Kanak Attak - Konkret Konkrass 2002

Volksbühne am Rosa-Luxemburg Platz, Berlin:
Pfingstsonntag, 19.5.2002, 14 Uhr bis Sonnenaufgang
Pfingstmontag, 20.5.2002, 16 Uhr bis Mitternacht

!!! Livestream im Internet: www.klubradio.de (oder direkt www.klubradio.de/volksb.ram)ab ca. 18.00h !!!

Schauspiel Frankfurt am Main:
Samstag, 1.6.2002, 14 Uhr bis Sonnenaufgang

Recht auf Legalisierung, No Integration und Globalisierung von unten - mit diesen Themen ist der bundesweite Zusammenschluss Kanak Attak diesmal an der Berliner Volksbühne und am Schauspiel Frankfurt zu sehen. Nachdem es voriges Jahr vor allem um einen Blick in die Geschichte des migrantischen Widerstands ging, wird es nun um die Ströme der Gegenwart gehen, in der sich die rassistischen Verhältnisse besiegen lassen. In verschiedenen Räumen sowie auf den Hauptbühnen der beiden Häuser performen Kanak Attak:

No a la Integración, Recht auf Legalisierung, Globalisierung und Antirassismus

Ein Blick zurück: Vor einem Jahr hat der antirassistische Zusammenschluss Kanak Attak erstmals an der Berliner Volksbühne seine Arbeit einem größeren Publikum vorgestellt. Mit der Revue "OpelPitbullAutoput", Panels, Filmen und Gesprächen auf den Gängen richteten wir den Fokus auf die Geschichte des migrantischen Widerstands, ein Thema, dessen Spuren sich bislang in Bibliotheken und persönlichen Archiven verloren. Das sollte sich endlich ändern. Die Auseinandersetzung mit den Kämpfen von MigrantInnen und ihren Selbstbehauptungsstrategien seit den 50er Jahren diente uns auch dazu, Positionen zum Alltag und zur gesellschaftspolitischen Situation von Kanaken im Almanya von heute zu formulieren. Nicht, um uns blind in eine Kontinuität dieser Strategien einzuschreiben. Sondern wir wollten den heutigen Rassismus, der versucht, Kanaken am gesellschaftlichen Rand zu halten oder aber als exotische Aufsteiger zu feiern, aus der Perspektive vergangener Kämpfe klarer erkennen. Auf den Verkehrsschildern, die die einen ins Land rufen und die anderen ausweisen, steht: INTEGRATION. Diese Schilder regeln seit Jahrzehnten den Betrieb in diesem Land, und Integration tönt als Aufforderung und Gängelei den Migrantinnen und Migranten seit dreißig Jahren entgegen – nun sogar im Wettbewerb. Wir überschreiben die Schilder und machen zum Einsatz: No Integracion!

Als klar wurde, primär aus ökonomischen Erwägungen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wollten die Herrschenden in Almanya die politischen Konsequenzen nicht tragen. Viel lieber wurden Rechenmodelle aufgestellt, wie viele ZuwandererInnen pro Jahr für Almanya haltbar sind. Nach dem Fordstreik in Köln 1973 begann man eilig zu rechnen: Was wird die Gastarbeiterbeschäftigung noch kosten? Abschottung nach außen und Integration als taktisches Vorenthalten von politischen Rechten im Innern, das waren seitdem zwei Seiten ein und derselben Strategie. In den achtziger Jahren tauchte dann die geheimnisvolle Unterscheidung zwischen integrationsunwillig und integrationsfähig auf. Als in den neunziger Jahren das Gesetz zur Doppelten Staatsbürgerschaft verabschiedet werden sollte, legten die Unionsparteien wieder den Integrations-Joker auf den Tisch und Koch & Co mobbten mit Kugelschreibern auf der Straße. Die Regierungsparteien fielen vor lauter Verfassungspatriotismus gleich mit um. Dabei wird Integration verkauft als eine individuell vom Kanaken zu erbringende Leistung, als Kniefall vor der Leitkultur. Als IntergrierteR bist du nur integriert und niemals auf Augenhöhe.

Ein Blick voraus: Integration, das haben wir verstanden, ist die Entgegnung des Staats auf zahlreiche Forderungen, die in den historischen Kämpfen gegen die systematische Verelendung erhoben wurden Abschaffung der Ausländergesetze und des Inländerprimats, gleiche Rechte für alle. Integration ist das biegsame Werkzeug der Sanktion. Kein Deutschkurs? Ausweisung. Sozialhilfe? Ausweisung. Kindergeld? Ausweisung. Diebstahl? Ausweisung. Dabei geht es um unseren Alltag: Gleichstellung in Sachen Gesundheit, Bildung, Arbeit, Ausbildung und Wohnen bildeten seit jeher den Einsatz der Kämpfe. Seit dem Anwerbestopp lautet die offizielle Losung: Nur wenn weitere Einwanderung begrenzt wird, könne Integration gelingen.

Weil die Durchsetzung einer Zero-Einwanderung aber nie gelang und gelingen konnte, leben und arbeiten heute mindestens eine Million Migrantinnen und Migranten ohne Papiere in diesem Land. Eine zwar ungewollte, aber für viele Arbeitgeber und Privathaushalte sehr nützliche Entwicklung, die das bereitstellt, was das alte Gastarbeitersystem nicht mehr leisten konnte: möglichst billige Arbeitskräfte auf einem geschlechtlich strukturierten und rassistisch segmentierten Arbeitsmarkt. Denn mit der gestiegenen Aufenthaltsdauer und der Familienzusammenführung verloren die ArbeitsmigrantInnen der ersten Generation zunehmend ihren Charakter als extrem verfügbare, flexible und damit billige Arbeitskräfte. Mehr noch: Die offiziell imaginierten GastarbeiterInnen der sechziger Jahre, die im Wohnheim untergebracht auf gepackten Koffern saßen, existierten so nie. Denn schnell waren die neu Angekommenen zu einem festen Bestandteil des Arbeitsmarkts geworden. Da passt es ganz gut, dass die neuen GastarbeiterInnen des Postfordismus erst gar keine Papiere besitzen. So kommt es zu keinen Missverständnissen bezüglich der Aufenthaltsdauer: so kurz wie möglich und so lang wie nötig. Ohne Zugang zu sozialen und politischen Rechten sind die Kosten dieser migrantischen Arbeitskraft so niedrig wie nie.

Die Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen wird derzeit vielfach unter dem Label “Globalisierung” gefasst. Zwischen der neoliberalen Strategie der Profitmaximierung auf der einen und national-sozialen Verteidigungsreflexen auf der anderen Seite scheint ein völliger Gegensatz zu bestehen. Doch in Wirklichkeit bedingen sich ihre Positionen gegenseitig. Auch das staatliche Handeln zielt derzeit auf die Fortsetzung neoliberaler Deregulierung, und der Neoliberalismus kommt seinerseits nicht ohne staatliche Regulierung aus. Dagegen glauben große Teile der kritischen Globalisierungsbewegung – von Seattle bis Genua und Porto Allegre – die negativen Folgen der Globalisierung seien durch eine Verteidigung nationaler sozialer Standards abzufedern. Doch es gibt einen Faktor, der in den Anti-Globalisierungskämpfen kaum eine Stimme hat: das Gespenst der transnationalen Migration. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in den postkolonialen Gesellschaften Asiens und Afrikas und Lateinamerikas sorgen nachdrücklich dafür, dass Migrationsbewegungen entstehen, welche die nationalen Arbeitsmarktschranken einreißen. Sie stellen eine Masse, die mit den Füßen abstimmt. Diese Autonomie der Migration befindet sich in einem permanenten Tauziehen mit dem staatlichen Diskurs um ökonomische Nützlichkeit. Und sie unterläuft ihn gleichzeitig, wo sie sich um ihn nicht schert. Ohne einen offensiven Antirassismus gibt es keine andere Welt. Die Perspektive dieser Migration einzunehmen, kann der Angelpunkt einer Globalisierungskritik werden, die nicht im Dualismus Nationalstaat versus Neoliberalismus gefangen bleibt.

Im Windschatten der Einwanderungsdebatte über die nachgefragten High-Tech-MigrantInnen der Zukunft muss endlich der Skandal der Illegalisierung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Zwar mag darüber seit den Anschlägen des 11. September vorigen Jahres kaum noch jemand diskutieren: Doch die Sans Papiers weltweit haben ein politisches Recht auf die Legalisierung ihres Aufenthalts. Eine Kampagne für Legalisierung verspricht, die konkreten Lebensverhältnisse von Migrantinnen und Migranten ohne Papiere durch Aufenthaltsrechte zu verbessern. Aber auch schon in der Organisierung selbst liegt eine Ermächtigung, die über die zu erkämpfenden Rechte hinausgeht! Für die Durchsetzung einer solchen Kampagne braucht es ein breites gesellschaftliches Bündnis, das sowohl die kirchlichen und humanitär orientierten Initiativen, als auch Flüchtlingsorganisationen und antirassistische Gruppen umschließt und bis ins linksliberale Lager reicht. Nicht zuletzt mit den Gewerkschaften müsste endlich ein Debatte darüber einsetzen, wie soziale Rechte zu erkämpfen und zu verteidigen wären, ohne in einen Nationalprotektionismus zu verfallen. Solange es Territorien gibt, in denen soziale Errungenschaften eingezäunt werden können, wird es legale wie illegale Migration geben.

Weil, seit es Einwanderung nach Almanya gibt, gegen rassistische Diskriminierung mit verschiedensten Mitteln gekämpft wurde, starten wir nicht von Null. Eine andere Praxis des Geschichtenerzählens, die die Deutungshoheit den ansonsten nur Beschriebenen zuweist, ist kein funky Angebot für die Streber in den Feuilletons und die Meinungsmacher in den Politikressorts. Normal!!! Der Mix aus Gestern, Heute und Morgen ist konkret unser Weg.
Und diesmal stellen wir die Fragen!

Es geht ab! – Kanak Attak