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Zwölf Quadratmeter Deutschland

Staatliche Maßnahmen und das Konzept der Autonomie | Manuela Bojadzijev.

Zum Verständnis der Migrationspolitik unter dem Imperativ der Integration hilft eine Betrachtung der vergessenen Betriebskämpfe und Alltagserfahrungen von Migranten im Nachkriegswestdeutschland seit den sechziger Jahren. Manuela Bojadzijev kontrastiert die damaligen Vorstellungen von Arbeiterautonomie mit aktuellen antirassistischen Debatten über die Autonomie der Migration.

Integration ist gegenwärtig der Schlüsselbegriff staatlicher Migrationspolitik. Die Autonomie der Migration geistert dagegen als rhetorische Figur seit neuestem durch antirassistische Diskussionen. Interpretiert als eine postoperaistische Neuauflage des Slogans »Für offene Grenzen«, verweisen Verfechter wie Kritiker dieser Figur entweder auf autonome Migration oder auf autonome Migrantinnen und Migranten, auf die Autonomie des Prozesses oder der Subjekte also. Doch das Problem der Autonomie löst sich nicht in diesem Unterschied.

Die Stichwörter Autonomie und Migration liefern einen aufschlussreichen historischen Link zum Konzept der Arbeiterautonomie, auch in Deutschland. Denn in den Streiks Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre stellten sich hier vor allem Migrantinnen und Migranten als deren Protagonisten heraus. Und Teile der radikalen Linken entdeckten beim Versuch, operaistische Erfahrungen und Konzepte aus Italien nach Deutschland zu übertragen, in ihnen das Muster militanter Massenarbeiter. Es begann die Zeit der multinationalen Betriebsarbeit.

Der kurze Traum der Arbeiterautonomie

Migrantinnen und Migranten als Avantgarde der Arbeiterkämpfe, als das revolutionäre Subjekt sui generis, so müssen sich die damaligen Kämpfe in den Augen vieler Linker dargestellt haben. »Die Lohnforderungen, die im Mittelpunkt dieser Kämpfe standen, entstehen als eine Konkretisierung einer viel weiter reichenden Rebellion gegen die eigene Lage der Unterordnung und Diskriminierung, gegen die eigene Emigrantensituation.« Dieses Resümee zog 1974 Lotta Continua, eine auch in Deutschland aktive Organisation der italienischen Neuen Linken.

Lotta Continua betrieb keine besondere Exotisierung migrantischer Subjekte. Der Schwerpunkt ihrer Analyse lag vielmehr auf der Konjunktur, in der der Typus des Massenarbeiters hervortritt, und zwar unter den neuen Bedingungen der multinationalen Zusammensetzung der Arbeiterklasse. Deren Autonomie zeichne sich durch nicht partei- oder gewerkschaftsförmige Organisierung, durch Selbstorganisation gegen das Kommando des Kapitals aus. Durch die Kämpfe wurde nach dieser Analyse ein Maß an Arbeitermacht erreicht, das die Kriterien für weitere politische Auseinandersetzungen liefern sollte. Doch gerade was die Kämpfe jenseits der Betriebe betrifft, gingen die Versuche der Theoretisierung häufig an den Praktiken der Migrantinnen und Migranten vorbei.

Klassenkampf und Antirassismus. Ein Versuch, diese Praktiken aufzunehmen und die Interessen von »ausländischen Arbeitern« im Betrieb und im Alltag selbst zu organisieren, war der Circulo Cultural, das so genannte Spanische Zentrum in Essen. Das in der Innenstadt gelegene Haus des Kultur- und Arbeitervereins wurde während der siebziger Jahre zu einem wichtigen Ort dieser Interessenartikulation. Neben kleineren Räumen gab es dort einen Buchladen, eine Kneipe und einen Festsaal, der für größere Veranstaltungen genutzt werden konnte. Das Zentrum gab mehrere Zeitungen heraus, sorgte für medizinische und juristische Beratung und bot Unterstützung an, etwa in Wohnungsangelegenheiten, bei politischer Betätigung oder in Betriebskämpfen.

»Das Spanische Kulturzentrum in Essen«, so wird das eigene Programm in einer Selbstdarstellung umrissen, »ist ein Modell einer Arbeiter-Selbstorganisation, entstanden aus der dringenden Notwendigkeit der ausländischen Arbeiter, ihre Probleme selbst in die Hand zu nehmen, sowie als logische Konsequenz der absoluten Unfähigkeit deutscher sowie spanischer Institutionen, unsere Probleme zu beantworten.« Und weiter heißt es dort: »So konnte unser Kulturkreis mit seinem Wachsen Barrieren einreißen, Kontakte schaffen, nationalistische Vorurteile zerstören usw. und schuf somit die Voraussetzungen, um unserer Organisation einen multinationalen Charakter zu geben. In unseren Räumen treffen sich deutsche, türkische, italienische Gruppen usw. Sie diskutieren ihre Probleme und lösen sie auch, und zwar nicht nur auf der Ebene ihrer Nationalität, sondern in Zusammenarbeit mit allen anderen.«

Veranstaltungen, Beratungstätigkeiten und Sprachkurse, aber auch politische Aktionen eröffneten schließlich die Möglichkeit, öffentlich Druck auszuüben. Als spanische ArbeiterInnen 1972 mit ihren Familien wegen unzumutbarer Wohnverhältnisse ein Haus besetzten, ging so vom Essener Spanischen Zentrum eine der ersten erfolgreichen Hausbesetzungen der siebziger Jahre aus. Eine weitere zentrale Aktion zielte auf die Neuregelung des Kindergeldes, einer Maßnahme der Steuerreform der SPD/FDP-Regierung.

Worum ging es? Im Rahmen der Steuerreform sollte ab Januar 1975 der Kinderfreibetrag herabgesetzt und so die Lohnsteuer erhöht werden. Zum Ausgleich sah die Reform eine Anhebung des Kindergelds vor. Diese Erhöhung sollte aber nur für Deutsche, für Migrantinnen und Migranten aus den damaligen EG-Staaten sowie für jene aus Nicht-EG-Staaten gelten, die bereits länger als 15 Jahre in der BRD lebten. Andere sollten die in bilateralen Abkommen zwischen der deutschen Regierung und den Regierungen einzelner Herkunftsländer (wie der Türkei, Jugoslawien, Spanien, Portugal und Griechenland) ausgehandelten geringeren Kindergeldbeträge erhalten. Für die übrigen, die Migrantinnen und Migranten etwa aus Marokko und Tunesien oder aus fernöstlichen Staaten, existierten keine Sondervereinbarungen, das heißt, es gab auch kein Kindergeld.

Das Spanische Zentrum sah diese Maßnahmen der Regierung in der Kontinuität der Verabschiedung von Ausländergesetzen, des Aufnahmestopps von 1973 und der Weigerung, die Arbeitserlaubnis für Ausländer zu verlängern, die sich weniger als fünf Jahre in der Bundesrepublik aufhielten.

In 19 Städten bildeten sich so genannte Kindergeldkomitees, die sich bundesweit koordinierten. Sie traten gegen die Diskriminierung der Migrantinnen und Migranten auf und forderten gleiche Rechte für Deutsche und Ausländer. Ab dem Sommer 1974 führte diese Organisierung zu Demonstrationen in verschiedenen Städten und dann im November zu einer bundesweiten Demonstration in Frankfurt.

Allein in Essen kamen bei einer Demonstration im Juni 1974 10 000 Leute zusammen. Sie protestierten nicht nur gegen die Reduzierung des Kindergelds, sondern forderten ein Ende der Diskriminierung am Arbeitsplatz, im Erziehungs- und Bildungssystem sowie bei der Wohnungsvergabe. Weiter gehende Ziele waren, einen Stopp für Entlassungen und Ausweisungen durchzusetzen, die Abschaffung des Ausländergesetzes und die Abschaffung der staatlich verfügten, zumeist gekoppelten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. »Wir wollen in Freiheit arbeiten und wohnen, wie und wann und wo wir wollen«, lautete der Anspruch in der Diktion des Spanischen Zentrums.

Über die Betriebe hinaus. Zahlreiche »multinationale Zentren« und migrantische Arbeiter- und Kulturvereine begannen sich in den Städten der Bundesrepublik zu gründen. Die Arbeiterföderation italienischer Emigranten (File) gehört dazu. Sie forderte das Wahlrecht für Ausländer und wollte gegen rassistische Polizeigewalt ebenso wie gegen Hetzkampagnen in der Presse vorgehen. Die Föderation setzte sich den Kampf gegen die besondere Ausbeutung der Emigranten, gegen die menschenunwürdige Wohn- und Familiensituation, gegen Unterbezahlung und Leichtlohngruppen der Frauen und gegen die Lohnabschlüsse des DGB und der italienischen Gewerkschaft CGIL zum Ziel. Nach Einschätzung der File waren allein autonome Arbeiterorganisationen in der Lage, diesen Kampf offensiv zu führen und die Rebellion von Migrantinnen und Migranten zu fördern.

Die selbstorganisierten Kämpfe der Migrantinnen und Migranten gegen die rassistischen Arbeits- und Lebensverhältnisse in Deutschland sollten demnach keine Ein-Punkt-Bewegung sein. Sie verknüpften rechtliche, politische und ökonomische Aspekte der Unterdrückung und Ausbeutung. Sie öffneten die enge Perspektive der Betriebskämpfe zu sämtlichen Lebensverhältnissen der Migration, zum Alltag, zur Sprache und Kultur und nicht zuletzt zu den Wohnverhältnissen, die neben der Fabrik den entscheidenden Kristallisationspunkt migrantischer Kämpfe bildeten.

Nicht nur die Unterbringung in schäbigen, beengten Wohnbaracken mit katastrophalen sanitären Anlagen oder die strikte, teils offen bekundete Weigerung vieler Vermieter, an »Gastarbeiter« zu vermieten, charakterisierte die Wohnungssituation. Auch die Stadtpolitik hatte erheblichen Einfluss auf eine Verschlechterung der migrantischen Wohnverhältnisse.

So erließ etwa die Westberliner Stadtverwaltung 1974 für die Bezirke Tiergarten, Wedding und Kreuzberg eine Zuzugssperre für Migrantinnen und Migranten und koppelte an diese Maßnahme die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen. Für Ausländer aus Nicht-EG-Ländern wurde eine solche nur noch erteilt, wenn sie eine Wohnung außerhalb dieser Bezirke nachweisen konnten. Solche Zuzugssperren galten vom April 1975 bis zum April 1977 in verschiedenen bundesrepublikanischen Ballungsgebieten.

Die Wohnbedingungen und die staatliche Wohnungspolitik lieferten dergestalt immer wieder Anlass für politische Konflikte. So im Fall der Häuserkämpfe im Frankfurter Westend. Es ist weitgehend unbekannt, dass die Proteste gegen zu hohe Mieten und miserable Wohnbedingungen zuerst von Migrantinnen und Migranten ausgingen. Die von ihnen organisierten Mietstreiks, die an die Erfahrungen der italienischen Mietstreikbewegung anknüpfen konnten, waren dann auch für die linke Szene ein wichtiger politischer Bezugspunkt.

Aber schon in den Jahren zuvor hatte es Proteste gegeben. Der Hinweis auf zwei Ereignisse mag das belegen. Anfang November 1963 streikten die Arbeiter aus dem so genannten Italienerdorf in Wolfsburg gegen ihre miserablen Wohnverhältnisse. Der Streik dauerte einen Tag und wurde von der Bereitschaftspolizei niedergeschlagen. 20 Italiener wurden entlassen, 200 gingen auf das Angebot der »freiwilligen Kündigung« ein. Am 25. April 1972 schmissen spanische Arbeiter aus Protest die Betten aus den Fenstern ihres Wohnheims in Bochum, da sich die Firma Opel eine Genehmigung zur Unterschreitung der Normen besorgt hatte, die den Wohnraum pro Person garantieren sollten.

Dass die Lebenssituation jenseits des Betriebs einen entscheidenden Stellenwert hat, erkannte auch eine Reihe von linken Gruppen in der Bundesrepublik, die wie die Proletarische Front in Hamburg, der Revolutionäre Kampf in Frankfurt oder die Arbeitersache in München das Konzept der Arbeiterautonomie propagierten. Umstritten war jedoch, ob die Thematisierung etwa der Ausbildungssituation ausländischer Kinder oder der Wohnverhältnisse auch tatsächlich zu einer »Totalisierung der Kämpfe« und damit zur angestrebten »Einheit der Arbeiterklasse« durch Ausweitung der Kämpfe in den »Reproduktionsbereich« führe, oder ob diese Ausweitung sie nicht vielmehr unterlaufe, wenn es nicht gelingt, gemeinsame Forderungen für Deutsche und Ausländer zu entwickeln.

Und es bildet sich die multinationale Arbeiterklasse ?

Der Topos von der »Spaltung der Arbeiterklasse« brachte innerhalb der beschriebenen historischen Konjunktur zwei unterschiedliche Artikulationen hervor. Während er den Migrantinnen und Migranten ermöglichte, ihre spezifische Diskriminierung in den Vordergrund zu rücken, trat er in den Appellen, vornehmlich der »deutschen Genossen«, an die Einheit der Arbeiterklasse wieder in den Hintergrund. Das Konzept der Arbeiterautonomie allein lieferte keinen hinreichenden Ansatz, um explizit antirassistische Dynamiken im Wirkungskontext des Klassenkampfs zu entfalten. Dem stand vielmehr ein verkürztes Verständnis des rassistisch segmentierten Arbeitsmarktes und des darin enthaltenen spezifischen sozialen Antagonismus im Weg.

Die Klassenanalyse ordnete den politisch gewollten, aber ökonomistisch artikulierten Antirassismus einer mechanischen Ableitung aus den Produktionsverhältnissen unter, der unterschiedlichen Verortungen der Subjekte (Vorarbeiter vs. Massenarbeiter) in ihnen. Im besten Fall kamen so zwar die Diskriminierungen der ausländischen Arbeiter in den Blick, wie mit ihnen aber theoretisch und praktisch umzugehen sei, darüber herrschte weiterhin Ratlosigkeit. Im schlechtesten Fall aber verdeckte das Konzept der Arbeiterautonomie sogar den Aspekt der rassistischen Spaltung der Arbeiterklasse, sodass wie zufällig die ausländischen Arbeiter zum Massenarbeiter und damit zur Avantgarde der Kämpfe objektiviert erscheinen. Anstatt also gerade die beobachtete rassistische Spaltung der Arbeiterklasse zum Ausgangspunkt einer neuen Form der Politik zu erklären, dethematisierte die usurpatorische Rede von der multinationalen Arbeiterklasse letztlich den Rassismus.

Die ökonomistische Verkürzung der Klassenanalyse produzierte bezogen auf die rassistische Segmentierung des Arbeitsmarktes die Tautologie, nach der der bürgerliche Staat grundsätzlich eine rassistische Politik verfolgt, weil sie für seine Organisation und Struktur als Klassenstaat konstitutiv ist. Nach dieser Logik hätte der bürgerliche Staat mit der Anwerbung von Arbeitskräften im Interesse des Kapitals gehandelt, um so die allerdings nur in der Theorie vorausgesetzte einheitliche Arbeiterklasse rassistisch zu spalten. Statt die Zusammensetzung der Klasse in ihren Bedingungen, nämlich in ihrer strukturellen Spaltung, zur Sprache zu bringen, wurde erneut auf die Option einer Einheit der Arbeiterklasse gesetzt, die in der Vergangenheit bereits zu deren Niederlage beigetragen hatte. So gelang es nur, defensiv auf die Initiative eines vermeintlich einheitlich handelnden Kapitals zu reagieren.

Die migrantischen Kämpfe des Alltags gerieten unter dieser Option aus dem Blick. Die Klassenanalyse behandelte sie lediglich als eine »Ausweitung« der militanten Betriebsarbeit in die »Fabrikgesellschaft«, die offenkundig nur als einfache und gleichförmige Ausdehnung des Fabrikregimes auf sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gedacht war.

Abschottung und Integration

Unter dem Titel »Chance NRW« haben die Ford-Werke Köln in Kooperation mit dem Landesarbeitsministerium am 15. November 2002 mehrere Migrantinnen und Migranten für ihren »Erfolg« und ihre Leistungsbereitschaft ausgezeichnet. Die Preisträger erhielten einen »Fortbildungsgutschein« über 6 000 Euro, der ihnen zukünftig als Ausweis ihrer »Nützlichkeit« für die Wirtschaft dienen soll. Vom Arbeitsminister Harald Schartau bei der Preisverleihung in Essen als »gute Beispiele« bezeichnet, sollen sie »Unternehmen und Zugewanderte zur Nachahmung anregen und Mut« machen. So lautet die offizielle Redeweise, die Migrantinnen und Migranten nicht länger als soziale Problemgruppe kennzeichnen, sondern als integrationsfähige Bürger präsentieren will.

So kulant und einfallsreich war in den siebziger Jahren, als sich der Begriff der Integration zu einem ausländerpolitischen Paradigma verfestigte, noch niemand. Bis Mitte der siebziger Jahre versuchte die Bundesregierung zunächst durch eine Reihe juristischer Maßnahmen Arbeitsmigrantinnen und -migranten zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen oder gar zu nötigen. Eine Serie neuer Auflagen bei der Aufenthaltsgewährung führte zur Verdrängung einer großen Zahl von Eingewanderten und zielte zudem auf die Abschottung gegenüber den Migrationsbewegungen. Der Anwerbestopp von 1973 und die Weigerung, all jenen die Arbeitserlaubnis zu verlängern, die weniger als fünf Jahre in der Bundesrepublik waren, sind dafür nur die ersten deutlichen Zeichen.

Die einzige legale Möglichkeit nach dem Anwerbestopp, in die Bundesrepublik einzureisen, war der Zuzug auf der Grundlage des Gesetzes zur Familienzusammenführung, das Migrantinnen und Migranten großzügig zu nutzen versuchten. Eine Reihe von staatlichen Auflagen und Praktiken sollte dieser Praxis entgegenwirken: Diskriminierungen etwa in der schulischen Erziehung, im Wohnungssektor oder im Bereich der medizinischen Versorgung verschlechterten die Bedingungen der Familienzusammenführung. So erhöhte man im öffentlichen Wohnungssektor die vorgeschriebene Quadratmeterzahl pro Ausländer auf zwölf Quadratmeter und erklärte den Nachweis einer solchen »ordnungsgemäßen und zureichenden Wohnung« zur Voraussetzung für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Zwischen 1975 und 1977 wurde diese Verordnung mit der bereits erwähnten Zuzugsquote in Ballungsgebieten kombiniert. Mit allen erdenklichen Mitteln wurde versucht, einen dauerhaften Aufenthalt von Ausländern und Ausländerinnen zu verhindern. Die Ausweisung von politisch Aktiven in Betriebs- oder Wohnkämpfen war die übliche Praxis.

Der öffentliche Diskurs verfügte schon damals über die Argumente zwischen »Eingliederung ja« und »Einwanderung nein«. »Eingliederung auf Zeit« lautete die Formel, um die Option auf eine Rückkehr in die Herkunftsländer auch in Zukunft beizubehalten. Die Ära der »Gastarbeiterbeschäftigung« war beendet und man begann öffentlich zu rechnen, wie viel die Ausländerbeschäftigung noch kosten werde.

Rekuperation des Widerstands. In dieser Situation drängte der Begriff der Integration sich vor allem in der Kommunalpolitik langsam in der Vordergrund. Ab Mitte der siebziger Jahre häuften sich die Stimmen, die die Existenz der so genannten zweiten Generation, ihre schlechte Schulbildung und die angebliche Bildung von »Ausländerghettos« beklagten. Artikuliert wurde dabei oft die Sorge um den Erhalt des »sozialen Friedens«.

Der Begriff der Integration bezeichnete dabei eine Rekuperation der Widerstandspraktiken und der Kämpfe der Migrantinnen und Migranten. Selbstverständlich lässt sich der Imperativ der Integration nicht schematisch als funktionale Politik, als schlichte Antwort des Staates auf die Kämpfe verstehen. Es lassen sich aber zahlreiche Hinweise dafür zusammentragen, dass die Migrantinnen und Migranten tatsächlich häufiger als eine politische und soziale Gefahr angesehen wurden. Es galt, sie entweder zu integrieren und zu befrieden oder auszuweisen. Integration und Abschottung würden so zu den tragenden Pfeilern der Ausländerpolitik ausgebaut. Sie sind als Reaktion zum einen auf die Unkontrollierbarkeit der Einwanderung und zum anderen auf die Kämpfe zu verstehen.

Im Memorandum über »Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland«, das 1979 Heinz Kühn, der erste Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, veröffentlichte, hieß es entsprechend, dass die bisherige negative Entwicklung »in absehbarer Zeit zu ganz erheblichen gesamtgesellschaftlichen Schäden führen« werde. Kühn schlug unter anderem vor, jede weitere Zuwanderung bei gleichzeitiger Anerkennung der faktischen Einwanderung sei zu unterbinden, Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der »ausländischen Kinder und Jugendlichen«, vor allem im schulischen Bereich, seien zu ergreifen und die Option auf Einbürgerung für in der BRD aufgewachsene und geborene Jugendliche sowie die Einführung des kommunalen Wahlrechts seien erstrebenswert.

Diese Vorschläge, die sehr deutlich einen prohibitiven Charakter tragen, konnten sich zwar nicht durchsetzen, da die Bundesregierung die faktische Einwanderung weiterhin leugnete. Dennoch setzte sich Integration als Dispositiv der Ausländerpolitik durch.

In den siebziger Jahren verringerte sich die Zahl der Migrantinnen und Migranten keineswegs, sondern erhöhte sich noch. Von 1973 bis 1979 blieb die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung stabil und nahm ab 1979 zu, sodass 1980 eine Million mehr Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland lebten als noch 1972, also vor dem Anwerbestopp. In dieser Hinsicht sind letztlich alle staatlichen Abschottungsbemühungen fehlgeschlagen. Die in der Migration aufgebauten sozialen Netze waren offenbar in der Lage, weitere Einwanderung zu organisieren.

Gleichzeitig finden sich in den staatlichen Erklärungen zur Bemühung um Integration, vor allem der so genannten zweiten Generation, alle Themen wieder, die schon in den Kämpfen der Migrantinnen und Migranten zu Beginn und im Verlauf der siebziger Jahre artikuliert wurden.

Es ist eine etatistische Entgegnung, die von Migrantinnen und Migranten zweifellos als Rekuperation ihrer Forderungen aufgefasst werden konnte. In der Erschwerung der Familienzusammenführung sah das Spanische Zentrum in Essen eine Fortsetzung der Ausbeutung und den staatlichen Versuch, die Kontinuität der Kämpfe zu zerstören. Denn auf diese Weise müssten sich die Migrantinnen und Migranten die Sprache und die Rechte immer wieder neu aneignen. Die Restriktion diene als Bremse der Radikalisierung seit dem Beginn der siebziger Jahre und ziele darauf, die Vereinheitlichung der Kämpfe zu verhindern.

Eine ähnliche Einschätzung vertrat auch die Gruppe Arbeitersache aus München. In dem Buch Was wir brauchen, müssen wir uns nehmen (1973), das wahrscheinlich die ausführlichste Dokumentation eines Versuchs multinationaler Organisierung ist, kommt die Gruppe zu dem Schluss: »Die Integrationspolitik sowie die Initiativen zur Verschärfung der Repression gegen politisch aktive Ausländer sind zu einem Zeitpunkt in Bewegung geraten, zu dem sich zum ersten Mal die klassenkämpferische Militanz der ausländischen Arbeiter in größerem Ausmaß gezeigt hat.«

Das Dispositiv der Integration desartikuliert die kollektiven Ansprüche, verschiebt sie zu individuellen Anpassungsleistungen der Migrantinnen und Migranten und reduziert sie auf Infrastrukturprobleme, denen am besten mit einer Rückkehrförderung beizukommen sei. Vor allem aber ist die Forderung nach gleichen Rechten im Dispositiv der Integration vollständig absorbiert.

Auf die Fragen, die sich in den Kämpfen artikulierten, gibt das Dispositiv durch deren Reinterpretation entgegengesetzte Antworten und übersetzt die Forderung nach Kollektivrechten in individuell zu erbringende Leistungen. Die Bevölkerung erscheint auf dubiose Weise neu homogenisiert, Rechte und Pflichten scheinen neu verteilt. Dennoch bauen sich gerade Asymmetrien auf und Gegenseitigkeiten bleiben trotz aller Suggestion »gegenseitiger Annäherung« weiterhin ausgeschlossen. Die ungleichen sozialen Positionen der verschiedenen »Partner« korrespondieren mit dem Grad, nach dem ihnen politische und soziale Rechte vorenthalten bleiben. Das Recht, zumal es im Begriff der Integration vermittelt ist, kann so zwar niemals vollständig suspendiert sein, bleibt aber unrealisiert; seine Suspension ist daher ständig virulent.

Mobilität und Autonomie

Ausschließung und Integration drängen den möglichen Widerstand in den Hintergrund. In der Konsensformel der Integration hat sich die in den Fabriken thematisierte Spaltung der Arbeiterklasse längst zu institutionalisieren begonnen. Die langsame Entstehung des staatlichen Integrationsdispositivs seit dem Beginn der siebziger Jahre kann als Versuch gedeutet werden, die Geschichte und Erinnerung jener Arbeitergeneration zu zerstören, die antirassistische Forderungen erhob und Erfahrungen im Kontext der ökonomischen Kämpfe gemacht hatte.

Dennoch, vom Standpunkt der Materialität transnationaler Räume aus zeichnet sich in den letzten Jahren eine Veränderung im Migrationsregime ab, die nicht zuletzt Spuren migrantischer Beharrlichkeit trägt. An dieses Milieu der Beharrlichkeit knüpft das Konzept der Autonomie der Migration an, indem es auf den Drang zur Mobilität verweist, die sich nicht vollständig staatlich oder ökonomisch kontrollieren lässt und für den Nachschub an Arbeitskraft unabhängig vom jeweils herrschenden national-sozialen Kompromiss sorgt.

Es deutet auf die Überschreitung der Grenzen und auf das Leben auf der Basis und mit Hilfe von sozialen Netzwerken der Migration hin. Aber es handelt sich nicht um das Reich der Freiheit, wo die autonome Migrantin morgens den Grad ihrer Verwertung festlegt, mittags ihre Wege bestimmt und abends die Früchte ihrer Mobilität genießt. Im Gegenteil: Für ein Verständnis der Autonomie der Migration sind die Kämpfe der Migrantinnen und Migranten konstitutiv.