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Die freundliche Einwanderungsgesellschaft

Seit ihrem Bestehen sind über 35 Mio. Menschen in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert, die Netto-Migration beträgt mehr als 18 Mio. In der offiziellen Doktrin jedoch waren weder die sogenannten Ostflüchtlinge Zuwanderer, noch die seit Ende der fünfziger Jahre hier lebenden ArbeitsmigrantInnen. Die aus Polen und der Tschechoslowakei kommenden wurden nicht gezählt. Sie galten als Deutsche, die ein natürliches Recht hatten auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik zu leben. Die ArbeitsmigrantInnen hingegen sollten nur auf Abruf da sein, wovon nicht nur der Name Gastarbeiter zeugt, sondern z.B auch das »Rotationsverfahren«, nach dem die ArbeiterInnen nach zwei Jahren das Land wieder zu verlassen hatten, um sich nicht ans schöne Deutschland zu gewöhnen. Schon an diesen beiden Sachverhalten lässt sich zeigen, dass der Umgang mit Zuwanderung in Deutschland traditionell von zwei Prinzipien dominiert ist: 1) Einem in Europa einmaligen völkischen Nationalismus, für den nicht-deutsche Personen (wie immer das definiert ist) nie Teil des Staatsvolks und damit Staatsbürger werden können Einzelne können die deutsche Staatsbürgerschaft und damit bestimmte Rechte erlangen, sie sind vor dem Gesetz Staatsbürger. Soweit assimilieren, dass man nicht mehr dumm angemacht wird von seinen Arbeitskollegen, dem Mann am Bankschalter oder im Rathaus, auf der Strasse und im Café, kann sich keiner. Solange noch bei Vorlage des deutschen Personalausweises die Frage nach der Nationalität erfolgt, sind die MigrantInnen auch mit deutschem Pass ausgebürgert. und 2) ökonomischen Kalkülen, die mit der Segmentierung und Schichtung des Arbeitsmarktes verbunden sind.

Das Gastarbeitersystem

Ende der fünfziger Jahre war die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik Deutschland von 11 Prozent auf 1,3 % gefallen, obwohl die Zahl der Beschäftigten von 14 auf ca. 20 Mio. gestiegen war. Die deutschen Unternehmen brauchten dringend Arbeitskräfte, zunächst vor allem in arbeitsintensiven, d.h. gesundheitsgefährdenden Bereichen, die mit körperlicher Arbeit verbunden sind. Vor allem aber befand sich die westeuropäische Ökonomie in einer Phase der Expansion. Die Erweiterung der Produktion war entweder mit zusätzlichen Arbeitskräften zu erreichen, oder die Unternehmen hätten auf dem bestehenden knappen Arbeitsmarkt Arbeiter mit höheren Löhnen abwerben müssen. Die Arbeitsmigration stellte eine neue, hochorganisierte Form der Bereitstellung von relativer Überbevölkerung dar. Das Vorhandensein disponibler Arbeitskraft ist eine wesentliche Grundlage kapitalistischer Akkumulation. Nur indem immer mehr Menschen in den Produktionsprozeß eingegliedert werden, kann Kapital akkumuliert werden. Dies ist die Voraussetzung für die Anwendung neuer Technologien und die Erweiterung der Produktion. Die neuen Technologien machen genau jene Menschen überflüssig, deren Arbeitskraft ihre Einführung ermöglicht. ?Die ganze Bewegungsform der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwandlung eines Teils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbeschäftigte Hände.? (Marx 1962, 662)

Mit der Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls war ein wichtiges Reservoir für Arbeitskräfte versiegt und da ein freier internationaler Arbeitsmarkt nicht existierte wurde die Beschaffung ausländischer Arbeitskraft staatlich organisiert. Die Bundesrepublik begann bereits 1955 damit, Anwerbeverträge mit zahlreichen südeuropäischen Ländern abzuschliessen, in denen die Modalitäten der Beschäftigung bilateral ausgehandelt wurden. Bilateral heisst dabei auch, dass die im Verständnis der deutschen Behörden nicht-europäischen Staaten Verträge zweiter Klasse bekamen. So waren die Regelungen in den Verträgen mit der Türkei und Marokko weitaus restringierter. Für MigrantInnen aus diesen Ländern galt etwa das Rotationsverfahren noch lange, als es für EG-Länder abgeschafft war. Gastarbeiter aus der Türkei mussten sich sogenannten seuchenhygienischen Untersuchungen unterziehen. Die ?Entsendeländer? wiederum hofften, die MigrantInnen würden sich aus- oder weiterbilden um nach der Heimkehr zur ökonomischen Entwicklung des Landes beizutragen. Die MigrantInnen hatten unterschiedliche Motive, von der Suche nach dem Abenteuer und der einmaligen Gelegenheit, mal was anderes zu erleben, über Leute, die das grosse Geld machen wollten bis hin zur Flucht aus der Enge der patriarchalischen Familie. Die Meisten kamen in der Absicht, Geld zu sparen, um sich in der Heimat ein Haus oder eine neue Existenz aufzubauen. Selbst die Familienzusammenführung wurde von vielen MigrantInnen eher als ein Schritt in Richtung Rückkehr angesehen, waren die Familienmitglieder doch zusätzliche Arbeitskräfte, mit deren Verdienst man dem gesetzten Ziel ein Stück näher kommen konnte. Aber spätestens, wenn die ersten Kinder in eine deutsche Schule gingen, erwies sich die Familienzusammenführung als Verlängerung des Aufenthalts.

Phase 1

Rückblickend kann man schon an der Phase von 1955 bis 1973 (dem Jahr des Anwerbestopps) erkennen, dass die Migrationspolitik von kurzfristigen Interessen dominiert wurde und langfristige Überlegungen vor allem in der grundsätzlichen Undenkbarkeit der Einwanderung bestanden. So stellte sich eine Situation her, in denen ein nicht unerheblicher Teil der sogenannten Gastarbeiter sich dauerhaft niederliess, ohne dass dies politisch angestrebt war. Während dieser Phase erklären Politiker, Unternehmer, Journalisten und Wissenschaftler der deutschen Öffentlichkeit immer wieder die Nützlichkeit der Gastarbeiter. Es wird vordergründig eine gastarbeiterfreundliche Stimmung inszeniert, etwa mit Aktionen wie der mittlerweile berühmten Schenkung eines Mopeds an den 1 millionsten Gastarbeiter. In der Rede zu dessen Begrüssung werden die nunmehr 1 Mio ausländischen ArbeiterInnen bejubelt, weil sie die Preise stabil hielten (also die Löhne niedrig), Wachstum schüfen und »unseren« Ruf auf dem Weltmarkt verteidigen halfen.

Aber auf die Frage, ob er sich nun auf den zweimillionsten Gastarbeiter freue, antwortet der Repräsentant eines Arbeitgeberverbandes, dass er sich vor allen Dingen auf den Tag freue, »wo wir ganz ohne die immer auch schwierigen und teuren Gastarbeiter auskommen«.

Das wahnwitzige am Gastarbeitersystem war, dass die deutschen Behörden tatsächlich dachten, sie könnten Millionen von Leuten einfach wieder »nach Hause schicken«. Einer der Gründe, warum das nicht klappte, waren die Unternehmen selbst. Sie übten massiven Druck auf die Behörden aus, den Aufenthalt von ArbeitsmigrantInnen reglementierende Bestimmungen abzuschaffen. So z.B. das Rotationsverfahren, das sie dazu zwang, ständig neue Arbeitskräfte einzuarbeiten. Die großen Industrieunternehmen wollten ein zuverlässiges und konstantes Arbeitskräftepotential, selbst wenn das bedeutete, daß ArbeiterInnen ihre Angehörigen nachholten und sich für längere Zeit niederließen. (vgl. Castles 1987, 19)

Seit vierzig Jahren gilt in sogenannten ausländerfreundlichen Kreisen vor allem ein Argument als unschlagbar gegen die Parole »Ausländer raus« : Wer würde dann die ganzen miesen, dreckigen und schlechtbezahlten Jobs machen? Von der Bundeszentrale für politische Bildung über Unternehmerverbände bis hin zum alternativ angehauchten Lehrer: Sie schaffen und repräsentieren einen ?Antirassismus?, der sich vor allem für die Existenz der ausländischen Arbeitskraft einsetzt und blind dafür ist, dass die ethnisch überdeterminierte Klassensegmentierung selbst Ausdruck des Rassismus ist. Der Einsatz der GastarbeiterInnen in den unteren Lohnsegmenten hat der deutschen Arbeiterklasse zu einem sozialen Aufstieg verholfen Schon während der Anwerbezeit gab es immer wieder den Vorschlag, anstelle der MigrantInnen, andere Bevölkerungsschichten zu mobilisieren bzw. dem Arbeitsmarkt zuzuführen: Frauen, Behinderte, Resozialisierte, etc. Diese sozial fortschrittliche, aber national beschränkte Variante der Lösung des Arbeitsmarktproblems konnte sich nur zum Teil durchsetzen. So gab es zwar eine Hochschuloffensive, aber von einem sozialen Fahrstuhleffekt konnten weitgehend Männer mit Facharbeiterausbildung profitieren., der noch immer das zentrale Argument für deren Verbleib ist. Ein Aufenthalt, der nur unter der ständigen Androhung der Ausweisung funktional ist.

Phase 2

Im Zuge der Rezession von 1973 erklärte die SPD-geführte Bundesregierung unter Willy Brandt den Anwerbestopp für GastarbeiterInnen. Egon Bahr sprach sich dafür aus, 500.000 Jobs, die von GastarbeiterInnen »besetzt« würden, Deutschen zu geben. Der Ton gegenüber MigrantInnen hatte sich schon mit dem Ende des Booms verschärft. Zwar hatte Kanzler Erhard schon 1964 die Deutschen aufgefordert, länger und härter zu arbeiten, um nicht mehr auf die GastarbeiterInnen angewiesen zu sein, aber erst während der ersten Rezession von 1966-67 kam es zu einer grösseren öffentlichen Debatte über die Daseinsberechtigung der AusländerInnen. Die Stimmung gegen Gastarbeiter nahm während und mit den wilden Streiks und der Radikalisierung der ausländischen ArbeiterInnen zu. Der Zusammenhang mit der Krise, vor allem steigender Arbeitslosigkeit ist jedoch missverständlich. Bereits in den sechziger Jahren wurden ausländische ArbeiterInnen abgeschoben, wenn sie sich gegen Diskriminierung gewehrt, sich organisiert oder gestreikt hatten. (vgl. z.B. Arbeitersache 1973) Was sich aber ab etwa 1973 änderte, ist dass GastarbeiterInnen zunehmend als Problem behandelt und zu einem zentralen Gegenstand populistischer Kampagnen wurden.

Gleichzeitig richteten sich viele MigrantInnen in Deutschland ein. Die Migration ging weiter in Gestalt der Familienzusammenführung. Die militanten Streiks nahmen ab, wurden doch die »Rädelsführer« regelmässig abgeschoben oder, wie nach dem legendären Ford-Streik in Köln 1973, für Jahre in Isolationshaft gesteckt. Einer der damals Beteiligten erzählt, dass in dem Block unter anderem Günter Guillame und ein Gefangener der Bewegung 2. Juni eingesperrt waren. So als schliesse sich ein Kreis. Die türkischen Arbeiter hatten den Fabrik-Hallen Namen von Kriegsschauplätzen gegeben: Halle Hanoi, Halle Saigon usw. und stellten damit einen Zusammenhang her, den der deutsche Staat gleichsam bestätigte, in dem er die radikalen Ausländer, den kommunistischen Spion und den Haschrebellen, der gegen den US-Imperialismus kämpfte, in den selben Knast steckte.

Migration in Zeiten der Kohl-Ära

Ende der 70er kam es scheinbar zu einem Kurswechsel. Der Ausländerbeauftragte der sozialliberalen Regierung plädierte für die »Integration« der in Deutschland lebenden Ausländer, damit kein sozialer Sprengstoff entstehe. Der Bericht wurde ignoriert. 1980 lancierte die rechte Opposition eine Kampagne gegen Flüchtlinge, die nach dem Militärputsch in der Türkei in Deutschland Asyl suchten. Die Hetze verlief nach dem mittlerweile bekannten Muster. Die »Wirtschaftsflüchtlinge« kämen nicht nur bloss wegen der Kohle. Für Deutsche seien Knoblauchgeruch und das Schlachten von Lämmern im Hausflur eben »nicht leicht« zu ertragen. Das war der damalige Noch-Kanzler Helmut Schmidt, der mit solchen Sprüchen die Wahl zu gewinnen hoffte auch nicht. Geholfen hat es nicht.

Die sozialliberale Koalition wurde abgewählt und unter Kohl verschärfte sich die Haltung gegenüber Nicht-Deutschen noch einmal. Einerseits wurden zunehmend Flüchtlinge Gegenstand rassistischer Politik, und es schien, als habe der »Asylant« den Gastarbeiter abgelöst. Aber die Regierung Kohl hatte nicht umsonst die Ausländerfrage zu einer der vier wichtigsten Punkte in ihrem Dringlichkeitsprogramm erklärt. Innenminister Zimmermanns Gesetzentwurf für ein verschärftes Ausländerrecht war derart widerlich, dass sich ein relativ breites Bündnis aus MigrantInnenorganisationen, Gewerkschaften, in denen mittlerweile auch viele AusländerInnen organisiert waren, Kirchen und dem Alternativmillieu inklusive der Grünen gegen den Entwurf stellte. Die FDP hatte noch ihren linken Flügel und war auch nicht gerade begeistert von Zimmermanns negativer Utopie: »Ein konfliktfreies Zusammenleben wird nur möglich sein, wenn die Zahl der Ausländer bei uns begrenzt und langfristig vermindert wird, was vor allem die großen Volksgruppen (Türken) betrifft.« (Zimmermann) Rede vor dem Bundestag im Mai 1983

Von Zimmermanns Masterplan blieben nur sogenannte Re-Integrationsmassnahmen übrig. Integration in die Herkunftsländer sollte das heissen, und so wurden Leuten, die beschlossen, für immer in die Türkei oder sonstwo hinzuziehen, kleine Prämien gezahlt. Nachdem auch das floppte, wurde immer klarer, dass die ArbeitsmigrantInnen nicht wirklich wegzukriegen sind, jedenfalls nicht unterhalb der Ausrufung des Ausnahmezustands, was Kohl später ja öffentlich zur Sprache brachte.

Zwar war nicht mehr so viel die Rede davon, dass man die ausländischen Arbeitskräfte braucht, allerdings waren ja auch Flüchtlinge, insbesondere Illegale nun auf der untersten Stufe der Lohnhierarchie. Gebraucht wurden die in der Tat auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft. Im Unterschied zur ersten Generation der ArbeitsmigrantInnen sollte der Zugang von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt aber immer mehr beschränkt werden - bis hin zum Arbeitsverbot.

So enstand in den neunziger Jahren die scheinbar widersprüchliche Situation, dass das neoliberale Wirtschaftsprojekt alles daran setzte, die Ware Arbeitskraft zu verbilligen oder eben zur Annahme schechtbezahlter Jobs zu zwingen. Gleichzeitig wurden diejenigen, die genau diese Jobs hatten, illegalisiert, so als wüsste die linke Hand nicht, was die rechte tut. Dass es sich nur scheinbar um einen Widerspruch handelt, liegt daran, dass strukturell kaum Alternativen bestanden, die Arbeitskraft legal auf dieses Niveau zu drücken. Dabei handelt es sich nicht um einen geheimen Plan hinter den offiziellen Kabinettsbeschlüssen, sondern um eine Kompromissformel aus den Notwendigkeiten national-populärer Ansprachen und ökonomischen Erwägungen, die eben praktisch funktionierte. Allerdings war das ein Modus mit der geringstmöglichen Regulierungs- oder Kontrollmöglichkeit. Die Ausländerbehörden haben arbeitspolitische Erwägungen nur unsystematisch in ihre Praktiken implementiert.

Das arbeitsmarktpolitische Interesse hatte sich in den Neunzigern somit endgültig von den ehemaligen ArbeitsmigrantInnen wegbewegt. Sie waren da, sollten sich integrieren, gefälligst keine Ghettos machen und hatten sich immerhin schon teilweise zu Arbeitgebern gemausert. Jedenfalls war nicht mehr von einer Rückführung von Millionen Ausländern die Rede. Der Zuwanderungsdiskurs war einer über die Verhinderung weiterer Zuwanderung und da das Asylrecht die einzige legale Möglichkeit war, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen und dauerhaft zu bleiben, arbeiteten Staatsmänner und -frauen parteiübergreifend an zahlreichen Restriktionen, die das Asylrecht zu einem Nadelöhr umbauen sollten.

Dasselbe in grün?

Mit dem Regierungswechsel hat sich zwar nicht der Tonfall gegenüber MigrantInnen geändert, das muss nach Jahrzehnten der Konditionierung vermutlich hartnäckig abtrainiert werden. Jedoch hat die rot-grüne Koalition Akzente gesetzt, die in den letzten 40 Jahren wohl undenkbar gewesen wären. Grüne und SPD hatten sich jahrelang die Forderungen von MigrantInnenverbänden zu eigen gemacht und umgekehrt hatten diese in den Parteien die angemessenen Vehikel für ihre Positionen gesehen. Eine Kampagne für die doppelte Staatsbürgerschaft hatte die SPD schon Anfang der Neunziger gestartet. Das schlug sich nun, wenn auch modifiziert, in der Regierungspolitik nieder. Ob mit der neuen Politik auch eine Verbesserung für das Leben von MigrantInnen einhergeht, steht auf einem anderen Blatt.

Nach der gescheiterten Reform des Staatsbürgerschaftsrechts stellte die Greencard-Offensive von Kanzler Schröder die zweite maßgebliche Diskursverschiebung in diesem Bereich dar. Mit dem Plädoyer für eine befristete Arbeitserlaubnis für ausländische Fachkräfte (was also gar nichts mit der us-amerikanischen Greencard zu tun hat, die schliesslich auch zur Staatsbürgerschaft führt), trat eine dritte Klasse von ArbeitsmigrantInnen, wenn bislang auch nur virtuell, auf den Plan. Statt bad jobs sollten die Arbeitskräfte hochbezahlte Stellen besetzen bzw. mindestens einen Hochschulabschluss vorweisen können. Erstaunlich war daran nicht, dass sich die Wirtschaft dafür einsetzte, das tut sie nämlich seit jeher, sondern dass es gelang, diese Massnahme als notwendig und richtig im Diskurs zu platzieren. Die Gegenstimmen kamen meist von den ohnehin als orthodox bzw. traditionalistisch längst abgehängten Gewerkschaften oder von Rüttgers, der mit seinem Slogan »Kinder statt Inder« baden gegangen ist und sich hinterher sogar entschuldigte. Erstaunlich weil im Unterschied zu den Illegalen etwa, die Greencard-Migranten tatsächlich mit deutschen Arbeitskräften konkurrieren würden und weil die Wiederauflage des Gastarbeitersystems nicht während eines Booms geschieht, sondern bei ca. 4 Mio. Arbeitslosen. Und auch, weil es in einer Hinsicht doch so ist, wie vor 40 Jahren. Die Leute sollen nur vorübergehend kommen, hier über einen Engpass hinweghelfen und dann bald zurück. Fehlt nur, dass sie das Rotationsverfahren wieder aus der Schublade kramen.

So wie die ersten Gastarbeiter mit dem Phantasma, sie wären hier »nur Gäste« von sozialen und politischen Rechten ausgeschlossen wurden, sollen auch die neuen auf Abstand gehalten werden. Mit der im Zuge das GreenCard-Vorstosses losgetretenen Einwanderungsdebatten haben sich die Koordinaten aber noch einmal verschoben.

Unter anderem mit bevölkerungspolitischen Argumenten wollen nun viele Zuwanderung legalisiert sehen. Legalisiert, denn Einwanderung findet ohnehin statt, nur weitgehend unkontrolliert. Die Einwanderer gelte es mit Sprach- und Landeskundekursen zu integrieren, zu denen sie mehr oder weniger verpflichtet werden sollen. Massnahmen, die auch auf schon lange hier lebende MigrantInnen angewandt werden sollen. Die Maxime der alten Migrationspolitik war offenbar, die Durchlässigkeit der Landesgrenze bloss quantitativ zu regulieren, festzustellen, dass das nicht klappt und hinterher flächendeckend repressiv alle MigrantInnen anzugreifen. Im neuen Einwanderungsdiskurs wird dagegen deutlich, dass nun eine differenzierendere Gangart eingelegt werden soll. Jetzt, wo man weiss, dass mit einer dauerhaften Niederlassung zu rechnen ist, will man vorbereitet sein und sich die richtigen rauspicken. Das neue Interesse an den Einwanderern und ihren Problemen erweist sich für diese aber nicht unbedingt von Segen.

Die Knöpfchen auf der Sortiermaschine leuchten in den Farben der New Economy. Wen hat es schon interessiert, ob die Arbeiter bei Opel Rüsselsheim deutsch sprachen? Die kleinen Wörterbücher, die man ihnen aushändigte, enthielten das, was die Arbeitgeber und Behörden eben für sie vorgesehen hatten. Von Landeskunde gar nicht zu sprechen.

Die angedrohten indirekten oder direkten Strafen für die, die an solchen Kursen nicht teilnehmen, dienen nur oberflächlich dazu, Integration mit Nachdruck zu erzwingen. Der Sinn besteht wie bei jedem Strafsystem in der Schaffung eines Instrumentariums zur Klassifizierung. Migrantische Populationen sollen unterteilbar sein in Spitzen- und Lumpeneinwanderer, das wird auch deutlich bei der Debatte um die EU-Osterweiterung. Während der Arbeitsmarkt hier erstmal grundsätzlich dichtgemacht werden soll, wird an anderer Stelle unermüdlich für Anwerbung von Fachkräften in allen möglichen Bereichen plädiert.

Interessant ist dabei, dass nach dem Greencard-Einsatz Schröders eine dynamische Entwicklung einsetzte, in der alle Parteien ausser vielleicht der CSU, immer weitergehende Forderungen stellten. So der damalige CDU-Generalsekretär Polenz, der vor einem Jahr die Greencard-Regelung kritisierte und sich für eine uneingeschränkte Aufenthaltserlaubnis aussprach oder die Unternehmerverbände, die sich mit anderen darin abwechselten, neue Blue- oder Whitecards vorzuschlagen. Die Einwanderungsdebatte begann dort, wo diese Vorschläge eine Qualität angenommen hatten, die deutlich machte, dass es nun de facto um Einwanderung ging. Aus dem Rahmen ist dennoch die nord-rhein-westfälische FDP gefallen, die gleich die arbeitsrechtliche Diskriminierung aller hier lebenden Ausländer aufheben, das Wahlrecht für sie einführen und Sprachkurse umsonst anbieten wollte.

Das erinnert noch einmal daran, dass eine Pro-Einwanderungsstimmung zwar sicherlich Vorteile gegenüber der Das-Boot-ist-voll Propaganda hat, es aber letztlich doch darauf ankommt, unter welchen Bedingungen MigrantInnen hier leben können.

Auch im alten Gastarbeitersystem waren die ArbeitsmigrantInnen willkommen und trotzdem waren und sind sie rassistisch diskriminiert. Die Staatsapparate können noch so oft Anzeigenkampagnen gegen Ausländerfeindlichkeit vom Stapel lassen und Demos für Toleranz organisieren, an der prinzipiell instrumentellen Perspektive auf die Nicht-Deutschen ändert das nicht viel. So dass in dem Mass, in dem auch in der neuen einwanderungsfreundlichen Debatte vom ?nützlichen? im Unterschied zum ?ausnützenden? Ausländer die Rede ist »Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen.« Günther Beckstein (CSU), bayerischer Innenminister, am 10. Juni 2000 im Focus, die MigrantInnen stets zu ideologisch Ausgebürgerten werden, die nur zu einem Zweck da sind. Dies gilt im Kapitalismus zwar für die gesamte Bevölkerung, die rassistische Stratifikation aber kann diesen Umstand schnell vergessen machen. Nicht im Sinne einer ideologischer Verblendung, sondern sinnlich-materiell. Die ?wahren? Staatsbürger profitieren an vielen Stellen von der Deklassierung ethnisch anders Markierter. Und die Gemeinschaftsbildung ist mehr als bloss ein sich überlegen fühlen, sie schafft soziale Kohäsion und versichert dem Individuum stets aufs Neue seine brüchige Identität mit dem nationalen Staat.

Diese Identität lässt sich nicht durch humanistische Appelle aufbrechen und auch nicht, wie viele meinen, durch ökonomistische Argumente, die für Einwanderer sprechen. Es besteht ein Widerspruch zwischen der Vision freier Menschen, die ihr Glück suchend, sich hier oder dort niederlassen um dort zu leben und zu arbeiten und der Tatsache, dass die Massen, in deren Namen diese Vision einst formuliert wurde, sie nicht wollen. Aber nicht aus freien Stücken, sondern weil der Verlauf des Kampfes um diese Vision heute in jenem Kompromiss gemündet ist, den man auch ? unabhängig von der Regierungspartei ? den ?sozialdemokratischen Staat? Der Begriff des sozialdemokratischen Staates wurde von Buci-Glucksmann und Therborn entwickelt und bezeichnet im Unterschied zum herkömmlichen Sozialstaats- oder Wohlfahrtsstaatbegriff den Prozess der Kompromissbildung, mit dem die nationale Arbeiterklasse durch ihre Organisationen ?in den Staat? eintritt. Der Staat ist demnach kein Instrument zur Durchsetzung der Interessen der herrschenden Klasse, sondern in ihm manifestiert sich ein Kräfteverhältnis zwischen den subalternen und herrschenden Klassen. nennt. Der soziale Kompromiss ist in ihm national organisiert und jeder soziale Fortschritt um den Preis des Ausschlusses jener errungen, die den je definierten Kriterien nicht entsprechen. Hier ist die Grenze, die wir überwinden müssen.

Arbeitersache 1973: Was wir brauchen, müssen wir uns nehmen. München

Castles, Stephen 1987: Migration und Rassismus in Westeuropa. Berlin

Marx, Karl 1962: Das Kapital, Bd. 1

Buci-Glucksmann, Christine/ Göran Therborn (1982). Der sozialdemokratische Staat: Die ?Keynesianisierung? der Gesellschaft. Hamburg: VSA.

Zum weiterlesen:

Silverman, Maxim 1994: Rassismus und Nation. Einwanderung und Krise des Nationalstaats in Frankreich. Hamburg. Argument Verlag

Terkessidis, Mark 2000: Migranten. Berlin. Rotbuch

Bojadzijev, Manuela/Tsianos, Vassilis 2000: ?Mit den besten Absichten. Spuren des migrantischen Widerstands.? In: iz3w (informationszentrum dritte welt-Freiburg) Nummer 244