es muss Flüchtlinge geben, die ich betreuen kann, damit ich Pro Asyl bin. Es muss wilde Kanaken geben, die die deutsche Linke satt haben, damit ich mit denen Selbstorganisierungspolitik machen kann...

MB: Wie bitte?

VT: Die real existierende antirassistische Arbeitsteilung ist eine Reaktion auf rassistische Verhältnisse, die sich heute so nicht mehr artikulieren. Ein Beispiel: IBM wollte eine Dependance in Berlin gründen, das wäre für die Stadt allein steuerpolitisch gesehen ein immenser Gewinn gewesen. Über diesen Umzug wurde ein Jahr lang debattiert, dann wurde er abgeblasen, weil die IT-Kanak-Spezialisten in Bayern dagegen waren. Die haben gesagt, München ist für uns eine sichere Stadt, Berlin nicht. IBM geht nicht nach Berlin, basta. Das hat den Senat und die Rechten in Berlin Milliarden gekostet.

EB: Ich versteh? dein Beispiel nicht ganz, denn das gibt es schon Anfang der 90er, dass der Rassismus gegen die Innovations- und Investitionspolitik steht. Im Zuge des ?Aufbau Ost? war immer eins der Argumente, dass dem Rassismus was entgegengesetzt werden muss, weil die internationalen Firmen sonst nicht nach Ostdeutschland gehen. Was ist daran neu?

VT: Neu ist der Subjekt-Faktor. Man kann sagen, die IT-Kanaken sind elitär und vielleicht sind das auch Arschlöcher und Kapitalismuslöcher, aber sie haben sich gewehrt, nicht unbedingt im Sinne des Marktes, sondern aufgrund rein individueller Interessen.

MB: Was hat das mit der antirassistischen Arbeitsteilung zu tun? Meinst du die Notwendigkeit, die Themen wieder zusammenzubringen: Etwa dass zu einer Stellungnahme zum Einwanderungsgesetz eine Forderung nach Legalisierung der Illegalisierten gehört; dass es gut wäre, im Rahmen der Abschaffungsforderungen der Residenzpflicht das weite Feld fehlender sozialer Mobilität für MigrantInnen zur Sprache zu bringen oder auf die Stratifikation der Gruppen der Migration aufmerksam zu machen?

VT: Ja, es geht um die Neuzusammensetzung der Ethno-Arbeitskraft. Die sozial betreuten Kanaken sind nicht mehr die gleichen Individuen wie Anfang der 90er Jahre. Der Alltag wird anders organisiert und unabhängig davon funktionieren die überindividuellen Prozesse der Klassenfragmentierung anders. Dies gilt auch für die Reaktionen des Staates. Das Einwanderungsverhinderungsregime hat sich in ein selektives Einwanderungsbefürworterregime transformiert. Und das ist nicht nur eine symbolische Neuinszenierung von Politik. Auf diese Verhältnisse ist die antirassistische Arbeitsteilung der späten 80er und frühen 90er Jahre nicht eingestellt und deshalb ist sie selbst Teil des Problems. Für mich besteht die Kanak Attak-Position darin, diese Arbeitsteilung in Frage zu stellen und Multiplikatoreneffekte in die Welt der Zusammenhänge zu setzen, um in der Kritik der Defensive die Möglichkeit der Offensive zu denken und zu erproben.

MB: An dem Punkt sind jetzt einige. Der Antifa-Kongress in Göttingen hat das angesprochen und ARAB in Bremen etc. Worauf ich hinauswill: Wenn ich in die letzten Jahre zurückdenke, dann haben die einen immer gesagt, dass alles immer gleich bleibt und sie kämpfen nicht, sondern leben ihr Leben, das mit Politik nichts zu tun hat, und schon gar nichts mit linker Politik. Die Anderen bildeten eine bestimmte Identität als ?Kämpfer? aus und hatten damit die Möglichkeit zu sagen: ?Das sind die Schweine, auf welcher Seite bist Du?? Auf beiden Positionen gab es keine Widersprüche mehr. Darauf käme es aber an: die Widersprüche zu thematisieren. Im Grunde also: eine nicht-dezionistische Politik finden...

VT: ...Dazu gehört, die widersprüchlichen Lebenserfahrungen von MigrantInnen, die mit Erfolg, mit Anpassung, mit Unterwerfung und partieller Entunterwerfung zu tun haben, nicht als apolitisch zu negieren. Eine solche Delegitimierung ist auch in migrantischen Gruppen und in der deutschen Linken beständig der Fall; eine allgemeine und permanente Delegitimierung von Widerstandspotenzialen in der eigenen Praxis, im eigenen Alltag. Da sage ich: Es gibt Alltage und Alltage. Kanak-Alltag kann alltäglich langweilig sein, aber er ist auch kanakisch überdeterminiert.

EB: Das genau zeigt die Revue: widerständige oder auch dissidente Praktiken, deren Feld der Alltag ist, vor der Ebene des formell Politischen und jenseits einer bloß moralischen Haltung. Wobei man natürlich sagen muss, dass wir das noch nicht konkret-historisch ausgearbeitet haben. Überträgt man den Operaismus, könnte man sagen, dass der Rassismus immer die Konterrevolution ist und dass das Andere immer die revolutionären Bewegungen sind, die die Geschichte machen bzw. deren Motor sind. Aber da muss genauer hingeschaut werden. Denn die Frage ist, in welcher Weise ändern sich die rassistischen Formationen aufgrund alltäglicher, im Effekt antirassistischer Widerstandspraxen. Verschiedene Aspekte spielen hier eine Rolle. Zum Beispiel bestimmte ökonomische Interessen, die zwar auch, aber nicht nur Produkt der Kämpfe sind. Man kann die Geschichte nicht einfach umdrehen und den Katastrophismus durch Operaismus ersetzen.

VT: Aber auch die Repression ist nicht nur Repression, sondern auch immer ? die Betonung liegt nicht auf dem ?auch?, sondern auf dem ?immer? ? repräsentiert. Das heißt die Repräsentationsformen der Repression sind gleichzeitig Orte, Einmischungsmöglichkeiten, an denen man solche Repressionsrepertoire auch unterwandern und durcheinander bringen kann.

MB: Was meinst du mit ?Repräsentationsformen??

VT: Etwa das Ausländergesetz. Es ist nichts anderes als die zum Gesetz gewordene Materialität der Repression, sozusagen die gesetzliche Form, in der die Repression organisiert und gleichzeitig repräsentiert ist. Veränderungen innerhalb des Ausländergesetzes haben reelle Effekte auf die Überlebensorganisation des kanakischen Alltags und auf die Art und Weise, wie Kanaken repräsentiert werden. Ob diese Repräsentationsformen unter einem migrantophilen oder einem einwanderungsfeindlichen Label funktionieren, ist ein immenser Unterschied, der nicht unterschätzt werden darf.

MG: In der Revue fiel mir eine Szene auf, in der ihr Bilder von Solingen gezeigt habt, Bilder von türkischen Kids, die das Faschistenzeichen gemacht haben. Was stand hinter der Überlegung, diese Bilder auch mit einzubeziehen?

MB: Diese Leute waren vor Ort und haben sich gewehrt. Das ist das Interessante. Und darüber hinaus muß man sagen, dass wir uns mit diesen Leuten nie zusammen organisieren würden und dass unser Projekt die Möglichkeit schafft, über diese Widersprüche anders als aus der bloßen Betrachtung reden zu können. Natürlich ist für uns jede Zusammenarbeit mit türkischen Faschisten kategorisch ausgeschlossen, weil wir ein antirassistisches und linkes Projekt sind.

MG: Ich wollte darauf hinaus, dass die Gegenwehr legitim und berechtigt ist. Das sagt nichts darüber aus, was die Leute im Einzelnen für sich denken und es spricht sie auch nicht politisch heilig, im Gegenteil. Es können völlig reaktionäre Leute in bestimmten Situationen, in denen sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung angegriffen werden, genau das Richtige tun.

MB: Nehmen wir doch einmal die Erfahrungen aus den USA, wo im Moment die stärkste schwarze Gruppe die Nation of Islam ist. Schwarze Linke haben da natürlich ein echtes Problem. Wenn sie klug sind, sagen sie zu Recht, dass die Nation of Islam richtige Punkte aufgreift, nämlich die sozialen Probleme der Leute, aber sie in falscher Weise artikuliert. Weil sich das Problem auch uns stellt, ist es legitim, die Bilder aufzunehmen: wir artikulieren sie in einem komplett anderen Kontext. Wären die türkischen Faschisten eine starke gesellschaftliche Kraft, wäre es noch einmal anders. Es gibt aber auch Leute bei uns, die Solingen und die Proteste immer beschissen fanden und sagten, wir dürfen uns darauf nicht beziehen. Das resultiert aus der Erfahrung in den türkischen communities.

TS: Berührt das nicht auch eure Einstellung zur vielgerühmten und vielgeschmähten ?Identitätspolitik?, dem Versuch, sich dem Entweder-Oder zu entziehen, auf das das Problem oft reduziert wird?

MB: Am Anfang war das einer unserer meistgeäußerten Sätze: Identitäten durchkreuzen zu wollen. Das ist mir mittlerweile so fern, ein abstraktes Gerede, das nirgendwohin führt. Eine Selbsttäuschung, in der politische Fragen so weit subjektiviert werden, dass man glaubt, wenn man im Alltag verschiedene Identitäten zurückweist oder verwischt, habe man schon eine widerständige Praxis. Das ist ein Baustein, der zwar interessant sein kann, für sich aber nicht ausreicht, weil das Umbauen von Identitäten ständig und auf allen Ebenen geschieht und als solches nicht notwendigerweise widerständig ist. Identitäten durchkreuzen, das tun alle.

VT: Andererseits muss festgehalten werden, dass die Denunzierung migrantischer Selbstermächtigungsstrategien als ?bloße Identitätspolitik? nicht weniger abstrakt ist: Ich habe darin immer die Sprache der Kolonisation gehört. Vor allem das Gerede der Poplinken hatte, obwohl es zum Teil berechtigt war, überhaupt keinen Bezug zu dem, was KanakInnen in ihrer Selbstermächtigungspraxis taten. Das war ein Diskursautomatismus, der diskriminierend und ausschließend wirkte; und der als ein Auswertungskriterium für das Politische und die politische Betätigung von nicht-weißen Mehrheitsangehörigen galt. Eine bestimmte Unart, alles was Deutschland so schrecklich macht, anderen zum Problem zu machen. Für mich gibt es nur Identitätszwänge und Identifizierungsprozesse, d.h. Prozesse ohne Subjekte. Wir sind eine Zeit lang in diese Falle geraten, aber jetzt kann uns das kein Spex-Redakteur mehr ins Gesicht schmeißen, dann wird er gebissen...

MG: Mit der Veranstaltung in der Volksbühne ist ein bestimmter Prozess zum Abschluss gekommen ist, sagt ihr und meint damit das ?Bildungsprojekt?, den Versuch, Geschichte zu begreifen und ein Selbstverständnis zu formulieren. Wie aber soll jetzt der Prozess der Intervention, denn ihr für euch reklamiert, organisiert werden und welche Rolle gebt ihr euch selbst dabei? Wie sollen Leute gewonnen und wie können sie integriert werden? Welche Struktur seht ihr perspektivisch für euch? Eher eine Zellen- oder eine Vernetzungsstruktur? Und wie wollt ihr Leute miteinbeziehen, deren soziales Leben und ökonomischen Reproduktionsbedingungen nur bedingt mit eurem Rhythmus vereinbar sind? Diese Fragen werden sich euch stellen. Wenn ihr darauf keine Antworten findet, dann wart ihr letztlich auch nur eine Episode...

TS: Wenn ich mich da anhängen darf: Nach der Revue hat euch ein TAZ-Schreiber vorgeworfen, dass ihr gar nicht ?von unten? kommt, sondern bloß Intellektuelle seid, die vorgeben, für die ?von unten? zu reden....

MB: Im Grunde sind wir bisher eher ein Projekt, das auf andere Projekte zugeht und dann diskutiert, was wir machen und für richtig halten. Eher geht es uns darum, Vorschläge zu machen, die andere vielleicht in ihre eigenständige Praxis aufnehmen. So vergrößert sich nicht das Projekt, sondern die Idee. Davon abgesehen, wäre es sicher richtig, an Basisinitiativen wie die Frühstücksküchen der alten Black Panthers oder eine Stadtteilarbeit anzuknüpfen. Aber das ist für uns im Moment illusorisch. Ich denke hier auch in längeren Zeitabschnitten. Momentan machen wir genau das, was wir auch wirklich tun können.

MG: Was euer Projekt auszeichnet, ist doch, dass ihr kein bloßer regionaler Zusammenhang seid. Es gibt unglaublich viele kleine Initiativen, die in ihrer Lokalität verhaftet bleiben. Dem gegenüber hat euer bundesweit organisierter Zusammenschluss die politische Option, über eure eigene Lokalität hinaus zu wirken.

VT: Mir geht es darum, ein Projekt, das avantgardistisch vorgeht, zu perfektionieren und multiplikatorisch und katalysatorisch in andere politische Felder wirken zu lassen. Und ich verlasse mich dabei einfach auf den Spontaneismus der beteiligten Personen und auf die Einfallsvielfalt der Praxen, in denen wir leben.

EB: Es gibt eine Reihe von Punkten, wo Bündnisarbeit sinnvoll ist, wie jetzt beispielsweise mit der Online-Demo am 20. Juni gegen die Abschiebeflüge der Lufthansa. Es gibt Leute im Projekt, die sich vorstellen jetzt über die Dörfer zu reisen, um dort Ortsgruppen zu bilden. Bei mir scheitert diese Vorstellung im Moment daran, dass ich nicht wüsste, wie diese Diskussion zu organisieren wäre. Natürlich ist es richtig, in konkreten Situationen mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten und zu wissen, man kann sich auf die Leute verlassen, man kann auf ihre Ressourcen zurückgreifen und sie bei Bedarf um Hilfe bitten. Mindestens 80% der Leute, die bei der Revue mitmachten, sagten zu, ohne dass wir ein Honorar versprechen konnten. Vielleicht lässt sich das auf lange Sicht hin auch in Richtung einer Basisstruktur verbreitern, auf Praxen, die jenseits von Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit liegen.

TS: Wo finden Leute Kanak Attak, wenn sie sich euch anschließen wollen? Wie hängen lokale und bundesweite Organisierung zusammen? Hat sich die Revue schon ausgewirkt?

MB: Es haben sich schon einige Leute gemeldet, allein im norddeutschen Raum gab es zehn Anfragen. Bestimmte Diskussionen, wie etwa eine Analogisierung der BRD mit dem NS-Regime, wollen wir in unserem Projekt aber einfach nicht haben ? wir sind bereit, darüber mit anderen Gruppen oder auch einzelnen Leuten zu streiten, aber nicht bei uns selbst. In dieser Hinsicht sind wir keine offene Gruppe. Die Form der Mitarbeit ist dann aber frei. Einige Leute von uns kommen nur zu den Bundestreffen und gehören keiner lokalen Gruppen an, andere arbeiten nur in der Gruppe vor Ort und es gibt welche, die nur bei konkreten Ereignissen mitmachen. Zudem halten wir bewusst feste Verbindungen zu Leuten, die anderswo organisiert sind, mit denen wir aber bestimmte Initiativen gemeinsam machen.

TS: Diese Art und Weise, mit der Organisierung umzugehen, scheint mir eine der wirklichen Neuerungen der letzten Jahre und zudem ein Sprung über das hinaus zu sein, was einerseits im autonomen Milieu und andererseits in den klassischen Parteiprojekten üblich war: Man legt großen Wert auf Organisierung, betrachtet die jeweilige Organisationsform aber nicht als Zweck für sich, sondern begreift sie eher als ein Mittel, das über die Organisation selbst hinausweist. Deshalb ist es möglich, eventuell sogar nötig, sich mehrfach oder gar quer zu organisieren; je nachdem, was man selbst und was andere in einer bestimmten Situation für relevant halten und worüber ein bestimmter Konsens erzielt werden kann, der dann die Organisierung trägt.

MB: Ja, dies beinhaltet auch die Möglichkeit, dass sich die Hegemonie, die den Konsens begründet, ändern kann. Dann würde ich Kanak Attak verlassen. Genauso kann es sein, dass andere Projekte entstehen, die eine größere Kraft haben. An einem Projekt selbst möchte ich nicht festhalten, mich interessieren seine Möglichkeiten.